Keine klare Linie
Wenn der Begriff Chaosrennen je Gültigkeit hatte, dann bei der GP-Premiere in Saudi-Arabien. Das Chaos wurde auch von der Rennleitung und den Sportkommissaren geschürt, meint Michael Schmidt. Mit der zweiten Strafe für Max Verstappen macht man sich angreifbar.
Sollen wir froh sein über ein Rennen wie den GP Saudi-Arabien? Aus Sicht des Reporters ja. Es gibt viel zu erzählen, aufzuklären, zu kritisieren. Und es hat diese unglaubliche WM-Story um ein weiteres kurioses Kapitel reicher gemacht. Eines, das man sich schon gar nicht mehr ausdenken kann. Ein Safety Car, zwei rote Flaggen, zwei Re-Starts, zwei Kuhhandel zwischen Rennleitung und Red Bull, ein Auffahrunfall zwischen den WM-Rivalen und ein Ende mit Strafen. Es ist sicher nicht einfach, Rennleiter oder Sportkommissar zu sein, doch manchmal beschlich einen an diesem Abend der Eindruck, man wäre bei einem Clubrennen.
Die Irrungen und Wirrungen, die dieses Rennen genommen hat, kann man alle akzeptieren. Doch beide Strafen hatten einen Beigeschmack. Die erste, weil sie gegeben wurde, obwohl Max Verstappen drei Mal den Platz an Lewis Hamilton./span> hergeben wollte. Die zweite, weil ihr ein gravierender Denkfehler zugrunde liegt. Da muss man sich nicht wundern, wenn Christian Horner mit seiner These Sympathisanten findet, dass alle Entscheidungen immer nur gegen Red Bull ausfallen.
Schacherei schadet Sport
Eines sollte jedem Beobachter dieses Sports klar geworden sein. Dieser Max Verstappen ist ein ganz harter Knochen. Er fährt im Grunde immer noch so, als säße er in einem Kart. Ellbogen raus, Augen zu und Hoffen auf das Beste. Die Strecke gehört mir. Und wer sich wehrt, muss damit rechnen, dass der Kampf neben der Strecke weitergeht. Das kann man mögen oder auch nicht. Man kann dagegenhalten oder auch nicht. Vielleicht haben Verstappens Gegner zu oft zurückgesteckt. Wenn ihm einer das dritte Mal ein Rad reinstellt, dann wird es kein viertes Mal geben.
Die Fünf-Sekunden-Strafe geht prinzipiell in Ordnung. Auch wenn Verstappen sich damit verteidigt, dass auch Hamilton neben der Strecke war. Aber er selbst hat ihn erst dorthin gedrängt. Es ist auch noch akzeptabel, dass man Red Bull einen Deal anbietet: Entweder fünf Sekunden oder Vorbeilassen. Dann will Verstappen vorbeilassen, ein Mal, zwei Mal, drei Mal und bekommt trotzdem eine Strafe.
Okay, das erste Mal ging schief. Woran aber Hamilton nicht ganz unschuldig war. Das zweite Mal gilt nicht, weil Verstappen den gleichen Bauerntrick anwendete wie sein Gegner 2008 in Spa. Aber beim dritten Mal war der Platztausch vollzogen, wenn auch mit reichlich Verspätung. Die fünf Sekunden haben sowieso nichts mehr am Ergebnis geändert. Verstappen hätte auch so das Rennen verloren.
Das Hin und Her hinterlässt einen Beigeschmack, der dem Geschäft nicht guttut. Weil darin keine klare Linie zu erkennen ist. Weil er ein bisschen an einen Kuhhandel wie vor dem zweiten Re-Start erinnerte. Da konnte jeder dem Funkverkehr zwischen der Rennleitung und Red Bull zuhören. Gehst du einen Platz zurück, dann vergessen wir Verstappens Aktion beim ersten Re-Start. Ach sorry, doch zwei Plätze. Auf jeden Fall hinter Hamilton. Gib uns Bedenkzeit, hieß es bei Red Bull. Nur um dem Platztausch dann doch zuzustimmen. Das erinnerte an das Feilschen auf einem arabischen Basar. Vielleicht fühlten sich die Beteiligten durch die Örtlichkeit dazu animiert.
Begründung geht an der Realität vorbei
Der unrühmliche Höhepunkt aber war die zweite Zeitstrafe für Verstappen, die Red Bull zwei Stunden nach der Zieldurchfahrt ins Haus flatterte. Verstappen wurde die Hauptschuld an dem Auffahrunfall zugesprochen, weil er erst verlangsamte und, als Hamilton nicht vorbei wollte, noch einmal recht heftig auf die Bremse stieg. Die Sportkommissare entlasteten Hamilton mit der Begründung, dass er aus verständlichen Gründen Verstappen nicht vor dem DRS-Messpunkt überholen wollte, um nicht auf der Zielgerade in einen Konter zu laufen.
Habe ich da was verpasst? Angeblich hat Hamilton nichts davon gewusst, dass Verstappen ihn vorbeilassen soll. Also muss er sich um die DRS-Linie keine Gedanken machen. Weil sie dann völlig unerheblich für ihn ist. Verstappen hätte ja auch ein technisches Problem zum Langsamfahren zwingen können. Hätte Hamilton dann auch bis zum DRS-Messpunkt gewartet? Wohl kaum.
Also entweder er hat etwas gewusst, dann darf er nicht direkt im Windschatten des Red Bull darauf warten, bis die Linie kommt. Weil er damit rechnen muss, dass ihm Verstappen unter allen Umständen den Vortritt lässt. Oder er hat nichts gewusst. Dann gibt es keinen Grund, hinter Verstappen zu warten. Dann ist Hamilton selbst schuld. Hätte er Verstappens erste Einladung angenommen, wäre es zu dem Bremsmanöver gar nicht mehr gekommen.