Die dunkle Seite von Toyota
In Köln entstehen Toyota-Fahrzeuge wie von einem anderen Stern –
schnell, laut, kompromisslos. Wer steckt dahinter? Toyota selbst.
Ein Blick hinter die Kulissen der Motorsport-Abteilung.
In einem durchschnittlichen Western würde jetzt vermutlich ein vertrockneter Dornbusch vom heißen Wind durch die leeren Gassen geweht. Bei Toyota Motorsport Germany (TMG) in Köln könnte stattdessen ein welkes Formel 1-Rad, das durch die leeren Gänge stolpert, die Dramaturgie wirkungsvoll pointieren. Selbst jetzt kurz vor Mittag tröpfeln aus den zahlreichen schweren Türen nur wenige Menschen und machen sich auf den Weg zur Kantine, die dank häufiger Gastbesuche der Kollegen von Toyota Deutschland gut ausgelastet ist.
Auch sonst blickt der Verwalter automobiler Schonkost ein bisschen neidisch auf das, was auf der anderen Straßenseite bei TMG vor sich geht: Serienentwicklung eines iQ mit Kompressor, diverse Rallye-Szenarien auf Yaris-Basis, Prototypenbau eines bitterbösen GT1-Renners mit Lexus LFA-Genen, Feilen an einem mit Carbon erleichterten und per Biturbo auf rund 600 PS aufgepumpten Lexus LS 460 und mehr.
Das Paradies aller Toyota-Werktätigen?
Das Paradies aller Toyota-Werktätigen? Jetzt wieder – nachdem die Japaner 2002 in den Formel 1-Apfel bissen, sich daran verschluckten, sieben Jahre nach Luft rangen und 2009 den Brocken wieder ausspuckten. Davor: vier Fahrer- und drei Hersteller-Titel in der Rallye-WM. Danach: erst einmal Katerstimmung. Die Belegschaft schrumpfte von rund 800 auf nurmehr 150 Mitarbeiter, die komplette Infrastruktur allerdings nicht. Das erklärt die sehr spärliche Lebhaftigkeit in den sehr zweckmäßig gestalteten Räumlichkeiten im sehr schmucklosen Köln-Marsdorf. Was also tun mit zwei Windkanälen, deren Rotoren 6,3 Meter durchmessen und dank 2,3 Megawatt Leistung die Luft mit bis zu 70 Meter pro Sekunde durch den Raum pusten? Oder den beiden Kohlefaser-Backöfen, in denen alles vom kleinen Einzelteil bis zum vollständigen Chassis durchgegart werden kann? Außerdem parken auf dem rund 30 .000 m² großen Areal noch weitere 30 Prüfstände und Messeinrichtungen bis hin zum Fahrsimulator, für den selbst der größte Need-For-Speed-Nerd von zu Hause bei Mutti ausziehen würde.
Nun kann sich eben jeder bei TMG einmieten, der das Equipment nutzen möchte. So wie beispielsweise die Ferrari-Truppe, die gerade wild gestikulierend aus einem Prüfstandsraum stürmt und so kurzzeitig die ansonsten überwiegende Geräuschlosigkeit verscheucht. Und Toyota selbst? Kurzer Szenenwechsel. Wie in einem Flipper schnalzt der iQ über den Handlingkurs, schnaubt kurz beim Gangwechsel, zerrt an den Vorderrädern, schiebt zornig fauchend an. Unter der Haube: der bekannte 1,3-Liter-Benziner, um einen Kompressor mit 1,65 bar absolutem Ladedruck reicher und 130 PS stark. Der Hersteller: TMG. Die Glücklichen: japanische iQ-Fans, die den Tuning-Kit bereits kaufen können. Bevor der Kraftzwerg nach Europa kommt, tobt vermutlich eher der nach dem R1A aufgebaute Rallye-Yaris durch Wald und Wiesen, vielleicht in einem eigenen Markenpokal.
Die Maschinerie läuft mit unverminderter Drehzahl./strong>
Überhaupt der Rallyesport: Zurück in Marsdorf, auf der Suche nach geschäftigem Treiben, stehen sie auf einmal da. Unter dem Windkanal parken alle Generationen Schotter-Celica und -Corolla, hinter einer der Prüfstand-Panzerglasscheiben rackert der von der FIA geforderte 1,6-Liter-Weltmotor – in Rallye-Applikation. Und mit einem Yaris-S2000-Chassis beschäftigen sich die Entwickler ebenfalls. Ob das in einem Wiedereinstieg in die WRC gipfelt, möchte TMG-Direktor Rob Leupen lieber noch nicht bestätigen: „ Format und Reglement sind schon sehr interessant, doch wenn überhaupt, wäre das erst nach dem LMP1-Projekt möglich.“ Die Le Mans-Premiere hätte sich Toyota sicher anders gewünscht, doch die Maschinerie läuft mit unverminderter Drehzahl. Derzeit versuchen die Entwickler, die Produktionszeit des Chassis von zehn auf höchstens sechs Wochen zu drücken.
„Momentan arbeiten wir wie ein besseres Privatteam“, sagt Leupen – und stapelt damit so tief, dass dafür vermutlich eigens Kellerräume gegraben werden müssten. Schließlich treibt TMG neben den eingangs erwähnten Projekten die Entwicklung von Software zur Steuerung von Elektroantrieben voran. Damit ausgerüstete Sportwagen auf Basis des britischen Leichtbau-Exoten Radical schnupften bereits die Nordschleife und den Pikes Peak in Bestzeit auf. Darüber hinaus bleibt sogar ein bisschen Zeit, mit der World Touring Car Championship (WTCC) zu liebäugeln. Für den Niederländer Leupen wäre das „zumindest interessanter als die DTM“, und Anfragen für einen WTCC-tauglichen 1,6-Liter-Weltmotor habe man ebenfalls schon bekommen.
Adelung des TMG-Labels zum Sportabzeichen
In der Kantine nimmt derweil die Schlange vor dem Wok zu, einige Japaner gelüstet es offenbar nach möglichst heimatnaher Küche. Ein paar von ihnen gehören zur Gazoo Racing-Truppe, ein über Konzernchef Akio Toyoda freundschaftlich mit Toyota verbandeltes Motorsport-Team. Gazoo sorgt unter anderem für die Auftritte von GT 86, Lexus LF-A und IS-F in der Langstreckenmeisterschaft VLN.
Dabei springt zumindest im Fall des GT 86 ein einsatzfertiges Rennfahrzeug für den Kundenmotorsport heraus, ein weiteres auf Lexus-Basis könnte folgen – ein Geschäftsmodell, das beispielsweise BMW und Porsche bereits seit Jahren erfolgreich betreiben. Darüber hinaus schwirren immer mal wieder Sirenenstimmen durch die langen Gänge, die von einer Adelung des TMG-Labels zum Sportabzeichen für Toyota-Modelle künden – ähnlich wie Mercedes AMG oder die BMW M GmbH. „Wir waren schon frustriert darüber, dass wir in der Formel 1 unser Potenzial nicht zeigen konnten“, erklärt Leupen den vollgepackten Ideen-Bauchladen der TMG-Mannschaft. Damit dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass in naher Zukunft tatsächlich vertrocknete Dornbüsche über das Betriebsgelände wehen, wohl gegen null tendieren.