Lamborghini Aventador LP 700-4 im Test
Auch wenn Stierkämpfe aus der Mode kommen: Lamborghini schickt mit dem Aventador noch mal ein unverschämt selbstbewusstes Mittelmotor-Monstrum mit Karbon-Chassis, frei saugendem 700-PS-V12 und ultraschneller Schaltung in die Arena.
Als Serafin Marin am Abend des 25. September 2011 in der Arena Monumental von Barcelona final zustößt, beendet er eine lange Tradition – die der Stierkämpfe in Katalonien. Denn die sind nach einem Volksentscheid Geschichte. Vermutlich haben in diesem Moment eine Menge Zwölfzylinder auf der ganzen Welt wutentbrannt aufgebrüllt, speziell in Sant‘ Agata dürften die Wände gewackelt haben, schließlich steht bei Lamborghini die Wiege automobiler Stiere vom Miura bis zum Murciélago. Doch die Italiener geben sich noch nicht geschlagen und dem neuen Ober-Macho wieder den Namen eines Kampfstiers – der Lamborghini Aventador erarbeitete sich seine Meriten 1993 in Saragossa.
Die Tradition lebt also, und wie. Rauf mit der Scherentür, rein ins Highspeed-Boudoir. Umgänglicher soll er sein, der Lamborghini Aventador. Seine Optik suggeriert das Gegenteil. Flach, breit und böse ducken sich Karbon-Chassis und -Karosserie über die 20 Zoll großen Pirelli Corsa, während ausfahrbare Kühlluftklappen und der Heckflügel noch auf ihren Einsatz warten.
Lamborghini Aventador hält an der V12-Tradition fest
Seinen Stil hat der Ober-Lambo damit genausowenig aufgegeben wie die große Klappe. Rotes Häubchen hochschnippen, Startknopf drücken, Anlassersirren, Zündung, Urschrei mit erhöhter Drehzahl. Der 6,5-Liter-V12 im Nacken der Insassen steckt sein Revier ab, schreit die Umgebung zusammen. Frei saugend, großvolumig, kurzhubig, hoch verdichtend – um seinen Charakter mal nüchtern zu umreißen. Weder Turbolader noch Direkteinspritzung verbiegen den direkten Weg der V12-Tradition bei Lamborghini seit 350 GT und Miura.
Wir rollen uns ein, die Kolben sind weit von ihrem Maximaltempo 21 m/s entfernt, das Öl der Trockensumpfschmierung blubbert durch die acht Spülpumpen, wärmt sich auf. Wir auch. Zeit, die nun deutlich zentriertere Sitzposition als beim Murciélago zu registrieren. Pflegte der Alte den Piloten etwas verkrümmt zu platzieren, findet dieser auf bequemen Sitzen hinter dem weit verstellbaren Lenkrad des Lamborghini Aventador nun endlich normale Sportwagenverhältnisse vor – na ja, was bei Lambo halt so normal ist. Statt klassischer Analoginstrumente informiert eine bunte TFT-Animation. Torero meets Jet-Pilot. Alles so schön bunt hier, würde Nina Hagen sagen, der Lamborghini Aventador flasht seinen Piloten ganz ohne Chemie. Dagegen biegt das übrige, tiptop verarbeitete Interieur für Lamborghini-Verhältnisse regelrecht in den Mainstream ein, gibt bei der Infotainment-Bedienung den Audi.
Tempo 100 nach 3,1 Sekunden
Im Gegensatz zur Schaltung, die ihren eigenen Dialekt pflegt: knallhart und sauschnell. Lambo-Chef Winkelmann versprach Getriebe-Tradition und emotionales Schaltgefühl zu bewahren – und hat Wort gehalten. Statt per Doppelkupplungsgetriebe schießt der Lamborghini Aventador seine sieben Gänge über das automatisierte, manuelle ISR-Getriebe mit nur einer Kupplung hinein. ISR steht für independent shiftingrod, also zwei unabhängige Schaltstangen statt nur einer. Dieser Kniff beschleunigt die Gangwechsel, da Teile derselben parallel erledigt werden.
Klingt wenig spannend – knallt aber brutal, vor allem im scharfen „Corsa“-Modus. Der Sprint auf 100 km/h ist nach 3,1 Sekunden erledigt, der auf 200 nach 9,4 Sekunden, bis 300 dauert es 24,8. Das Sortieren von Nackenwirbeln und Sinneseindrücken dauert länger. Einfach irre, was unschuldige Getriebezahnräder alles aushalten. Und einfach irre, wie vergaserrotzig ein moderner Einspritzmotor obenraus klingen kann, wenn man ihm nur die passenden Atemorgane verpasst. Zumindest jenseits der 4.000er-Marke schlürft der V12-Sauger mit schrill-blechernen Obertönen, atmet nach jedem Schalt-Schuss tief ein, um sofort wieder gen 8.000/min zu fräsen. Schräg, aber schön, kostet zwischen 15 und jenseits 30 Liter Super Plus/100 km.
Lamborghini Aventador kann auch allgemeinverträglich
Genießen wir zum Runterkommen einfach die sanfte „Strada“ -Variante mitsamt Automatikmodus. Hier schiebt der über zwei Meter breite, 1.831 Kilogramm schwere Aventador allgemeinverträglich durch die Gegend. Die Ansaug- und Auspuffbrigade hält buchstäblich die Klappe, ISR verschleift die Gangwechsel, so gut es geht. Klappe halten, verschleifen? Dafür fährt doch niemand Lamborghini Aventador. Ebensowenig wie für den Swing durch Stadtverkehr und Parkhäuser. Sperrig und unübersichtlich will er bei jeder Gelegenheit etwas von seinem orangenen Lack spenden.
Nichts wie ab auf die Landstraße, dem aufwendigen Pushrod-Fahrwerk Futter geben. Dessen Öhlins-Federelemente hängen nicht am Radträger, sondern waagerecht an der Karosserie, Druckstangen (Pushrod) und Umlenkhebel übertragen die Radbewegungen. Feines Ansprechverhalten und Präzision sind spürbar, der versprochene Komfort nicht, da Lamborghini auf Adaptiv-Dämpfer verzichtet. Kurze Kicks und lange Wellen stauchen die Wirbel, dafür liegt die Rückmeldung ähnlich hoch wie die Traktion.
Brachial aber berechenbar
Um diese kümmert sich der Allradantrieb per elektronisch gesteuerter Haldex-Kupplung. Sie schiebt bis zu 60 Prozent des Drehmoments nach vorn, beim Beschleunigen – speziell in „Strada“ – als leichtes Zerren in der Lenkung des Lamborghini Aventador spürbar. Gleiches gilt für den Einsatz des elektronischen Stabilitätsprogramms, das teils hart, ruckartig und einseitig zupackt. Vor allem versierte Piloten hadern mit dem kontraproduktiven Eingriff, der sie zickzack fahren lässt.
Besser läuft es in Sport und Corsa, die die Fesseln des ESP lockern und der Lenkung etwas Servo wegnehmen. Diese reagiert fix aus der Mittellage, arbeitet direkt und akribisch, verlangt jedoch hohe Haltekräfte. Kein Problem, zumal Lamborghini dem Lamborghini Aventador frühere Eigenlenk-Fiesheiten weitgehend ausgetrieben hat. Er untersteuert zunächst, wechselt bei entsprechendem Tempo ins Neutrale. Das Heck dreht beim Gaswegnehmen kontrollierbar ein, kommt beim Herausbeschleunigen auf Wunsch aus der Deckung. Hier zahlt sich das feinnervige Ansprechverhalten des 700-PS-V12 aus, der ebenso brachial wie berechenbar anschiebt. Alles andere würde ja auch die stierische Lamborghini-Tradition verhöhnen.