Mercedes besorgt über großen Rückstand
Am Freitag sah alles nach einem weiteren Mercedes-Rennen aus. Doch Max Verstappen entschied das Pole-Duell mit überraschend großem Vorsprung für sich. Damit relativierte sich Red Bulls Kampagne gegen die Mercedes-Hinterachse.
Red Bull hat den Bann gebrochen. Zum ersten Mal seit Zandvoort hat der Herausforderer wieder das schnellere Auto. Zumindest auf eine Runde. Max Verstappens Vorsprung auf Lewis Hamilton fiel mit 0,209 Sekunden überraschend groß aus. Dabei war der letzte Q3-Versuch Hamiltons beste Runde an diesem Samstag. Im Q1 und Q2 fiel sein Rückstand auf den WM-Gegner mit 0,227 und 0,333 Sekunden noch größer aus.
Entsprechend eingefroren war die Stimmung im Mercedes.Camp. "Wir haben uns auch nach dem dritten Training noch berechtigte Hoffnungen auf die Pole Position gemacht", meinte ein Ingenieur. So ganz erklären konnte man sich den großen Rückstand nicht. "Wir haben in den Kurven 1, 18 und 19 auf Red Bull verloren und auf den Geraden weniger gewonnen als sonst. Insgesamt vielleicht ein Zehntel."
Bei Mercedes hofft man jetzt, dass Red Bull den Startplätzen zuliebe sein Auto vielleicht ein bisschen mehr Richtung Qualifikation abgestimmt hat, während man selbst immer die starke Reifenabnutzung im Blick hatte und die Silberpfeile auf optimalen Rennspeed eingestellt hat. Das kann auf eine Runde einen signifikanten Unterschied ausmachen. Red Bull.Sportchef Helmut Marko macht dem Gegner da wenig Hoffnung. "Der gute Speed auf dem Medium-Reifen zeigt, dass wir für das Rennen gerüstet sind."
Wer geht mit den Reifen besser um?
Teamchef Toto Wolff hatte den Eindruck, dass Mercedes im Vergleich zum Vortag auf sich selbst etwas an Boden verloren hatte, während Red Bull ein Schritt nach vorne gelungen war. Eine generelle Trendwende wollte er daraus noch nicht ableiten. "Wir können das Rennen immer noch gewinnen." Chefingenieur Andrew Shovlin führte ins Feld. "Schlussendlich wird es darauf ankommen, wer am besten mit den Reifen umgeht." Hamilton gibt ihm Recht: "Der Reifenabbau ist hier sehr aggressiv, entsprechend wird es strategisch sehr interessant."
Taktisch ist Red Bull etwas besser aufgestellt. Hamilton wird im Sandwich zwischen Max Verstappen und Sergio Perez starten, während sein Helfer Valtteri Bottas mit der Motorenstrafe nur vom 9. Platz aus ins Rennen geht. Bottas verlor viel Zeit mit Untersteuern, ist aber optimistisch schnell durch das Feld zu fahren. "Unser Rennspeed war so gut wie der von Red Bull."
Red Bulls Verschwörungstheorien
Mit dem Qualifikationsergebnis verstimmten auch die aufgeregten Theorien wieder etwas, die Red Bull im Vorfeld des Wochenendes ins Spiel gebracht hatte, um den Zeitverlust auf den Geraden im Vergleich zu Mercedes zu erklären. Christian Horner und seine Truppen sind vom überlegenen Mercedes.Motor abgerückt und haben nun die Hinterachse des Mercedes W12 ins Visier genommen. Da will man beobachtet haben, dass sich das Heck des Autos auf den Geraden massiv absenkt, was zu einem Strömungsabriss führt und als Resultat zu höheren Topspeeds.
Red Bull machte sogar die FIA scharf, sich die Hinterradaufhängung des Silberpfeils genauer anzuschauen. Die Untersuchung verlief wie erwartet ergebnislos. Mercedes senkt sein Heck bei steigendem Anpressdruck je nach Streckentyp über die Abstimmung des Fahrwerks gezielt ab. Das machen sieben andere Teams im Feld genauso. Einige offenbar noch radikaler als Mercedes. Bei Ferrari gibt man zu: "Das ist bei uns seit Jahren ein ganz normales Setup-Werkzeug."
Auch bei Mercedes ist dieses System schon seit Jahren an Bord. Und seit Beginn der Saison 2020 wurde die Hinterachse des Autos nicht mehr verändert. "Sie zählte bei uns zu den homologierten Teilen. Wir konnten sie gar nicht ändern. Damit sind auch die Auswirkungen immer gleich geblieben", beschwichtigt ein Ingenieur.
Austin hat zu viele schnelle Kurven
Nachdem der Topspeed-Unterschied in Austin nur fünf km/h betrug und Mercedes im zweiten Sektor mit der langen Gerade nur 0,16 Sekunden gewann, war Red Bull in Erklärungsnot. Teamchef Horner insistierte dennoch: "Der Vorteil schwankt von Strecke zu Strecke. Hier ist er geringer, weil es genug schnelle Kurven gibt, in denen man das Heck nicht zu weit absenken kann, ohne dafür Anpressdruck zu verlieren. Also können sie auf den Geraden auch nicht so profitieren. In Sotschi und Istanbul war das möglich. Da hat uns Mercedes auf den Geraden sieben Zehntel abgenommen."
Wären da nicht die lästigen Untersuchungen der FIA, könnte Toto Wolff über den Aktionismus der Gegenseite lachen: "Solange sie ihre Energien für so etwas verschwenden wollen, kann uns das nur Recht sein." Red Bull erreicht mit seinen Querschlägern aber immerhin eines: Wenn die Technikkommissare der Anfrage eines Teams nachgehen und das Auto untersuchen, kostet das Zeit und es bindet Leute.