Die Reifen-Misere des Weltmeisters
Es kommt nicht oft vor, dass Mercedes wie in Monaco von einem Grand Prix nur sieben Punkte mitnimmt. Am Samstag fehlte Reifentemperatur, am Sonntag war der Verschleiß zu hoch. Deshalb musste der Weltmeister während des Rennens die Taktik ändern.
Monte Carlo ist keine Mercedes-Strecke. Daran ändern auch der Sieg von Lewis Hamilton./span> und der dritte Platz von Valtteri Bottas aus dem Jahr 2019 nichts. Vor zwei Jahren rettete Hamilton die Führung mit total abgefahrenen Reifen gegen viel schnellere Gegner. 2018 fuhr der Weltmeister mit den Plätzen 3 und 5 nach Hause, 2017 auf den Positionen 4 und 7. Hamilton hat eine einfache Erklärung für die Monaco-Schwäche: "Wir haben das längste Auto im Feld. Das fährt um die engen Kurven wie ein Bus." Neun der 19 Kurven liegen unter 120 km/h.
Teamchef Toto Wolff bringt es auf den Punkt: "Die DNA unseres Autos passt nicht zu Monte Carlo." Mercedes fehlt auf diesem Typ Rennstrecke im Vergleich zu den stark angestellten Autos der maximale Abtrieb. Die Silberpfeile waren auf der langsamsten Strecke des Jahres mit den Barcelona-Flügeln unterwegs. Red Bull und Ferrari konnten im Vergleich zu Spanien noch draufpacken. Abtrieb bedeutet Reifentemperatur. Und die ist in Monte Carlo die beste Lebensversicherung, weil sie den Fahrer Grip vermittelt und ihr Vertrauen ins Auto stärkt.
Vorderreifen total abgefahren
Weil die schwarzen Autos in den drei freien Trainingssitzungen nicht auf Tempo kamen, wurden in der Pause vor der Qualifikation die Aufhängungen und die Bremsbelüftungen noch einmal komplett umgebaut. Alles zielte darauf hin die Reifen zu heizen. Für Bottas hätte es am Samstag fast zur Pole Position gereicht. Hamilton spürte erst in seiner allerletzten Quali-Runde einen "flüchtigen Eindruck von Grip".
Wer zu viel investiert um schnell Temperatur in die Reifen zu bekommen, bezahlt im Dauerlauf mit erhöhtem Verschleiß. So kehrte sich eine Stärke des Autos in eine Schwäche um. Als die Mercedes-Piloten zum Boxenstopp kamen, waren die Reifen total abgenutzt. Bei Bottas hauptsächlich vorne, bei Hamilton mehr hinten. Die erste Vorahnung hatten die Ingenieure, als sie Bottas baten, Tempo zu machen, um aus Sebastian Vettels Boxenstopp-Fenster zu kommen. Nach zwei schnellen Runden meldete sich der Finne, dass der linke Vorderreifen am Ende sei.
Der hohe Verschleiß warf alle Pläne über den Haufen, die in der Strategiebesprechung am Morgen mit den Fahrern ausgeheckt wurden. Reifenflüsterer Hamilton sollte eigentlich lange fahren und mit einem Overcut Plätze gutmachen. So wie Sergio Perez, der mit dieser Taktik vier Positionen gewann. Als sich der hohe Verschleiß andeutete und Hamilton hinter dem Alpha Tauri versauerte, änderte der Kommandostand seine Strategie. Undercut statt overcut.
Gegen Gasly fehlten zwei Zehntel
Doch auch der frühe Boxenstopp brachte Hamilton kein Glück. Seine Vorderleute Pierre Gasly und Lando Norris zogen sofort nach und blieben vor dem Weltmeister. Der Boxenstopp war nicht schlecht, aber auch kein Rekord. Gasly sicherte sich mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0,2 Sekunden den 6. Platz vor Hamilton. Schlimmer noch: Hamilton hing weiter hinter Gasly fest. Sebastian Vettel und Sergio Perez hatten freie Fahrt und schlugen nun den Mercedes-Piloten ihrerseits mit einem Overcut.Das Rennen von Bottas war mit dem Boxenstopp zu Ende. Rechts vorne mühte sich der Mechaniker vergeblich das Rad vom Radträger zu wuchten. Die Radmutter hatte sich auf der Nabe festgefressen, weil die Kanten des Zentralverschlusses abgeschlagen wurden. Toto Wolff zu den Einzelheiten: "Valtteri hat ein bisschen zu früh gestoppt. Damit musste der Mechaniker den Schlagschrauber schräg ansetzten. Der ungünstige Winkel hat die Radmutter beschädigt, und wir haben sie nicht mehr runtergebracht."
Am Ende ging es nur noch um Schadensbegrenzung. Als der Vorsprung von Hamilton auf den achtplatzierten Lance Stroll groß genug war, wurde er für eine Garnitur Soft-Reifen an die Box geholt und mit einem Sicherheitsstopp abgefertigt. Die schnellste Rennrunde für den Extra-Punkt war für den dreifachen Monaco-Sieger nur eine Formalie. Doch selbst diese Nummer artete für Mercedes zu einer Zitterpartie aus. Man musste sicherstellen, dass Hamilton nach dem Stopp nicht von Sieger Verstappen überrundet wird. Der zweite Reifenwechsel hätte nicht später als in Runde 67 stattfinden dürfen.
Weltmeister verlor beide WM-Führungen
Der fünfte WM-Lauf war statistisch ein Wendepunkt in der Meisterschaft. Hamilton verloren die WM-Führung an Verstappen, Mercedes an Red Bull. Toto Wolff hofft, dass sich auch diese Niederlage wieder ins Gegenteil kehrt und der Titelverteidiger schon beim nächsten Rennen seine Antwort gibt: "Es ist jetzt wichtig die Ruhe zu bewahren und die Fehler genau zu analysieren. Dafür musst du deinen Leute eine Umgebung bieten, in der sie sich sicher fühlen und auch trauen, Fehler anzusprechen."
Hamilton ergänzte: "Es geht nicht darum, Schuldige ausfindig zu machen, sondern Probleme zu lösen. Wir haben als Team nicht gut genug gearbeitet. Das nehmen wir nicht auf die leichte Schulter. Es wird wie immer in solchen Fällen ein paar lange und gute Meetings geben, bei denen wir Antworten auf unsere Fragen finden. Und es wäre nicht das erste Mal, dass wir aus einer Niederlage gestärkt zurückkommen."
Nebelkerzen von Red Bull.
Baku ist kein Abziehbild von Monte Carlo, sondern eher das Gegenteil. Der Stadtkurs am Kaspischen Meer verlangt beste aerodynamische Effizienz auf einem viel niedrigeren Abtriebsniveau. "Monaco ist ein Ausreißer", führt Wolff aus. "Wir bauen Autos, die auf 90 Prozent aller Strecken gut sind." In Baku zählt auch der Topspeed. Da wird auch das Thema der Biege-Flügel wieder hochkochen.
Die neuen Testnormen der FIA gelten zwar erst für die Zeit danach, doch Mercedes will das nicht so einfach hinnehmen. Wer in Baku den Heckflügel geschickt nach hinten biegt, gewinnt eine halbe Sekunde. Deshalb warnt Mercedes hinter vorgehaltener Hand vor einem möglichen Protest. "McLaren und Aston Martin sind mit uns auf einer Linie", droht Wolff. Red Bulls Versuche, die FIA nun zu schärferen Frontflügel-Tests zu motivieren, bezeichnet er als Nebelkerzen. Der Österreicher weiß: In dieser Saison darf man keinen WM-Punkt an den Gegner verschenken. Auch außerhalb der Strecke nicht.