Dodge Viper SRT-10 im Supertest
Hart, stark, kompromisslos und ohne Netz und doppelten Boden. Auch die neue, jetzt 506 PS starke Viper SRT-10 repräsentiert wie ihre Vorgänger sowohl den american way of drive als auch das pure Fahrerlebnis europäischer Prägung – besonders natürlich im geöffneten Zustand.
Anstelle literarischer Ergüsse zum Für und Wider hardcoremäßig präparierter Supersportler hier mal der etwas andere Einstieg: Den Dodge-Verantwortlichen wollen wir von dieser Stelle aus zunächst einmal großes Lob zollen, was – hätten wir sie im Programm – umgehend auch die Verleihung der sport auto-Verdienstmedaille nach sich ziehen würde. Denn in Anbetracht weit reichender Verantwortung der Hersteller in puncto Produkthaftung ist ein Auto vom Schlag des Dodge Viper SRT-10 sicher kein ganz unumstrittenes Objekt automobiler Lustbarkeit. Insbesondere auch deshalb, weil es in einem Konzern entsteht, der gemeinhin die höchsten Sicherheitsstandards definiert – Daimler- Chrysler. Frei von elektronischen Back-up-Systemen wie ESP oder Ähnlichem und deshalb zuweilen giftig wie ihr Wappentier – dafür aber motorisiert wie ein ausgewachsener Monster-Truck – ist die nunmehr unter dem Label Dodge firmierende Viper SRT-10 in der Lage, selbst hart gesottene Mannsbilder am Steuer in große Verlegenheit zu bringen. An Tagen, an denen sie nicht so gut drauf ist wie üblich, etwa bei Regen oder bei anderen haftungsrelevanten Begebenheiten. Das immense Kraftpotenzial aus zehn Zylindern mit insgesamt 8,3 Liter Brennraumvolumen wirkt ohne die sonst gängigen Sicherungssysteme wie ein Blitz ohne Blitzableiter – oder anders: wie ein Lügendetektor, der glasklar aufdeckt, was bislang künstlich verschleiert und bewusst unterdrückt wurde. Das gilt im Übrigen für das Auto ebenso wie für den Fahrer. Die Viper SRT-10 ist eine der letzten rühmlichen Vertreterinnen einer möglicherweise aussterbenden Gattung, die die Kraft und Herrlichkeit motorischer Übermacht ohne verklärende Maßnahmen an den Mann beziehungsweise an die Frau bringt.
Viper SRT-10: Vertreter einer aussterbenden Gattung
Das macht Freude, kann aber unter Umständen auch zur anspruchsvollen Aufgabe ausarten. Wenn beispielsweise die Reifen nach Überlastung nicht mehr den vollen Grip aufbauen und/oder das Fahrwerk durch falsche Einstellung quasi im Notprogramm fährt. Die harsche Kritik am Fahrverhalten des roten Dodge Viper SRT-10 in der letzten Ausgabe anlässlich des Vergleichstests mit dem Mercedes SL 65 AMG ist deshalb keineswegs unberechtigt. Und sie ist mit den neuen Resultaten, die mit einem zweiten, silbernen Modell (siehe Fazit) herausgefahren wurden, auch nicht gänzlich aus der Welt. Das unterschiedliche Verhalten zweier grundsätzlich identischer Autos im Grenzbereich macht aber deutlich, dass in dieser Leistungsklasse schon vermeintlich kleine Unregelmäßigkeiten große Konsequenzen zur Folge haben können. Welche das genau waren – schlechte Reifen oder vielleicht eine verstellte Spur an Vorder- oder Hinterachse –, lässt sich von unserer Seite nicht rekonstruieren. Doch wie dem auch sei: Das Heck der Viper SRT-10 zuweilen einfangen zu müssen, weil die Kurveneingangsgeschwindigkeit zu hoch oder der Gasstoß zu heftig war, bleibt ein Wesenszug, mit dem man sich zu arrangieren hat – sofern es bei diesem Kraftmeier um mehr als nur Cruisen geht. Im Fall des zweiten Testobjekts gelang das Arrangement mit dem markanten US-Charakter jedenfalls deutlich einfacher als mit der roten Viper, die im Supertest als Fotomodell fungierte. Die Lenkung zeigte sich weniger spitz um die Mittellage, was den Vorgang des „ Einfangens“ nach plötzlich erfolgtem Übersteuern deutlich einfacher gestaltete. Vom sprichwörtlich narrensicheren Fahrverhalten ist der US-Bolide aber immer noch weit entfernt.
Die Viper verlangt nach wie vor einen extrem sauberen und runden Fahrstil. Gas oder Bremse – alles, was dazwischen liegt oder was zu Lastwechseln führen kann, nimmt der 1.585 Kilogramm schwere Zweisitzer weiterhin gern zum Anlass, energische Ausbruchversuche zu wagen. Speziell im Kurveneingangsbereich, also in dem kurzen Schiebebetrieb zwischen Bremsphase und Gasanlegen bei gleichzeitigem Einlenken, kehrt der Dodge die beschriebene Hinterhältigkeit heraus. Der Übergang zwischen beiden Fahrzuständen sollte also möglichst fließend sein. Denn unter Last hält die SRT-10 wieder stabil die Spur – natürlich nur, so lange die immensen Kräfte des Motors dosiert an die superbreiten Antriebsräder weitergeleitet werden. Wer will, kann in Abhängigkeit von der Drosselklappenstellung nahezu jeden Driftwinkel realisieren, den die Lenkanschläge erlauben. Aber nur, wenn die notwendigen Gegenlenkmaßnahmen am Steuer ebenfalls aus dem Effeff beherrscht werden. Ist das nicht der Fall, sind Pirouetten und Einschläge vorprogrammiert. Wer diese Auseinandersetzung mit den Urgewalten liebt, stets lernbereit bleibt und Demut vor der Gewalt des Triebwerks zeigt, für den eröffnet sich ein launiges Betätigungsfeld, wie es anspruchsvoller und befriedigender kaum sein kann. Denn die Viper ist trotz ihres extremen Charakters im Grunde ihrer Substanz eine ehrliche Haut. Im geöffneten Zustand wird einem die Tragweite des zur Verfügung stehenden Potenzials so deutlich wie in kaum einem anderen Supersportler vor Augen geführt.
Die Viper ist eine ehrliche Haut
Wer je im offenen Cockpit mit 250 km/h oder mehr den Horizont erstürmt hat, spürt möglicherweise das erste Mal am eigenen Leib, welche ungeheure Dramatik diesem Vorgang inne wohnt. Die knochentrockene Härte des Fahrwerks, die einen wegen der kurzen, vertikalen Erschütterungen auf Dauer etwas mürbe macht, steht in einem spannungsreichen Kontrast zum Antrieb, der im Gegensatz zum Fahrwerk mit einer Sanftheit agiert, die man diesem Hubraumriesen gar nicht zugetraut hätte. Seine Kraft in allen Lebenslagen, besonders auch in den tiefsten Drehzahlbereichen, macht souverän und führt im Alltag umgehend dazu, sofort einen der höchsten Gänge aufzusuchen, um dann bei Drehzahlen zwischen 1.200 und 2.000 Touren der Hektik zu entfliehen. Die restlichen 4.000 Umdrehungen bis zur Abregelgrenze liegen im Alltag schlicht brach. Unter Einfluss geradezu beruhigender Klänge, die sich mit sehr dumpfer Färbung und reduzierter Lautstärke im Cockpit verfangen, kommt ein Feeling auf, das auf angenehmste Weise den american way of drive verkörpert. Bei den seltenen und zwangsweise bedächtig ausgeführten Gangwechseln spielt es keine Rolle, dass der stabile Schalthebel, der aus dem wuchtig- breiten Mitteltunnel ragt, anzupacken ist, als ob er tatsächlich Massen zu bewegen habe. Die knorrige Schaltung könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass Antriebe dieser Art tatsächlich im Lightweight-Truck ihren Ursprung haben. Immerhin hat das mechanische Sechsganggetriebe die Gewalt von 711 Newtonmeter zu verkraften.
Dass im V10-Triebwerk der Viper große oszillierende Massen unterwegs sind, ist im Leerlauf im wahrsten Sinn des Wortes nicht zu übersehen. Das Schütteln des 8,3-Liter-Riesen, der im großen vorderen Maschinenraum zugunsten der Gewichtsverteilung sehr weit hinten installiert ist, weicht aber bereits auf den ersten Metern einer fast schon geschmeidig zu nennenden Laufkultur. Selbst mechanische Geräusche sind – von leichten Schlägen an der Hinterachse im Schiebebetrieb einmal abgesehen – minimal, was angesichts des soliden Maschinenbaus, der ja aufgrund seiner stabilen Konfiguration durchaus auch im LKW- oder Schiffsbau Anwendung finden könnte, doch sehr überrascht. Den liebenswerten, umgänglichen Charakter am Anfang des Drehzahlspektrums verliert der 8,3-Liter-Zehnzylinder erwartungsgemäß mit jedem Skalenstrich, den der Zeiger des weiß unterlegten Drehzahlmessers überschreitet. In der Nähe des roten Bereichs, also kurz vor 6.000 Touren, schafft es der Zehnzylinder – dessen Gaswechsel von einer zentralen, untenliegenden Nockenwelle und nur je zwei Ventilen pro Zylinder gesteuert werden – mühelos, nahezu jeden Gegner niederzuringen, der auf ein Duell aus ist. Dabei hilft ihm sein ungemein spontanes Ansprechen auf kleinste Veränderungen des Drosselklappenwinkels. Untermalt von einem energischen, oben heraus leicht gepresst wirkenden Fauchen zieht es die Besatzung mit der Energie von 506 PS so vehement zum nächsten Bremspunkt hin, dass zumindest der Beifahrer heftig nach Luft schnappt. Die Solidität des gesamten Antriebsstrangs, inklusive einer höchst strapazierfähigen Kupplung, weisen die Viper SRT-10 als perfekte Burnout-Maschine aus.
Burnouts sind mit der Viper SRT-10 ein Kinderspiel
Mehrere Sprints aus dem Stand auf Tempo 100 steckt der offene Ami so locker weg wie einst Mike Tyson die Konter seiner Gegner. Bei angemessenem, also nicht zu großem Wheelspin ist die Übung in 4,5 Sekunden erledigt. 200 Stundenkilometer liegen nach nicht minder bemerkenswerten 14,0 Sekunden an. Aus der in den Rundenzeiten zusammengefassten Summe aller fahrdynamisch relevanten Kriterien muss neben der stattlichen Motorleistung auch die herausragende Leistung der Bremsanlage hervorgehoben werden. Ähnlich wie die solide Kraftübertragung, die beliebig viele Beschleunigungsorgien nahezu ungerührt über sich ergehen lässt, steckt auch die Bremse mehrere Prüfungen hintereinander locker weg. Die maximale Verzögerung von 11,3 m/s² erreichte die Viper SRT-10 erst nach der zehnten Messung aus 100 km/h, also bei kochend heißer Bremse. Das entspricht einem Bremsweg von nur 34,3 Meter aus 100 km/h. Der Pedaldruck bleibt gleichfalls konstant. Mit einer Zeit von 1.14,9 Minuten begibt sich der urtümliche Dodge-Roadster in die illustre Gesellschaft zweier Italiener aus dem Haus Ferrari – dem 575M Maranello und dem 360 Modena. Die einst von seinem gewichtigen Ahnen aufgestellte Vorgabe unterbietet der Newcomer gar um eine ganze Sekunde. Das Coupé Chrysler Viper GTS schaffte die Runde in 1.15,9 Minuten. Die SRT-10 muss im Gegensatz zur geschlossenen GTS allerdings mit den Nachteilen leben, die ihre oben offene Konstruktion mit sich bringt. So zeigt das Chassis bei starken Fahrbahnaufwerfungen ein spürbares Maß an Nachgiebigkeit, welches in einem kurzen, aber deutlichen Karosseriezittern Ausdruck findet.
Die schlicht bockelhart geratene Feder-/Dämpferabstimmung trägt das Ihre zu dem zuweilen etwas zittrigen Gesamteindruck der Viper bei und lässt den Roadster auf schlechten Streckenstücken kurzfristig schon einmal den Fahrbahnkontakt verlieren. An der Hinterachse wirkt sich die relativ schwache Zugstufen-Dämpfung insofern aus, als das Heck bei harten Bremsmanövern aus den Federn geht. Die Abstimmungsschwäche hat einen nicht ganz unbekümmerten Geradeauslauf zur Folge. Ein Umstand, der angesichts der möglichen Höchstgeschwindigkeit von über 300 km/h (im fünften Gang!) ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit erfordert. Dies gilt umso mehr, als der urige Ami kurze, harte Querfugen in lang gezogenen Kurven zuweilen mit seitlichen Versetzern quittiert, was die Handflächen am Lenkrad schlagartig ins Schwitzen bringt. Einen kühlen Kopf zu bewahren ist also angesichts der besonderen Umstände nicht immer ganz einfach. Dafür entschädigt die himmelhohe Kopffreiheit, die sich der Besatzung – anders als beim Gros der Konkurrenz – allerdings erst mit ein paar Handgriffen und etwas Mühe eröffnet. Zu diesem Zweck ist zunächst der Kofferraumdeckel zu öffnen. Erst dann lässt sich das von Hand in der Mitte des Scheibenrahmens zu entriegelnde Stoffdach geordnet nach hinten falten. Der Kofferrauminhalt steht übrigens in groteskem Missverhältnis zur Größe der rückwärtigen Klappe. Was allerdings in sofern nicht weiter verwundert, als auch das Cockpit in Relation zur Grundfläche des Autos sehr intim ausgefallen ist. Wenn die beiden Plätze besetzt sind, passt nicht einmal mehr eine Aktentasche hinein. Wer den etwas umständlichen Spagat über den breiten Schweller hinweg in das tief gelegene und äußerst knapp geschnittene Cockpit geschafft hat, fühlt sich dafür wie in Abrahams Schoß. Ein Verrutschen in den lederbespannten Sportsitzen ist auch bei Querbeschleunigungen von bis zu 1,25 g schlicht nicht möglich.
Sitzen wie in Abrahams Schoß./strong>
Die scheinbar bis zum Horizont reichende Motorhaube und die stark eingeschränkte Sicht nach hinten – bedingt durch den hohen Kragen –, machen es nicht eben einfach, die wahre Größe des SRT-10 einzuschätzen. Die gute rückwärtige Abschottung hat aber den Vorteil, dass der Fahrtwind im offenen Cockpit nur wenig Angriffsfläche hat. Unangenehme Turbulenzen werden selbst bei heruntergefahrenen Seitenscheiben nicht erzeugt. Bei geschlossenen Fenstern stellt sich sogar ein Offenfahr-Komfort ein, der fast an den heranreicht, der bei Mercedes-Cabrios nur mit zusätzlichem Windschott und Nackenwärmer zustande kommt. Dass einem während des Ritts auf der automobilen Kanonenkugel die Ohren klingeln, kann daher zwei Gründe haben: Entweder war im offenen Vollzug die Luftzufuhr schlicht doch zu groß oder der rote Starterknopf wurde gedrückt, ohne sich vorher angeschnallt zu haben. Das Gebimmel, das auf perfideste Weise zum Anschnallen mahnt und auch sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit Laut gibt, geht einem nicht mehr aus dem Sinn. Da sage noch einer, die Viper sei frei von Sicherheits-Features. Ein gut funktionierendes ABS und zwei Airbags hat sie inzwischen schließlich auch.