Enges Rennen an der Spitze
Am ersten Trainingstag liegen Red Bull und Mercedes nahezu gleichauf. Auf eine Runde wie im Longrun. Entscheidend wird nicht nur die Startposition sein, sondern wer seine Reifen am Sonntag länger leben lässt.
Die WM-Kandidaten hatten einen komplett unterschiedlichen ersten Trainingstag und kamen am Ende zu einem ähnlichen Ergebnis. Mercedes begann stark und zerstörte die Konkurrenz im ersten Training mit einem Vorsprung von 0,9 Sekunden. In der zweiten Sitzung machte der Titelverteidiger einen Schritt zurück. Red Bull dagegen steigerte sich nach Eingriffen am Setup und markierte mit Sergio Perez die Bestzeit. Hätten alle Runden gezählt, wäre Hamilton auf Platz eins gestanden. Seine schnellste Runde mit 1.34,842 Minuten wurde gestrichen, weil er in Kurve 19 außerhalb der Streckenlimits gefahren war. Tatsächlich hat ihn die weite Linie eher Zeit gekostet als gebracht.
Auch im Longrun-Vergleich deutet alles auf ein Kopf-an Kopfrennen zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen hin, zwischen Mercedes und Red Bull. Während Verstappen in Austin auf einen starken Perez zählen kann, werden Hamilton und sein Teamkollege Valtteri Bottas beim Start mindestens durch fünf Autos getrennt sein. Bottas muss nach dem Wechsel auf den sechsten Motor fünf Startplätze zurück. Das muss aber kein Handikap sein. Der erste Tag in Austin hat bereits gezeigt, dass die Reifen am Sonntag die entscheidende Rolle spielen könnten. Die Abnutzung bei den Mischungen Soft und Medium ist extrem hoch. Allenthalben wird mit einem Zweistopp-Rennen gerechnet.
Auch zwischen McLaren und Ferrari ist ein enges Rennen zu erwarten. McLaren kam besser in das Wochenende, doch Ferrari befindet sich noch auf der Suche nach dem optimalen Setup. Im Mittelfeld macht Aston Martin die stärkste Figur. Alpine ist besser im Longrun als auf eine Runde, und Alpha Tauri stolperte über zu hohe Temperaturen an den Hinterreifen.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Ist Mercedes auf den Geraden wieder überlegen?
Red Bull ist immer noch auf der Suche, warum Mercedes seit geraumer Zeit so schnell auf den Geraden ist, ohne in den Kurven dafür zu büßen. Im ersten Training zum GP USA war der Unterschied wieder eklatant. Am Nachmittag lagen Mercedes und Red Bull auf den Geraden praktisch gleichauf. Die Erklärung: Red Bull fuhr am Morgen mit gedrosselter Leistung. Der Unterschied im Topspeed betrug in der ersten Sitzung 5,1 km/h. Am Nachmittag relativierte sich der Unterschied. Hamilton wurde auf der langen Gerade mit 321,8 km/h gemessen, Verstappen mit 318,4 km/h. Was Red Bull umtreibt ist aber nicht der Spitzenwert, sondern die Zeit, die man in den letzten Rennen über die gesamte Geraden verlor.
Im Lager des Herausforderers werden alle möglichen Theorien gewälzt. Zum Beispiel, dass Mercedes seit Silverstone mehr Leistung gefunden hat. Das wird von Mercedes bestritten. Tenor: Es gab keinerlei Upgrades an den Motoren seit Saisonbeginn. Die Kalibrierung, sprich die Wahl des Power-Modus, blieb über die gesamte Saison gleich.
Inzwischen verlagert sich der Verdacht mehr auf das Auto. Red Bull fiel auf, dass der Vorteil der Mercedes auf den Geraden in der ersten Hälfte eines Rennen deutlich geringer ausfällt als im zweiten Teil eines Grand Prix oder auf einer schnellen Qualifikationsrunde. Nach Studium von TV-Bildern vermutet man nun, dass die Silberpfeile das Auto auf den Geraden im Heck gezielt absenken, um die Strömung unter dem Auto abreißen zu lassen und so mehr Topspeed zu erzielen. Das wird von Mercedes gar nicht bestritten: "Wir haben so ein System seit Jahren im Auto. Andere haben das aber auch, teilweise sogar effektiver als wir." Tatsache ist: An der Hinterradaufhängung des Autos hat sich seit Anfang 2020 nichts geändert.
2) Wieso braucht Mercedes so viele Motoren ?
Mercedes wechselt im Akkord die Motoren. Sebastian Vettel und George Russell bekommen die vierte Einheit von Verbrennungsmotor, Turbolader und MGU-H. Das bedeutet einen Start von hinten. Es kommt nicht von ungefähr, dass Vettel und Russell in der Zeitentabelle im letzten Drittel stehen. Der Start von hinten änderte ihr Programm. "Wir sind heute unser eigenes Ding gefahren und haben uns voll auf das Rennen konzentriert. Es war wichtig, einen direkten Longrun-Vergleich zwischen dem Medium-Reifen und der harten Mischung zu bekommen", berichtete Vettel.
Valtteri Bottas ist inzwischen der Rekordhalter im Motorwechseln. Am Freitagmorgen wurde der sechste Motor im Pool des Finnen gezündet. Diesmal nicht, um auf einen Schaden zu reagieren, sondern um den Waffenschrank aufzufüllen. Da Mercedes den Triebwerken derzeit nicht mehr als drei oder vier Rennen zutraut, war klar, dass der Finne mit seinen verbleibenden Einheiten kaum über die Runden kommen würde. Motor Nummer 4 ist aus dem System, Motor Nummer 5 zwei Rennen alt.
Der Finne muss nur fünf Startplätze zurück, weil er lediglich die Verbrennungsmaschine tauscht. Bottas konzentrierte sich in der zweiten Trainingssitzung ausschließlich auf seinen Medium-Longrun und ging nicht auf Zeitenjagd. Sein Fazit: "Wir können auch mit der Strafe noch ein ordentliches Ergebnis einfahren. Unser Auto geht gut auf dieser Strecke, auch wenn die Fahrzeugbalance am Nachmittag etwas instabil war und die Strecke irgendwie an Grip verlor."
Es ist ein taktischer Wechsel, der auch noch Lewis Hamilton drohen könnte. "Im Restprogramm gibt es zwei Rennstrecken auf denen ein Motorwechsel wenig Schaden anrichtet. In Austin und in Interlagos. Das sind die beiden Strecken, auf denen man am besten überholen kann", erklären die Ingenieure. In Austin kommt noch dazu, dass ein Zweistopp-Rennen strategisch mehrere Optionen bietet einen Startplatznachteil wettzumachen. Bottas wird von dem frischen Motor profitieren. Gegenüber einem älteren Aggregat geht man dank des PS-Vorteils von einem Zeitgewinn von bis zu zwei Zehnteln aus.
3) Hat Red Bull eine Chance ?
Nach dem Vormittagstraining hätte man die Frage verneint. Beide Piloten klagten über massive Probleme mit der Straßenlage. Doch die Bestzeit von Sergio Perez am Nachmittag gibt Hoffnung. Und die Longruns auch. Max Verstappen wäre auch weiter vorne gestanden, wäre ihm nicht gleich zu Beginn der fliegenden Runde auf den Soft-Reifen ein Konkurrent im Weg gestanden. Der Holländer brach die Runde sofort ab. Sportchef Helmut Marko räumte ein: "Unser Auto ist schwer abzustimmen. Wir hatten am Morgen vor allem in den langsamen Kurven keinen Grip. Danach haben wir das Setup umgebaut, und die Maßnahmen haben gewirkt."
Nach Meinung des Grazers könnte die Reifenabnutzung am Sonntag eine entscheidende Rolle spielen: "Die Mischungen Medium und Soft bauen wahnsinnig schnell ab. Wir rechnen mit zwei Stopps. Wer mit den Reifen besser umgeht, wird am Sonntag die Nase vorn haben."
Nach Auswertung aller Daten sieht es sowohl auf eine Runde als auch über die Distanz nach einem ganz engen Rennen zwischen Mercedes und Red Bull aus. Hamilton ist zwar im Durchschnitt seiner Rennsimulation zwei Zehntel schneller als Verstappen, doch der Weltmeister verteilte seinen Medium-Dauerlauf auf zwei Portionen à sechs und vier Runden. Sein WM-Kontrahent fur die elf Runden am Stück. Damit sind beide Longruns ungefähr gleich zu bewerten. Das trifft auch auf Perez zu, der auf der mittleren Pirelli-Mischung sogar noch eine Runde länger unterwegs war als sein Teamkollege.
Hamilton fuhr im zweiten Teil des Trainings allerdings mit einem Handikap: "Wir haben nach dem Vormittag ein paar Änderungen am Auto vorgenommen. Danach war ich nicht mehr so zufrieden damit. Der Speed hat zwar noch gestimmt, aber wir müssen jetzt in den Daten nachschauen, warum wir gegenüber den anderen an Boden verloren haben." Chefingenieur Andrew Shovlin vermutet: "Vielleicht haben wir das Setup nicht so gut an die wärmeren Bedingungen angepasst wie die anderen."
4) Ferrari oder McLaren ?
Wenn das Trainingsergebnis nicht lügt, dann hat McLaren die Nase vorn. Lando Norris und Daniel Ricciardo landeten auf den Plätzen 2 und 5. Die Ferrari-Piloten rangieren an siebter und neunter Stelle. Doch das Bild ist selbst für die Beteiligten noch nicht ganz klar. McLaren-Teamchef Andreas Seidl sieht zwar einen leichten Vorteil für sein Team, kann aber nicht sagen, wo genau man die Zeit auf Ferrari gewinnt. "Daniel war sehr stark im ersten Sektor, dafür war Lando besser im Rest der Strecke." Tatsächlich erzielte Daniel Ricciardo im ersten Sektor mit 25,404 Sekunden die zweitschnellste Zeit hinter Verstappen. Lando Norris war Vierter in Sektor 2 und Dritter in Sektor 3.
Auch Ferrari brachte in den ersten beiden Sektoren je ein Auto in die Top 6. Carlos Sainz war mit 25,551 Sekunden Fünfter im ersten Abschnitt und mit 38,274 Sekunden Sechster im zweiten. Ferrari stimmte seine Autos in den beiden Trainingssitzungen unterschiedlich ab. Mit dem Ergebnis, dass man am Morgen schneller im langsamen Teil der Strecke war, am Nachmittag dagegen in den schnellen Passagen. "Jetzt müssen wir nach dem goldenen Kompromiss suchen", hieß es im roten Lager.
Ferrari gibt zu, dass die beiden SF21 auf dem Circuit of the Americas nicht so stark sind wie zuletzt in der Türkei. Was Ferrari Hoffnung gibt, sind die Rennsimulationen auf den Medium-Gummis. Da lag Charles Leclerc knapp vor Norris. Auf den Soft-Reifen war Ricciardo zwar eine halbe Sekunde pro Runde schneller als Sainz, doch der Australier fuhr seine elf Runden in zwei Anläufen. Sainz war zwölf Runden am Stück unterwegs.
5) Wer regiert im Mittelfeld ?
Den besten Eindruck hinterließ Aston Martin. Lance Stroll stellte das mit der sechstschnellsten Runde am Nachmittag unter Beweis, Sebastian Vettel mit einem Longrun auf den Medium-Reifen, der auf dem Niveau von Ferrari und McLaren lag. "Das war ein guter Start in das Wochenende. Das Reifenmanagement wird am Sonntag entscheidend sein. Es ist ganz einfach, diese Reifen zu überhitzen", mahnte Stroll. Angesichts seiner guten Form wird er den drohenden Motorwechsel wahrscheinlich auf Mexiko aufschieben. Es reicht, wenn Vettel von hinten losfährt.
Die beiden Alpine und Alpha Tauri schafften es nicht in die Top Ten. Fernando Alonso ließ immerhin mit dem fünftschnellsten Longrun auf den Medium-Reifen aufhorchen. Mit 1.42,200 Minuten im Mittel über acht Runden lag er noch vor Leclerc, Norris und Vettel. Der Spanier erlebte einen Tag voller Zwischenfälle. Im ersten Training zwang ihn ein Chassisproblem 40 Minuten lang zum Zuschauen. Im zweiten feuerte er seinen Alpine in der vorletzten Kurve ins Kiesbett. Pierre Gasly sprach vom schlechtesten Freitagstraining der Saison. Der Franzose beklagte starkes Übersteuern, hervorgerufen durch zu hohe Temperaturen an den Hinterreifen.
6) Wie schlimm sind die Bodenwellen ?
Die Teams und Fahrer befürchteten beim Betrachten der TV-Bildern vom MotoGP-Rennen das Schlimmste. Der Streckenbetreiber hatte in der Zwischenzeit aber Maßnahmen ergriffen, die größten Unebenheiten abzubügeln. Der Belag wurde an den unebensten Stellen abgeschliffen. Nach ersten Trainingstag kamen die Fahrer zu dem Schluss: "Es ist wellig, aber nicht schlimmer als bei unserem letzten Rennen hier 2019." Sebastian Vettel meinte sogar: "Es hat viele Wellen, aber die geben der Strecke ihren Charakter. Es ist auf jeden Fall fahrbar." Die Sorgen, dass die Bodenwellen den Ingenieuren das Setup diktieren, erwiesen sich als unbegründet. Sie haben nur minimalen Einfluss auf die Fahrzeugabstimmung.