Unterwegs im 9,8 Tonner mit neun Sitzplätzen

Es heißt ja, die Deutschen seien ein reiselustiges Völkchen. Das wiederum beträfe dann natürlich auch entfernte Nachkommen. Wie zum Beispiel Mervin Zinck aus New Germany, Nova Scotia.
Wenn der Herbst die Blätter der Bäume in ihren finalen Farbenrausch treibt, dann wirkt Mervins Luxus-Camper ganz besonders nostalgisch. "Im Indian Summer kommt das coole Design besonders gut", meint er amüsiert. Kleinere oder größere Ausfahrten sind jedoch das ganze Jahr über ein Thema. "Nur an den Dienstagen muss ich daheim sein. Sonst fliegen meine Kumpels umsonst ein."
Und das ist wörtlich zu verstehen; Mervins Halle steht direkt am Wasser, der See wird offiziell als "New Germany Water Aerodrome" geführt. Jeden Dienstag landen hier ein- bis eineinhalb Dutzend Wasserflugzeuge zum traditionellen Barbecue: "Das ist immer um fünf Uhr am Start, jeder bringt was mit. Das hat sich so eingebürgert, als Rentner hat man ja ein bisschen mehr Zeit, um mit netten Leuten zu plaudern." Auch für Mervin ist das Wasserflugzeug ein ganz normales Transportmedium hier im Osten Kanadas – allerdings hat er sich sein eigenes mal eben selber gebaut. "Ich wollte wissen, ob das funktioniert. Und das hat es tatsächlich", meint der umtriebige Kanadier mit deutschen Wurzeln, der gemeinsam mit Gattin Eva im "Bluenose Flying Club" aktiv ist.
Dieses "einfach mal machen" scheint in der Familie zu liegen, die Gemeinde wurde von einem seiner Vorfahren mitbegründet, erhielt gar ihren Namen, indirekt natürlich, von Otto Zinck. Dieser nach Kanada ausgewanderte Herr muss eine markante Figur gewesen sein, die Leute definierten den ganzen Ort über den "Deutschen, der da seit neuestem wohnt", was zum Namen New Germany führte. Heute leben dort rund 350 Menschen, viele sind Nachkommen deutscher Einwanderer. "Überhaupt finden sich hier in der Gegend noch viele deutsche Namen, wir zählen ja auch zum Lunenburg County." Dieses wiederum wurde nach Georg II. von Großbritannien benannt, der nicht nur König, sondern auch noch Herzog von Braunschweig und Lüneburg war. Ah ja.
Spektakuläres 7-Meter-Wohnmobil
Nicht ganz so weit in der Geschichte zurück muss, wer sich für Mervins spektakuläres Wohnmobil interessiert. Drei Achsen klemmen unter dem 23 Fuß langen GMC Motorhome, innen finden sich neun Sitz- und sechs Schlafplätze, opulente Fensterflächen erlauben den Blick nach draußen. "Ja, das Schätzchen hat schon Format", meint Mervin, auf dessen Visitenkarte zwar von einem Bauunternehmen die Rede ist, das jedoch vor allem vom Sohnemann gemanagt wird. So bleiben Eva und Mervin genügend Tage, um auf Reisen zu gehen – zumindest außerhalb der sommerlichen BBQ- und Flugsaison.
Dass der Oldie, der im Februar 1977 erstmals auf die Straße rollte, auch für längere Strecken fit ist, dafür sorgte Mervin im vorvergangenen Winter 2017/2018. "Als ich über das Motorhome stolperte, war es in wirklich schlechtem Zustand, da gab es eine ganze Menge zu tun, gerade auch an der Technik und am Fahrwerk", blickt er zurück. "Der Motor allerdings begnügte sich mit einem Kundendienst, der Oldsmobile-V8 ist kerngesund", meint Mervin und gibt eine Soundprobe. Und dabei werkelt hier der "kleinere" der beiden Antriebe mit "nur" 6,6 Litern Hubraum. "Der kommt mit einer Gallone elf Meilen weit – bei euch wären das knapp 26 Liter auf hundert Kilometer. Ich finde, das geht in Ordnung."
Die frühen Modelle brauchen mitunter noch mehr, debütierte das Reisemobil 1973 doch mit rund 7,5 Litern Hubraum. Mervins RV – das steht jenseits des großen Teichs für "Recreational Vehicle" – ist eines der ersten, die den Achtender mit 6,6 Litern bekamen. "Der reicht für sehr lässige 188 PS", wie er erklärt. Verwaltet und an die beiden Vorderräder verschickt wird die überschaubare Leistung von einer Dreigang-Automatik. "Das war seinerzeit genug und ist es auch heute noch. Ich will ja reisen. Und nicht rasen." Wobei das angesichts eines Lebendgewichts von rund 9,8 Tonnen ohnehin kein Thema ist. "Obwohl der Schwerpunkt richtig tief liegt und die neue Luftfederung super funktioniert."
Kleine Wohnung auf sechs Rädern
Der tiefe Schwerpunkt verdankt sich der besonderen Bauweise, auf die General Motors schon beim Debüt stolz war, liegt dieser doch nur 94 Zentimeter hoch über der Straße. So konzentriert sich der Antriebsblock vorne, während sich der Wohnbereich großflächig ausbreiten kann: Für ein Zweimeter-Bett im Heck ist ebenso Platz wie für ein voluminöses Bad oder einen Gasherd mit vier Flammen. "Ich hab 28 Kilo Propan an Bord, das reicht für mehr als ein Wochenende. Denn das Kühlwasser heizt das Duschwasser schon während der Fahrt vor." Strom wiederum stellt der seitlich herausziehbare Generator bereit, der 6000 Watt liefert und sich ebenfalls aus den 190 Liter fassenden Benzintanks bedient.
An heißen Tagen sorgen gleich zwei Klimaanlagen auf dem Dach für Abkühlung, "die dritte habe ich aktuell gar nicht verbaut, die liegt neben den originalen Stahlrädern auf Lager", erklärt Mervin, dem die schicken Sechzehnzöller aus Alu besser gefallen. "Die Räder passen so auch perfekt zum Dach aus Aluminium!" Der Rest des sieben Meter langen Aufbaus besteht aus Fiberglas, am Heck ließe sich noch eine 91 Zentimeter messende Verlängerung realisieren, die Heckplatte ist verschraubt.
"Uns reicht der Platz allerdings", meint Eva beim abendlichen Grillen schmunzelnd. Sie unterstützt die Hobbys ihres Mannes – im Winter ruht der Flugbetrieb, da bleibt Zeit für die anderen Oldies; vor allem für historische Nutzfahrzeuge und alte Harleys hat Mervin ein Faible – von Herzen. Ob die beiden jedoch exakt durchgetaktete Urlaubspläne schmieden, das darf bezweifelt werden. Einfach mal machen – das können die beiden auch im Urlaub. Wie recht sie doch haben …