Brawn verspricht mehr F1-Action
Beim GP England wird Geschichte geschrieben. Die Formel 1 ermittelt die Startaufstellung durch ein Sprintrennen. Sportdirektor Ross Brawn spricht von einem Win-win-Geschäft für alle. Wir sagen ihnen, was Sie wissen müssen.
Für die Formel 1 ist es eine Revolution. Ein Mini-Grand Prix am Samstag als Appetitanreger auf das Hauptrennen am Sonntag. Ganz so neu wie sie jetzt daherkommt, ist die Idee allerdings nicht. In der Formel-2-Europameisterschaft gab es Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre diverse Rennen, bei denen die Startaufstellung in Vorläufen ermittelt wurde.
Die Formel 1 doktert seit einiger Zeit an diesem Format herum. Es scheiterte immer wieder an den Regularien und dem Einspruch einzelner Teams. Der Vorschlag, für den Sprint am Samstag umgekehrt zum WM-Stand zu starten, wurde von Mercedes abgelehnt. Also fährt das Feld in der Reihenfolge der Qualifikation am Freitag los.
Damit in dem 100-Kilometer-Rennen am Samstag auch etwas passiert, wurde noch ein kleiner Anreiz in Form von WM-Punkten gesetzt. Die Belohnung soll die Fahrer motivieren, ihre Positionen zu verbessern.
Vorneweg noch der Name. Das, was da beim GP England uraufgeführt wird und die Formel-1-Welt auf den Kopf stellen soll, heißt weder "Sprintrennen" noch "Sprintqualifikation". Der eine Name war dem F1-Management zu irreführend, der andere zu sperrig. Ab sofort wird der neue Programmpunkt kurz und bündig "Sprint" genannt.
Action an allen drei Tagen
Mit dem Qualifikationsmodus wurde in der Formel 1 schon viel herumexperimentiert. Von 2002 bis 2005 änderten sich die Regeln fast ständig. Seit 2006 hat sich das K.O.-System in drei Segmenten durchgesetzt. Der Versuch 2016 alle 90 Sekunden den jeweils langsamsten Fahrer im Feld ausscheiden zu lassen, misslang. Nach zwei Versuchen kehrte man zum alten System zurück, das bis heute gilt.
Und trotzdem wollen die Rechteinhaber ihre Show mit neuen Elementen auffrischen. Ausgangspunkt war die Frage: Wie können wir den Fans an allen drei Tagen Action bieten, dem Fernsehen und den Medien Stoff für Geschichten und den Veranstaltern einen Bonus, für den sie natürlich bezahlen müssen? So kam am Ende die Idee eines Sprintrennens als Zugabe zur traditionellen Qualifikation ins Gespräch.
Drei Sprints sind in dieser Saison vorgesehen. Silverstone und Monza sind gesetzt. Als drittes Rennen war der GP Brasilien eingeplant, doch der Termin könnte wegen der hohen Infektionslage in dem südamerikanischen Land wackeln.
Das F1-Management will sich deshalb mit der Vergabe des dritten Sprints Zeit lassen. Eine Möglichkeit wäre Austin, wenn dort zwei Rennen stattfinden sollten. Sicher ist, dass es im Finale keinen Sprint geben wird. "Wir wollen nicht, dass ein neues Format die WM entscheidet", heißt es aus dem F1-Hauptquartier.
Parc fermé schon ab Freitag
Der größte Fan des neuen Formats ist mittlerweile Formel-1-Chef Ross Brawn. Der frühere Ferrari-Technik-Direktor und Mercedes-Teamchef erklärt, warum der Sprint ein Win-win-Geschäft ist. "Wir haben jeden Tag einen Höhepunkt. Am Freitag die Qualifikation, am Samstag den Sprint, am Sonntag den Grand Prix." Brawn treibt die Hoffnung, dass dieser Ablauf Überraschungen und damit mehr Spannung bringt.
Der größte Eingriff in das übliche Prozedere ist wahrscheinlich der vorgezogene Parc fermé. Die Teams haben Freitagmittag nur eine Stunde Zeit, ihre Autos optimal abzustimmen und sich auf die Qualifikation am Abend vorzubereiten. Danach dürfen nur noch Frontflügel und Reifendruck geändert werden.
Fehler im Setup sind irreversibel. "Die Teams werden weniger gut vorbereitet sein", verspricht Brawn. Im zweiten freuen Training am Samstag werden dann ausschließlich Longruns absolviert, um die Haltbarkeit der Reifensorten zu checken. Dafür ist am Freitagvormittag keine Zeit. Die Trainingssessions werden für Piloten und Ingenieure insgesamt deutlich stressiger.
Die Qualifikation nach dem üblichen K.O.-System findet mit Bedacht am Freitagabend statt. In Silverstone ist Anpfiff um 18 Uhr Ortszeit. "Wir haben die Quali in den frühen Abend verlegt, damit möglichst viele Leute nach der Arbeit zuschauen können", erklärt Brawn.
Freie Reifenwahl bei den Rennen
Insgesamt gibt es über das Wochenende nur zwölf statt 13 Reifensätze pro Fahrer. Die Verteilung ist festgeschrieben. Sechs Soft, vier Medium und zwei Hard. Für die Qualifikation bekommt jeder Fahrer fix vier Garnituren Soft. Andere Mischungen sind nicht erlaubt. Mit vier Reifensätzen können die Top Ten-Fahrer zwei davon ins Q3 retten. Außer sie brauchen zum Weiterkommen in den ersten beiden Runden eine zusätzliche Garnitur.
Das Qualifikationsergebnis bestimmt die Startaufstellung für den Sprint am Samstagabend. Der wird um 16.30 Uhr Ortszeit gestartet und geht über mindestens 100 Kilometer. In Silverstone sind das 17 Runden. Die Reifenwahl für den Sprint ist frei. Die Mercedes-Strategen erwarten, dass alle den Medium-Reifen wählen. Mit dem kommt man ohne Stopp und ohne Sorgen über die Distanz.
Während die Beteiligten skeptisch sind, ob am Samstag nach dem üblichen Chaos in der ersten Runde viel überholt wird, wirbt Ross Brawn. "Das wird Rennsport wie früher. Keine Boxenstopps, kein Kommandostand, der mitredet, nur 40 Kilogramm Sprit im Tank, Vollgas von der ersten Runde an. Die Fahrer sind auf sich allein gestellt."
Der F1-Sportchef ist sich auch nicht so sicher, dass alle die gleiche Reifensorte fahren. "Die Konservativen wählen den Medium-Reifen, mit dem sie 17 Runden voll fahren können. Die Spieler fahren vielleicht mit dem Soft-Reifen los, profitieren am Anfang vom Grip-Vorteil und müssen dann die Reifen über die Distanz bringen."
Keine Pokale am Samstag
Der Sieger vom Samstag bekommt keinen Pokal und keine Siegerehrung, dafür aber drei Punkte. Ihm gehört faktisch und statistisch die Pole-Position. Für Platz zwei gibt es zwei Zähler, für Rang drei einen Punkt. Das kann ein Anreiz für die Schlacht an der Spitze sein. Für den Rest geht es nur darum, sich in der Startaufstellung für den Sonntag zu verbessern.
Alle 20 Starter dürfen sich zum Hauptrennen die Reifen frei auswählen. Die Regel, dass der Q2-Reifen der Startreifen ist, entfällt. Die Möglichkeiten für Reparaturen am Auto sind begrenzt. Am Freitagabend darf die Kupplung gegen ein vorbereitetes Exemplar getauscht werden, nach dem Sprint Bremsen, Zündkerzen, Filter, defekte oder beschädigte Teile. Alle Strafen, egal wann sie anfallen, gelten nur für das Hauptrennen.
"Der Grand Prix wird immer noch der Höhepunkt des Wochenendes sein. Wir werden ihn mit dem Sprint nicht kannibalisieren", verspricht Brawn. Das Superhirn der Formel 1 hat auch keine Angst, dass der Sprint eine Prozession wird. "Echte Rennfahrer fahren nicht hintereinander her. Ich möchte den Fahrer sehen, der nicht dagegenhält, wenn ein anderer angreift und den, der abwartet, wenn er eine Überholchance sieht."
Brawn erinnert an den Zweirunden-Sprint von Baku nach dem zwischenzeitlichen Abbruch: "Das war das Highlight der Saison." Brawn beruhigt die Traditionalisten: "Das ist ein Versuch, neue Fans anzulocken, ohne die alten zu verärgern. Wir brechen nicht mit der DNA der Formel 1. Das ist kein Gag um der Show willen. Es gewinnt immer noch der Beste, und er wird dafür auch belohnt."
Am Ende der Saison wollen die Formel-1-Chefs Bilanz ziehen. "Wir werden uns in Absprache mit den Teams ganz unvoreingenommen die Frage stellen: Was hat es gebracht? Was müssen wir verändern? Wenn es funktioniert, wird es nächstes Jahr wahrscheinlich mehr davon geben. Mit den 2022er Autos wird das Überholen einfacher sein. Dann eignen sich mehr Strecken dazu."
Man muss keine Angst haben, dass es plötzlich ein Flut von Sprintrennen gibt. Die Formel 1 sieht den neuen Programmpunkt als zusätzliche Geldquelle. Sie kann das Spektakel interessierten Veranstaltern nur verkaufen, wenn es einigermaßen exklusiv bleibt.