Start verloren, Rennen gewonnen

Glück für ihn, dass vor dem Rennen die drei gelben Abweiser auf der Außenseite der ersten Kurve abmontiert worden. Sonst wäre es ungemütlich geworden.
Im Vorfeld war mit einem Mercedes-Sieg in Austin gerechnet worden. Doch Max Verstappen und Red Bull entrissen den Silberpfeilen mit einem pfeilschnellen Auto den Triumph. Im Mittelfeld überragte Ferrari mit Charles Leclerc. Diskutiert wurde über Überholmanöver neben der Strecke.
Max Verstappen siegte in Austin zum achten Mal in diesem Jahr und zum 18. Mal in seiner Laufbahn. In unserer Rennanalyse klären wir die wichtigsten Fragen rund um den GP USA 2021.
Wie taktierten die Spitzenteams?
Wenn Max Verstappen den Start von der Pole Position gewonnen hätte, wäre es wahrscheinlich ein einfacher Sieg geworden. Der WM-Führende hätte auf den Mediumreifen eine große Lücke aufgerissen, und hätte sich danach auf das Reifenmanagement verlagern können. Konnte er aber nicht, weil ihn Lewis Hamilton auf den ersten 240 Metern ausbeschleunigte. "Der Druckpunkt der Kupplung war nicht optimal. Das war ein Problem der Technik", entschuldigte Red Bulls Sportchef Helmut Marko.
In der Folge klebte der Red Bull dem Mercedes formatfüllend im Rückspiegel. Hamilton rutschte, Verstappen hielt sich stets innerhalb von einer Sekunde. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er klar schneller gekonnt hätte. "Es ist uns jetzt schon ein paar Mal aufgefallen, dass Mercedes mit vollen Tanks nicht so wettbewerbsfähig ist", sagt Marko. Red Bull vermutet, dass da irgendein Zusammenhang mit der Motorleistung besteht, was Mercedes verneint.
Der frühe Wechsel in der zehnten Runde auf die harten Reifen brachte Verstappen an seinem Rivalen vorbei. "Es bestand die Gefahr, dass sich Max hinter Lewis selbst die Reifen überhitzt. Das wollten wir vermeiden", erklärt Teamchef Christian Horner den Denkansatz. "Wir konnten in dieser frühen Phase nicht an einen Reifentausch denken, weil wir auf Basis unserer Daten sonst kein Zweistopprennen hätten fahren können", berichtete sein Mercedes-Pendant Toto Wolff.
Red Bull ging mit der Strategie in die Offensive, geriet dadurch aber hinten heraus in die Defensive. Weil Verstappen sofort Gas geben musste, damit der Undercut sicher gelingt, was er später im Stint mit nachlassenden Reifen bezahlte. Dadurch war er zu einem frühen zweiten Stopp gezwungen. Hamilton war bereits bedrohlich aufgeschlossen. Red Bulls Superstar lernte aus dem Stint auf den harten Reifen. Im zweiten machte er es besser. Verstappen streichelte die Pirellis, um in der Schlussphase genügend Körner zu haben, um den heranstürmenden Hamilton abzuwehren. Der hatte acht Runden länger auf der Strecke ausgeharrt, um ein möglichst großes Reifendelta zu schaffen.
Es reichte nicht mal mehr für einen Angriff, obwohl die Überrundeten ihm Verstappen näher brachten. "Aufholen ist eine Sache. Doch beim Hinterherfahren leidet das Auto mehr. Zwei Runden mehr, und wir hätten ihn vielleicht gepackt", sagt Wolff. Sein Starfahrer trauerte gar nicht lange: "Red Bull hatte das schnellere Auto an diesem Wochenende." Der zuletzt große Mercedes-Vorteil auf den Geraden schrumpfte zusammen. Die schnellen Kurven und die Bodenwellen nahm den Ingenieuren die Freiheit, das Heck auf den Geraden zugunsten des Topspeeds stärker abzusenken. "Wir sind auch einen kleineren Heckflügel gefahren", wirft Marko ein. Außerdem kämpfte Mercedes in Austin in den S-Kurven stärker mit dem Seitenwind als Red Bull.
Was war mit Perez los?
Sergio Perez musste ab dem zweiten Stint zur Spitze abreißen lassen. Das lag einerseits daran, dass er zunächst mit einem gebrauchten Mediumreifen weiterfahren musste. Andererseits an seiner körperlichen Verfassung. "Es war das härteste Rennen meines Lebens. Ab der 20. Runde hatte ich massiv zu kämpfen."
Ein Problem war, dass Perez bei Temperaturen um die 30 Grad Celsius nicht trinken konnte, weil das Versorgungssystem Defekt war. Schon auf dem Weg in die Startaufstellung hatte es geleckt. "Sergio kämpfte das ganze Wochenende mit einer Magenverstimmung. Ohne Flüssigkeit war es doppelt schwer für ihn", erklärte der Teamchef. Sportdirektor Marko merkte süffisant an. "Nimmt er halt ein bisschen ab." Diese spitzbübische Aussage darf man dem Grazer Doktor nicht krumm nehmen.
Wieso war Ferrari so stark?
Charles Leclerc jubelte nach einem ungefährdeten vierten Platz. "Das war ein sehr, sehr gutes Rennen. Jede Runde fühlte sich an wie eine Quali-Runde. Ich habe nichts offen gelassen." Im Ziel betrug sein Vorsprung auf den ersten Verfolger, Daniel Ricciardo, 24,608 Sekunden. McLaren musste anerkennen: "Ferrari war klar stärker. Wir mussten mehr Reifenmanagement betreiben, und können froh sein, wenigstens einen Ferrari hinter uns gelassen zu haben." Das rote Auto ging pfleglicher mit den Gummis um, und war obendrei deutlich flotter.
In der Qualifikation überdeckte der Extra-Grip der Reifen die Nachteile von McLaren. Im Rennen war die rote Konkurrenz im Mittel um fast eine halbe Sekunde pro Runde schneller. "Auf dem Papier passt diese Strecke nicht ideal zu unserem Auto. Dass wir so schnell waren, macht mich für die weiteren Rennen zuversichtlich", erklärte Teamchef Mattia Binotto.
Ferrari konnte sein Auto auf maximalen Abtrieb trimmen, ohne dafür auf den Geraden zu büßen. Das wäre vor ein paar Wochen noch undenkbar gewesen, ist mit dem Hybrid-Upgrade seit Russland aber möglich. Der SF21 hat mehr Dampf am Kurvenausgang und mehr Elektro-Reserve am Ende der Gerade. Ferrari war in Austin in allen Kurventypen gut – ob schnell oder langsam.
Carlos Sainz hätte Fünfter und nicht Siebter werden können, wenn er besser gestartet wäre oder sein zweiter Boxenstopp nicht in die Hose gegangen wäre. Der Tausch dauerte 5,6 Sekunden. "Sonst wären ich locker an Ricciardo vorbeigekommen." Der Abstand in der Runde vor dem Boxenbesuch lag bei 1,4 Sekunden. "Es gab ein Problem beim Abziehen des rechten Hinterrades. Es hat geklemmt. Das müssen wir in Maranello analysieren", erklärt der Teamchef. Im beinharten Zweikampf gegen Ricciardo zog Sainz den Kürzeren, und fiel dann noch Valtteri Bottas in die Arme.
Wieso ging Leclerc nicht auf den Extra-Punkt?
Hamilton eroberte den Extra-Punkt für die schnellste Rennrunde. Nach dem Grand Prix fragten sich Beobachter, warum Leclerc in den letzten Runden nicht noch einen Satz der weichen Mischung abholte, um eine Attacke zu reiten. Ausreichend Puffer hatte er zu Ricciardo. Binotto gab sich schmallippig. "Wir haben es in Betracht gezogen, aber aus verschiedenen Gründen davon abgesehen. Es erschien uns zu riskant."
Leclerc führt aus: "Wir haben den Rückstand zu Perez verkleinert. An einem Punkt dachte ich, ich könne ihn noch einholen. Ein Boxenstopp birgt immer ein gewisses Risiko. Das Team hat entschieden, keines mehr einzugehen."
Dachte Red Bull darüber nach, seinen Schützling zu opfern, um Hamilton den Punkt zu entreißen? Horner verneint: "Es wäre brutal gewesen, Sergio das Podest zu rauben." McLaren zog es mit Norris wie Ferrari in Betracht, verzichtete aber ebenfalls darauf. "Wir haben es nicht gemacht, weil wir mit Lando fast noch Carlos bekommen hätten", sagt Teamchef Andreas Seidl. Es fehlten 0,850 Sekunden dazu.
Beschwerte sich Alonso zurecht?
Fernando Alonso schäumte. Dem Spanier missfiel, dass ihn Kimi Räikkönen in Runde 16 in der ersten Kurve neben dem Randstein überholte, und ungestraft davon kam. Der Weltmeister von 2005 und 2006 sah keine Stringenz in der Bewertung der Kommissare, weil sie bei seinem Duell mit Antonio Giovinazzi später eine andere Meinung vertraten. "Wenn sie konsequent wären, hätten sie Kimi bestrafen müssen."
Rennleiter Michael Masi gab zu, dass das Räikkönen-Manöver am Rande der Legalität war. "Es gibt immer zwei Seiten der Medaille. Räikkönen wurde von der Strecke gedrückt, und hat daraus ein Überholmanöver erfolgreich gestartet. Das kommt beim nächsten Fahrer-Meeting auf den Tisch."
Für Alfa-Teammanager Beat Zehnder war der Fall klar. "Kimi wurde von der Strecke gedrückt. Es steht sowohl im Sportgesetz als auch in den Event Notes, dass Track Limits in so einem Fall nicht gelten." Für einen Punkt reichte es für den Iceman dennoch nicht. Er verschenkte ihn mit einem Dreher in der 53. Rennrunde. Seine Reifen waren am Ende. "Leider habe ich mir im Zweikampf mit Fernando den Unterboden beschädigt. Das hat zu einem beschleunigten Reifenverschleiß geführt. Am Ende hatte ich kaum mehr Hinterreifen übrig, musste aber hart pushen, um mir Sebastian vom Leib zu halten."
Zehnder ist überzeugt: "Wenn Kimi auf der Strecke geblieben wäre, hatte uns Sebastian nicht mehr überholt. Er hat ja schon vier Runden gegen Antonio gebraucht. Bei Kimi wären ihm die Runden ausgegangen."