Alle Tricks haben versagt
Lewis Hamilton versuchte alles, um Max Verstappen von der Pole Position zu stoßen. Aber nicht einmal drei Versuche im Q3 hatten Erfolg. Der WM-Gegner war einfach um zwei Zehntel schneller.
Seit vier Rennen ist Lewis Hamilton./span> nun nicht mehr auf der Pole Position gestanden. Das ist für seine Verhältnisse eine ungewöhnlich lange Durststrecke. Immerhin schaffte er es wie in Baku und Paul Ricard in die erste Startreihe. Dabei half ihm eine Strafe für seinen Teamkollegen Valtteri Bottas. Der Finne war ausnahmsweise der schnellere Mercedes-Pilot. Und das mit der Fahrwerksabstimmung von Hamilton.
Schon am Freitag deutete sich für Mercedes an, dass Max Verstappen auf dem Red Bull.Ring schwer zu bezwingen sein würde. "Max war im Schnitt um zweieinhalb Zehntel schneller als wir, auch in den Longruns", berichten die Ingenieure.
Gegen diese Übermacht konnten nur noch besondere Maßnahmen helfen. Die Mercedes-Piloten waren am Freitag mit unterschiedlichen Abstimmungen unterwegs. Bei der Suche nach den besten Parametern aus zwei Lösungen blieb fast nur noch das Hamilton.Setup übrig.
Plötzlich war auch Spielberg-Spezialist Bottas schnell. "Ich hatte wieder ein Gefühl für mein Auto. Die andere Seite der Garage hat mir diesmal geholfen. Mit unserem Auto ist es leicht, mit dem Setup auf die falsche Fährte zu geraten."
Bottas findet Strafe zu hart
Im dritten Training überraschte sich Mercedes selbst. Hamilton und Bottas nahmen den vermeintlich unschlagbaren Verstappen ins Sandwich. Der Weltmeister immerhin mit einem satten Vorsprung von 0,204 Sekunden.
Begeistert feuerte sich Hamilton an: "Das ist die Runde, die ich brauche, um Max im Q3 zu schlagen." Die Ingenieure dagegen waren ratlos. Am Setup bei Hamilton hatte sich praktisch nichts geändert. "Vielleicht hatte es mit der grünen Strecke zu tun. Da ist Mercedes immer besonders stark", grübelte man bei Red Bull.
Egal, was es war. Mercedes konnte die Leistung vom dritten Training nicht in die Qualifikation hinüberretten. Bottas fehlten 0,194 Sekunden auf die Pole Position, bei Hamilton waren es 0,208 Sekunden. "Es war eine gute Runde von mir. Da lagen aber keine zwei Zehntel mehr auf dem Tisch", urteilte Bottas.
Der Finne ärgerte sich über die drei Startplätze, die er wegen seines Drehers in der Boxengasse zurück muss. "Die Strafe ist übertrieben. Ich war mir sicher, dass es keine gibt. Doch dann haben andere Teams ihren Vorteil gesehen, und sich beschwert, dass die Aktion zu gefährlich war." Teamchef Toto Wolff pflichtete bei: "Valtteri wurde bestraft, weil er ehrlich war. Statt Ausreden zu suchen hat er zugegeben, dass er das Losfahren nach einem Boxenstopp verbessern wollte."
Droht bald die nächste Direktive?
Hamilton zog alle Register, um vielleicht doch noch irgendwie den Red Bull an der Spitze zu knacken. Wenn der Weltmeister als einziger im Q3 mit drei Garnituren Soft ausrückt, dann muss die Not schon groß sein. Die ersten beiden Versuche hatte Hamilton die Strecke für sich und perfekte Bedingungen. Für den letzten Schuss geriet er zwangsläufig in den Verkehr.
Er überholte in der Aufwärmrunde ein halbes Dutzend Autos, um sich in eine bessere Ausgangsposition zu bringen. Dabei schoss er sich ein Eigentor: "Ich musste auf der schmutzigen Spur überholen und habe dafür in der ersten Kurve bezahlt. Da lag ich schon ein Zehntel hinten. In Kurve 3 waren es zwei Zehntel."
Hamilton machte den Zeitverlust auf den Geraden wieder an dem Top-Speed-Manko der Silberpfeile fest. Die Zahlen belegen das. Der erste Sektor ging mit 16,145 zu 16,267 Sekunden an Verstappen, der zweite mit 28,309 zu 28,441 Sekunden. In beiden Abschnitten dominieren die Geraden. Im Top-Speed fehlten Hamilton nur knapp 2 km/h. Dafür war der Engländer seinem WM-Gegner im letzten Sektor mit den schnellen Kurven um eine Nasenlänge voraus. Acht Tausendstel trennten die beiden.
Vorteil auf den Geraden ist weg
Mercedes begründet die Schwäche auf den Vollgas-Passagen mit dem Leistungssprung, den Honda mit seiner zweiten Antriebseinheit gemacht hat. Von bis zu 14 PS ist da die Rede. Und man wundert sich hinter vorgehaltener Hand darüber, wie ein Zuverlässigkeits-Update so viel Leistung bringen kann. Wird da schon wieder ein neues Fass aufgemacht und die FIA zu der nächsten Technischen Direktive gezwungen?
Max Verstappen scheint Böses zu ahnen und verweist die PS-Steigerung in die Welt der Märchen. Stattdessen bringt er den kleineren Heckflügel ins Spiel, den Red Bull seit Baku erfolgreich einsetzt. Da darf man sich aber nicht täuschen. Der Flügel hat vielleicht weniger Fläche als der von Mercedes, er ist aber wegen der starken Anstellung des RB16B auch stärker angewinkelt.
Toto Wolff gab sich keinen Illusionen hin: "Jahrelang haben wir einen Vorteil auf den Geraden gehabt. Jetzt dürfen wir uns nicht beschweren, wenn es anders herum ist. Wir müssen einfach versuchen schneller in den Kurven zu sein."
Noch ist die WM nicht verloren
Immerhin konnte Mercedes ein Planziel erfolgreich abhaken. Beide Fahrer gehen wie Verstappen mit Medium-Reifen in das Rennen. Da Red Bull Sergio Perez bewusst auf die Soft-Reifen setzte, ist wieder ein Taktik-Poker zu erwarten. Die Schlacht ist noch nicht verloren, betonen Wolff, Hamilton und Bottas, und denken dabei nicht nur an den Regen, der laut Wetterprognose am Sonntag über den Red Bull.Ring hinwegziehen könnte.
Wolff glaubt wie sein Gegenspieler Christian Horner, dass wir wieder ein Rennen erleben werden, bei denen jede Kleinigkeit zählt und erst am Ende abgerechnet wird. "Das Rennen entscheidet sich nicht auf den Geraden, sondern im Reifenmanagement, durch Undercuts oder Overcuts. Red Bull hat im Moment ein schnelleres Paket. Wir müssen unsere Intelligenz dazu nutzen, das Auto, die Reifen und das Setup optimal zu nutzen. Dann können wir auch diese Weltmeisterschaft gewinnen."