Der FIA-Sensor muss endlich her
Um die Reifenschäden von Baku ist ein Streit entbrannt. Pirelli behauptet gegenüber den Teams, dass eine Kombination aus Schwingungen und zu niedrigem Luftdruck dazu geführt haben soll. Die Teams streiten ab, mit dem Luftdruck gespielt zu haben. Jetzt muss der FIA-Sensor her, meint Michael Schmidt.
Das war eine schwere Geburt. Pirelli informierte die Öffentlichkeit mit einem Tag Verspätung, warum ihrer Meinung nach bei Lance Stroll und Max Verstappen beim GP Aserbaidschan die Reifen geplatzt sind. Beide Male der linke Hinterreifen, beide Mal bei über 300 km/h, beide Male nach mindestens 30 Runden Laufzeit.
In Pirellis Pressemitteilung steht, dass jeweils die innere Seitenwand kollabiert sei, was man sich nur so erklären könne, dass zum Zeitpunkt der Reifenplatzer Parameter wie der Luftdruck nicht den Betriebsbedingungen entsprochen haben. Dies könne selbst dann vorkommen, wenn sich die Teams beim Einstellen des Startdrucks an die offiziellen Vorgaben von Pirelli gehalten hätten. Die Antwort von Red Bull ließ nicht lange auf sich warten. Man habe zu jeder Zeit an die Vorschriften von Pirelli befolgt. Auch das Auto sei in Ordnung gewesen.
Genau darin liegt die politische Brisanz der Aufarbeitung der Reifenplatzer beim GP Aserbaidschan. Pirelli muss irgendwie erklären, dass die Schäden nicht allein auf die Konstruktion der Reifen zurückzuführen sind. Die Teams wollen sich nicht vorwerfen lassen, dass sie mit dem Reifendruck getrickst haben.
Sie sind auf der sicheren Seite, weil man ihnen im Nachhinein nicht nachweisen kann, wie hoch der Luftdruck in der fraglichen Situation gewesen ist. Weil Pirelli in einem internen Schreiben an die Teams etwas deutlicher wurde als in dem Presse-Statement, gab es Stunk. Die betroffenen Teams fühlten sich plötzlich als Sündenbock. Man feilschte tagelang an der Wortwahl, wie alle unbeschadet aus der Nummer wieder rauskommt.
Alte Probleme bei Pirelli
Wenn der Luftdruck tatsächlich den geforderten Werten entsprochen hat, wäre Pirelli in Erklärungsnot. Ganz offensichtlich hatte man schon so etwas wie eine Vorahnung, dass es eng werden könnte. Pirelli ordnete nach dem Datenstudium der Freitagstrainings an, den Luftdruck der Hinterreifen von 19 auf 20 PSI zu erhöhen. Das war eine reine Schutzmaßnahme.
Schon im letzten Jahr war es unter bestimmten Umständen zu alarmierenden Schäden an Hinterreifen gekommen. Hochfrequente Schwingungen, ausgelöst durch das Überfahren von Randsteinen, konnten in Verbindung mit hohen Geschwindigkeiten über eine gewisse Laufzeit der Innenschulter der Hinterreifen Schaden zufügen. Zwei Reifenplatzer von 2020 sind uns noch in lebhafter Erinnerung: Lance Stroll in Mugello, Max Verstappen in Imola. Nebenbei bemerkt, die gleichen Herren wie in Baku. Was natürlich den Verdacht aufkommen lässt, dass da vielleicht doch mit dem Reifendruck manipuliert wird.
Nach den alarmierenden Erfahrungen der letzten Saison hat der italienische Hersteller die innere Struktur der Reifen für 2021 stabiler ausgelegt, obwohl die FIA die Aerodynamik um rechnerisch zehn Prozent Abtrieb reduziert hat. Die Reifen wurden dadurch um 2,8 Kilogramm schwerer. Dafür durften die Teams seit diesem Jahr deutlich die Luftdrücke senken. Würde es nun jedoch weiter zu Schäden kommen, würde das bedeuten, dass die Maßnahme keine Wirkung zeigt. Das darf aus Sicht von Pirelli nicht sein. Deshalb kam der Verdacht auf, dass die Luftdrücke während der Fahrt vielleicht nicht immer den Vorgaben entsprechen.
FIA-Sensor kommt erst 2022
Die FIA hat entsprechend reagiert und die Technische Direktive TD003 korrigiert. Auf 18 Seiten wird umständlich erklärt, was und wie in Zukunft gemessen wird. Es dürfen nur noch von der FIA genehmigte Messgeräte von Pirelli verwendet werden. Für die Reifenheizprozeduren und das verwendete Gas gelten strengere Prozeduren. Alle Reifenventile werden nach Abnahme versiegelt, so dass man nach Gebrauch der Reifen den Restdruck feststellen kann. Die TD der FIA kann man von zwei Blickwinkeln aus interpretieren. Entweder der Verband ist überzeugt, dass einige Teams das Limit unterschreiten. Oder die Behörde will Pirelli die Hand reichen, weil die TD den Verdacht von Tricksereien bestärkt und den Reifenhersteller quasi entlastet. Wenn man nur einen Reifenausrüster hat, darf man es sich mit dem nicht verscherzen.
Man hätte sich das alles sparen können. In Punkt 1.7. der TD wird erwähnt, dass es in der Verantwortung der Teams liegt, die Reifendrücke während der Fahrt über den Grenzwerten zu halten. Im Moment haben weder die FIA noch Pirelli einen direkten Zugriff darauf, weil es noch keinen einheitlichen FIA-Sensor gibt. Erst der würde sicherstellen, das nicht geschwindelt werden kann. Ein solcher Sensor ist schon lange im Gespräch, scheiterte aber immer am Veto der Teams. 2022 soll er endlich kommen. Er hätte aber längst da sein müssen. Die FIA hätte ihn auch gegen der Widerstand der Teams jederzeit aus Sicherheitsgründen einführen können. Nach dem Theater von Baku ist der Einheitssensor gefragter denn je. Weil er die Wahrheit ans Licht bringen würde. Was auch ein Beitrag zu mehr Sicherheit wäre.