Der Maserati 3200 GT im Supertest

Die hochkarätige Allianz zwischen Ferrari und Maserati trägt mit
dem neuen 3200 GT erste Früchte. Das reizende Erscheinungsbild und
der druckvolle Biturbo-V8 rücken das
Coupé in den Fokus der Sportwagenfans.
Der technologische Feinschliff im automobilen Umfeld sorgt in zunehmendem Maß für äußerst bemerkenswerte Phänomene. Objektive Tatbestände werden immer kunstvoller verschleiert: Moderne Dieselmotoren etwa können auf Grund ihrer Laufruhe mittlerweile kaum mehr als solche identifiziert werden. Turbomotoren, in ihren Anfängen neurotisch bis explosiv, sind charakterlich heute überwiegend so friedlich und ausgeglichen wie Saugmotoren. Selbst vorderradgetriebene Autos gleichen im Fahrverhalten zunehmend den Hecktrieblern. Vor diesem Hintergrund ist es beruhigend zu wissen, dass es durchaus noch Autos gibt, die eindeutig zuzuordnen sind, eine ehrliche Strategie verfolgen und denen es immer noch gelingt, die Dramatik der automobilen Fortbewegung auch weit diesseits der 200-km/h-Marke zu vermitteln. Der erst kürzlich auf deutschen Straßen erschienene Maserati 3200 GT ist einer von dieser etwas ungeschliffenen Sorte, die im Verschleiern von brutaler Gewalt und im Suggerieren von Sicherheit noch nicht so geschult ist wie die aktuellen Spitzenkräfte des Genres. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Verhalten des wunderschönen, von Giorgio Giugiaro entworfenen Italieners Bestandteil einer Philosophie ist oder nur die Folge diverser technischer Unzulänglichkeiten.
Dem 3200 GT fehlt es teilweise an Manieren
Das Prunkstück von Motor, ein mit knallroten Zylinderköpfen geschmückter, 3,2 Liter großer 90-Grad-V8 mit Biturboaufladung, legt nämlich Manieren an den Tag, die gänzlich aus der Mode gekommen sind. Sie gelten mittlerweile sogar als unschicklich. Denn die Art und Weise, mit der das 370 PS starke und mit bärigen 491 Newtonmeter Drehmoment gesegnete Aggregat seine Leistung zur Verfügung stellt, hat nichts mit dem elegant dargereichten Kraftakt zu tun, wie ihn etwa der Sechszylinder-Boxer des neuen Porsche 911 Turbo ab Leerlaufdrehzahl vorführt. Der Maserati-V8 ist ein Turbomotor vom alten Schlag: kernig, launisch und zuweilen auch erschreckend. Der brutale Leistungseinsatz des von zwei japanischen Turbinen aufgeladenen Achtzylinders gestaltet das Anfahren zu einer Art Rodeo: Entweder es tut sich wenig, oder – was meistens der Fall ist – das Coupé schießt nach dem Ampelstart mit Karacho über die Kreuzung – mehr oder weniger ungewollt. Die elektronische Steuerung der Drosselklappen („Drive by wire“) scheint dem dualen Prinzip – auf oder zu – verpflichtet.
Denn auch bei sensibelster Behandlung des Gaspedals fällt es schwer, das Temperament der vielen Pferdestärken beim Start so zu zähmen, dass es wohldosiert auf die Antriebsräder gelangt. Nur die schnelle Flucht in die langen Übersetzungen der höheren Gangstufen kann den stürmischen Aufgalopp beruhigen, der, an unpassender Stelle vorgeführt, keineswegs immer auf Verständnis stößt. Sein aufbrausendes Naturell offenbart das Triebwerk jedoch nur in den unteren Drehzahlbereichen. In der Nähe seines Drehzahllimits, dort, wo die Leistungskurve immerhin 370 PS ausweist, geht das Triebwerk weit weniger aggressiv zu Werke – und zwar weniger als erwartet. Was im unteren Drehzahlbereich an Boost zu viel ist (bis zu 0,95 bar), hat der Motor im oberen zu wenig. In Anbetracht dieses Sachverhalts liegt der Verdacht nahe, dass es die spezielle Software im Motormanagement ist, die dem optisch so schön angerichteten und technisch außerordentlich interessanten Achtzylinder diese unausgewogene Leistungscharakteristik aufzwingt. Apropos Technik: Die Brennräume des im Hub/Bohrungs-Verhältnis quadratisch ausgelegten Motors sind nach dem Heron-Prinzip fast vollständig in den wannenförmig ausgebildeten Kolbenböden untergebracht.
Ein Spritsparwunder ist der 3200 GT nicht
Unbedingt verbrauchsmindernd wirkt sich diese bei Benzinmotoren selten gewordene Vorkehrung allerdings nicht aus: Bis zu 22,8 Liter Superkraftstoff fließen auf 100 Kilometer bei strammer Fahrweise durch die Einspritzdüsen. Ein akzeptabler Aktionsradius bleibt trotzdem erhalten – der Tank fasst immerhin 90 Liter. Die Fahrleistungen und die Laufkultur lassen keine Wünsche offen. Das mit einer Differenzialsperre an der Hinterachse ausgerüstete Coupé, das auf Grund seines Raumangebots als echter Viersitzer durchgeht, sprintet aus dem Stand in 4,9 Sekunden auf Tempo 100 – zwei Zehntel schneller, als das Werk angibt. Bis 200 km/h vergehen 18,4 Sekunden, womit der Maserati dem Referenz-Jaguar XKR immerhin vier Sekunden aufbrummt. Auch die Elastizitätswerte bezeugen den aufrichtigen Leistungswillen des 3200 GT, der unter dem Druck seiner Turbolader sehr ergreifende Töne von sich gibt. Das Achtzylinder- Grollen wird unter Last von einem Zischen überdeckt, das – vor allem von außen genossen – einem Raketenstart nicht unähnlich klingt. Für eine unvergleichliche Sportwagen-Atmosphäre ist also gesorgt.
Der betörenden Klangfülle des Achtzylinders steht auf der anderen Seite aber ein akustischer Fauxpas gegenüber, der so gar nicht zur edlen Aura eines Maserati passt: Das alternativ zur Fünfgangautomatik angebotene manuelle Sechsganggetriebe kommt seiner Aufgabe zumindest in den unteren Gängen nicht ohne störende Nebengeräusche nach. Großes Spiel im Antriebsstrang und eine recht schwergängig zu betätigende Einscheiben-Trockenkupplung sorgen überdies beim Schalten für unelegante Lastwechsel, die wegen des brutalen Antritts und des starken Schleppmoments des Motors stark in den Vordergrund treten. Insgesamt zählt das Getriebe zu der knorrigen Art, was auch beim Sortieren der Gänge nicht verborgen bleibt. Es schaltet sich exakt, aber schwergängig. Der außergewöhnlichen optischen Eleganz steht damit eine Ruppigkeit der Technik gegenüber, die selbst leidenschaftliche Zuneigung dauerhaft auf eine ernste Probe stellen kann. Denn auch seitens des Chassis und des Fahrwerks lassen sich Indizien dafür finden, dass nicht in allen Belangen konsequent zu Ende gedacht wurde. Die lederbezogenen Sitze inmitten des stilvollen und luxuriösen Maserati-Ambientes geben zwar – wie fast alles am Maserati – optisch eine gute Figur ab.
Das luxuriöse Innere des 3200 GT glänzt nicht mit perfekter Ergonomie
Auf langen Strecken oder bei sportlicher Fahrweise wird dem Fahrer aber bewusst, dass die Ergonomie nicht an erster Stelle im Lastenheft stand. Die Polster sind hart und wulstig, verfügen nur über kurze Beinauflagen und bieten wegen ihrer glatten Oberfläche in Kurven nur mäßigen Seitenhalt. Die Integration des Fahrers ins System fällt damit schwer. Generell ist auch die Verarbeitungsqualität nicht auf dem Niveau, das man von einem Sportcoupé dieser Preisklasse erwarten darf. Die knarzenden Geräusche auf schlechter Wegstrecke, hervorgerufen auch durch viele Lagen aneinander reibenden Leders, dürften als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Karosserie in ihren Grundfesten eine gewisses Maß an Nachgiebigkeit zulässt. Der etwas polterige Abrollkomfort der großen 18-Zoll-Räder ist nur ein kleines Ärgernis im Vergleich zu dem Verhalten, das der Maserati bei hohem Tempo offenbart – immerhin bringt es der 3200 GT nach langem Anlauf auf eine Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h. Schon weit diesseits dieser Marke aber ist das Wohlbefinden des Fahrers wegen des nicht sehr vertrauenerweckenden Geradeauslaufs erheblich reduziert.
Die Auftriebswerte (siehe Kasten auf Seite 22) spielen in diesem Kontext sicher ebenso eine Rolle wie die insgesamt unharmonische Feder-Dämpfer-Abstimmung. Die Kennlinien der Dämpfer harmonieren zumindest bei geringer Beladung nicht mit den Federraten – an dieser Misere ändert auch das elektronisch geregelte Dämpferkontrollsystem nichts, mit dem die Kennlinien in Abhängigkeit vom Fahrzustand verändert werden. Die Lenkung des 3200 GT arbeitet in den unteren Tempo-Bereichen sehr direkt und leichtgängig, wodurch das Gewicht des 3200 GT (vollgetankt 1.614 Kilogramm) erfreulicherweise stark in den Hintergrund tritt. Mit zunehmender Geschwindigkeit verliert sich aber der bis dahin gute Fahrbahnkontakt. Speziell im sensiblen Bereich um die Mittellage hinterlässt die Lenkung einen gefühllosen Eindruck. Auch das trägt dazu bei, dass der Geradeauslauf nicht die Domäne des Maserati ist. Die Grenzbereiche in Kurven aufzusuchen fällt bei weitem nicht so schwer wie das Ausloten der Vmax. Der Fahrzustand des Untersteuerns ist im Fahrprogramm des Maserati 3200 GT jedenfalls nicht enthalten.
Untersteuern kennt der 3200 GT nicht
Und sofern das etwas grob regelnde ASR ausgeschaltet bleibt, reagiert das Coupé unter Gaseinsatz exakt so, wie es sich für einen starken Frontmotor-Sportwagen gehört: Das Heck bricht verlässlich aus – allerdings in einer kontrollierbaren Weise, die es für den Routinier recht einfach macht, es auch wieder einzufangen. Weder auf der Rennstrecke noch im Slalom- oder Ausweich- Parcours zeigt der Maserati Ansätze kritischen Fahrverhaltens. Lob gilt auch der Bremsanlage, die mit großen Vierkolben-Festsätteln und immerhin 334 Millimeter großen, innenbelüfteten Bremsscheiben an der Vorderachse operiert. Sie liefert im kalten wie im heißen Zustand gute Verzögerungswerte – bis zu 10,4 m/s² – und zeigt auch auf der Rennstrecke keine Hinweise auf bevorstehende Schwächeanfälle. Angesichts dieser hoch erfreulichen Tatbestände wäre es uns lieber gewesen, wenn man sich bei Maserati etwas mehr Zeit für den Feinschliff genommen hätte. Dem außergewöhnlichen Charakter des 3200 GT hätte das sicher nicht geschadet.