Leclerc stapelt tief
Charles Leclerc stand in dieser Saison zwei Mal auf Pole Position. Beides Mal auf Strecken mit langsamen Kurven. Auf dem Papier sollte deshalb auch der Hungaroring dem SF21 gelegen kommen. Noch dazu, weil es heiß ist und deshalb das Reifenproblem kleiner ausfällt. Doch das Team lässt sich nicht in die Rolle des Geheimfavoriten drängen.
Red Bull und Mercedes sind die ersten Anwärter auf den Sieg. Doch für den GP Ungarn haben nicht wenige auch Ferrari auf dem Zettel. Die Scuderia hat sich nach vielen Aufs und Abs in dieser Saison stabilisiert. Auf den Absturz von Frankreich folgten in Österreich und Silverstone drei Rennen mit jeweils doppelter Punkteausbeute. In England schnupperte Charles Leclerc sogar am Sieg.
Ferrari hat sein Reifenproblem verstanden, und die richtigen Gegenmaßnahmen eingeleitet. Soweit es in dieser Saison möglich ist. Aufgrund der Homologation sind den Ingenieuren die Hände gebunden. Eigentlich bräuchte der SF21 eine neue Vorderachse und neue Felgen, doch das Regelwerk verbietet einen solchen Eingriff. Doch Ferrari hat gelernt, die bestehenden Möglichkeiten besser zu nutzen. Man verbesserte die Fahrwerksabstimmung und stabilisierte das Auto mit einem überarbeiteten Unterboden.
Leclerc kein Budapest-Spezialist
Nach den Pole Positions in Monaco und Baku, zwei Rennstrecken mit überwiegend langsamen Kurven, gilt der Rennstall der Herzen auf dem Hungaroring als Geheimfavorit. Ferrari selbst will davon nichts wissen. Ein Eins-zu-Eins-Vergleich lässt sich ohnehin nicht ziehen, weil es in Ungarn bis auf die Schikane keine eckigen Kurven gibt. Die langsamen Passagen haben lange Radien. Und mit den abtriebstarken Autos sind die meisten von ihnen gar nicht mehr wirklich langsam.
"Ich glaube nicht, dass wir hier auf demselben Level sein werden wie in Monte Carlo", sagt Charles Leclerc deshalb. "Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das Mittelfeld anführen können." Dieser Aussage wird Konkurrent McLaren zustimmen. Ungarn sollte dem SF21 besser schmecken als dem MCL35M. Der Optimismus hält sich beim Fahrer auch deshalb in Grenzen, weil der Monegasse erst selbst abwarten will, wie er diesmal auf dem Hungaroring fährt.
Leclerc gehört zu den Piloten, die in der Öffentlichkeit gerne mal Selbstkritik üben. "Für mich als Fahrer war Ungarn nie die beste Strecke. Sie verlangt einen weichen Fahrstil. Ich neige dazu, aggressiv zu fahren. Im Vergleich zu meinen Teamkollegen sah ich deshalb hier in der Vergangenheit schlecht aus."
Heißes Wetter gut gegen Körnen
Silverstone hat den Aufwärtstrend bestätigt. Leclerc bremst dennoch die Erwartungen. Genauso wie Teamkollege Carlos Sainz. Lieber überraschen als vorher zu tönen. Beide sehen Ferrari auf dem richtigen Weg. "Doch wir können nicht davon ausgehen, in diesem Jahr noch öfter auf Platz zwei zu fahren", sagt Leclerc. "Wir haben noch unsere Schwächen. Aber wir arbeiten darauf hin, wieder an die Spitze zu kommen." Das soll 2022 mit den neuen Autos gelingen.
Ferrari strebt zwar den dritten Platz in der Team-WM an. Die Platzierung genießt aber keine Priorität. "Für uns ist es wichtig, etwas aufzubauen. Wir wollen als Team so komplett wie möglich werden", sagt Sainz. Die Scuderia befindet sich in einer Übergangsphase, um Prozesse in der im Winter neu geschaffenen Struktur zu verfeinern, und eine schlagkräftige Mannschaft für das nächste Jahr aufzubauen. Leclerc sieht Ferrari gut aufgestellt. "Ich sehe, wie hart das Team in Maranello arbeitet. Die Ergebnisse zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Doch wir sind den Weg noch nicht bis zum Ende gegangen."
Zu den neuen Stärken von Ferrari gehört es, Fehler und Schwächen konsequent zu analysieren und schnelle Lösungen zu finden. Die Reifen sind das Paradebeispiel dafür. Das starke Körnen beim GP Frankreich hatte den Autos den Speed geraubt. Ferrari reiste ohne Punkte ab. Es folgte eine intensive Aufarbeitung in der Fabrik und eine Verwandlung auf der Rennstrecke. "Wir hatten nach Paul Ricard drei intensive Tage in Maranello", erinnert sich Sainz. "Da haben wir jeden Stein umgedreht. Es gab viele Besprechungen und Fahrten im Simulator." Es hat sich gelohnt. Die Probleme wurden gelindert.
Trotzdem gibt der Spanier zu. "Die Reifen bleiben in unserem Hinterkopf." Die Sorgen vor Ungarn sind aber nicht groß. Ferrari freut sich über das heiße Wetter. "Die Temperaturen machen uns entspannter. Für uns ist kaltes Wetter problematisch, wenn dann auch noch die Strecke mehr Last auf die Vorderachse gibt." Dann ist der Kern des Reifens zu kalt und die Oberfläche im Verhältnis zu heiß. Das verursacht Graining. Auf heißem Asphalt fällt die Abweichung gering aus. Es droht Überhitzung. Damit hatte Ferrari aber im warmen Silverstone nicht zu kämpfen.