Welche Rolle spielte der Unfall?
Charles Leclerc war der Pechvogel des GP Monaco. Der Trainingsschnellste schaffte es nicht einmal bis zum Start. Die linke Antriebswelle ging zu Bruch. War es einfach nur Pech oder vielleicht doch die Folge des Unfalls vom Samstag?
Es war ein Drama in drei Akten. Zuerst fährt Charles Leclerc auf seiner Hausstrecke Bestzeit, dann fährt er seinen Ferrari in die Mauer. Das sichert ihm die Pole Position, aber es bringt ihm auch 20 Stunden banges Warten auf die Antwort einer Frage ein. Hat das Getriebe den seitlichen Aufprall in die Leitplanken überlebt? "Bei unserem Auto wäre es auf jeden Fall kaputt gewesen", urteilt Red Bull-Designer Adrian Newey. Was tief blicken lässt. Da ist offenbar null Spielraum für Leitplankenkontakt eingebaut.
Vertretbares Risiko?
Die Getriebefrage war für Leclerc eine entscheidende. Hätte Ferrari die Kraftübertragung tauschen müssen, hätte der Monegasse fünf Startplätze verloren. Damit wäre der Traum vom Sieg ausgeträumt gewesen. Um 12.15 Uhr, also knapp drei Stunden vor dem Rennstart, meldete Ferrari dass die Kraftübertragung im Auto bleibt. Die Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass das Risiko vertretbar sei.
Welche Möglichkeiten hat ein Team ein Getriebe unter Parc fermé-Bedingungen auf seine Funktionstüchtigkeit zu untersuchen? Die Mechaniker können es bei laufendem Motor im Stand rauf- und runterschalten, danach das Öl auf Metallrückstände checken, alle Daten überprüfen und unter Aufsicht von FIA-Inspektoren durch Luken mit dem Boroskop mögliche Schäden aufspüren. Offenbar war alles in Ordnung. Teamchef Mattia Binotto hatte gleich nach dem Unfall die Devise ausgegeben: "Wir gehen kein Risiko ein. Priorität hat die Zuverlässigkeit."
Der Knall ausgangs Loews
Einigermaßen beruhigt machte sich Leclerc auf die Fahrt zum Startplatz. Als er die Box verließ, war noch alles in Ordnung. Doch als er aus der Loews-Haarnadel beschleunigte, hörte er in seinem Rücken einen lauten Knall. Der schnellste Mann vom Sonntag schlich in langsamer Fahrt zurück zu den Boxen und gab seiner Verzweiflung mit den Worten: "No, no, no" Ausdruck.
In der Garage stellten die Mechaniker schnell fest, dass die Misere nicht vom Getriebe her rührte. Auf der linken Seite war die Antriebswelle an der Radseite ausgerissen. Das ist etwas seltsam, denn der Einschlag in die Mauer erfolgte mit rechts. Binotto urteilte deshalb: "Der Schaden hat wahrscheinlich nichts mit dem Unfall zu tun. Selbst wenn wir das Getriebe gewechselt hätten, wäre er passiert."
Doch hat Ferrari genügend Teile getauscht? Unfallschäden dürfen im Parc Fermé repariert werden. Am Ende entscheidet aber der Technik-Delegierte Jo Bauer, welches Teil ersetzt werden darf. Das Team darf nur Komponenten tauschen, die offensichtlich beschädigt sind. Reine Vorsichtsmaßnahmen sind ohne Grund nicht erlaubt.
Wurde die linke Antriebswelle übersehen?
Bauers Report führte folgende Komponenten auf: Nase, Frontflügel, rechte Vorderradaufhängung, rechte Hinterradaufhängung, Brems-Hydraulikpumpe, Lenksäule, rechtsseitige Leitbleche und Chassisflügel, Unterboden und Heckflügel. Die linke Antriebswelle fehlt. "Wir durften sie nicht wechseln, weil sie vom Augenschein her nicht beschädigt war", verteidigte sich Binotto gegen Vorwürfe, Ferrari sei zu nachlässig gewesen. Weil aber die Welle radseitig schon nach zwei Kilometern aus dem Leim ging, sind durchaus Zweifel angebracht.
War es wirklich nur ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände, dass im größeren Umfeld von Kraftübertragung und Hinterachse ein Teil so schnell nach dem Wiederaufbau des Autos bricht? Und hat der Unfall wirklich nichts damit zu tun? Der seitliche Stoß wurde vom rechten Rad über die rechte Antriebswelle über das Differential auch auf die linke Seite weitergeleitet. Und vielleicht ist da eben doch etwas an der Verbindung zwischen Welle und Rad angeknackst, was übersehen wurde. Diese Frage kann erst eine genaue Untersuchung in Maranello klären.
So groß die Enttäuschung bei Leclerc war, so vorbildlich sein Teamgeist. Er hätte sich in sein Appartement in Monte Carlo verdrücken und vor Enttäuschung einmauern können, doch er blieb das ganze Rennen über an der Box und stellte sich dann mit seiner Mannschaft vor die Fürstenloge, um den zweiten Platz von Carlos Sainz zu feiern. "Es war eine schöne Geste von Charles und zeigt unser neues Wir-Gefühl und unseren Teamgeist., lobte Binotto.