Lucid ab Sommer in Deutschland: Kaum auf dem Markt, schon viel teurer
Lucid-Chef Peter Rawlinson hat vorher bei Tesla das Model S mitentwickelt – jetzt heizt er seinem früheren Arbeitgeber mit dem extrem effizienten und potenten Air ein. Doch direkt nach Marktstart hebt Lucid die Preise der Elektro-Limousine massiv an.
Das Segment der elektrisch angetriebenen Luxus-Limousinen ist nun offiziell um einen Vertreter reicher: In der neuen Fabrik in Casa Grande, US-Bundestaat Arizona, startete im Spätsommer 2021 die Serienfertigung des Lucid Air; Ende Oktober wurden die ersten Fahrzeuge in Kundenhände übergeben. Der britischen Zeitschrift Autocar hat Lucid bestätigt, dass in Europa die Auslieferungen des Air im Juni/Juli 2022 beginnen. Als erstes Land bekommt Deutschland die luxuriös-sportliche Elektrolimousine, kurz darauf folgen Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Island, Italien, Monaco, die Niederlande, Spanien, Schweden, die Schweiz und das als Elektroauto-Vorzeigeland geltende Norwegen.
Seinen ersten Europa-Showroom eröffnet Lucid in München. Bereits zur IAA im September 2021 hatte der amerikanische Elektroauto-Hersteller die Fenster der feinen Innenstadt-Adresse Odeonsplatz 2 (direkt gegenüber hatte Mercedes seinen aufsehenerregenden IAA-Stand) mit Plakaten abgeklebt, auf denen die Laden-Eröffnung an eben jenem Standort angekündigt war. In den Räumlichkeiten saß vorher ein Jaguar-Land-Rover-Händler, der seinen Standort erst 2015 eröffnet hatte. Fun Fact: Lucid-Chef Peter Rawlinson war vor seiner Zeit bei Tesla und Lucid unter anderem Ingenieur bei Jaguar.
Direkter Angriff auf das Model S
Die viertürige Limousine Lucid Air ist ein direkter Angriff auf das führende Fahrzeug in diesem Segment: das Tesla Model S. Der "Air" (Luft), eine 4,97 Meter lange und ca. 1,45 Meter hohe viertürige E-Limousine, dokumentiert die Ernsthaftigkeit seiner Ambitionen mit einer schmalen, grimmigen Front und einem mächtigen Radstand von rund 3,10 Metern. Ein Porsche Taycan ist niedriger, breiter und länger, hat aber weniger Abstand zwischen den Achsen.
Modern gestylt, praktisch konstruiert
Unter der vorderen Haube des Air verbirgt sich der 280 Liter Gepäck fassende Frunk (Front Trunk: vorderer Kofferraum). Er ist mit Abstand größte im Segment. Für eine bessere Praktikabilität verpasst ihm Lucid einen doppelten Boden. Vorderer und hinterer Kofferraum zusammen ergeben 739 Liter Stauraum – und auch der Heckkofferraum hat einen doppelten Ladeboden.
Spezielle Micro-Linsen fungieren als Scheinwerfer und passen das Licht je nach Fahrsituation an. Schon nahezu klassisch mutet das weitere Design an. Ausgestellte Radhäuser, eine gewölbte Motorhaube, schmale Spiegel und eine coupéhafte Dachlinie sind schon fast VW-haft. Hingucker hier: Das riesige Panoramadach, das nahtlos in die Windschutzscheibe übergeht. Das Stummelheck breiten C-Säulen und endet mit einem schmalem LED-Leuchtenband.
Hochmodernes Interieur
Der Innenraum ist luxuriös ausgestattet: Stark konturierte Sitze vorne sind von einer auffällig breiten Mittelkonsole getrennt. Ein riesiger Bildschirm übernimmt in der Mitte die Darstellung der Navigation sowie die Steuerung des Infotainmentsystems mit 29 Lautsprechern. Vor dem Fahrer wölbt sich ein 34 Zoll großes, in alle Richtungen leicht gebogenes 5K-Glas-Cockpit-Display – zudem verfügt der Air über eine Spracheingabe-Funktion. Das Auto erhält obendrein einen digitalen Assistenten, der die Vorlieben des Fahrers übernimmt und sich auch per Smartphone-App steuern lässt. Für die Fondpassagiere sieht Lucid-Motors zwei Sitz-Alternativen vor. Zum einen die klassische Rücksitzbank ohne Mittelkonsole. Zum anderen Executive-Liege-Einzelsitze, die von einer breiten Mittelkonsole mit Steuerungs-Tablet getrennt werden.
Für ein Maximum an Fahrkomfort und -dynamik erhält der Lucid Air ein Luftfederfahrwerk. Für die Funktionen zum teilautonomen Fahren rüstet Lucid den Air mit Kamera-, Radar-, und Ultraschallsensoren aus – insgesamt sind es 32. In die Front der Elektrolimousine haben die Ingenieure ein hochauflösendes Lidar-System (Light detection and ranging) integriert. Damit gehört der Air zu den ersten Serienfahrzeugen mit dieser Technik zur optischen Abstands- und Geschwindigkeits-Messung. Tesla-Chef Elon Musk hat sich Anfang 2019 gegen den Einsatz von Lidar-Systemen entschieden – mit der Begründung, die Technik sei ihm zu lahm.
Extrem starke Dream Edition
An den endgültigen Spezifikationen hat Lucid lange gefeilt. Für die aus 520 Exemplare limitierten Einführungs-Varianten Air Dream Edition gab das Start-up 946 PS (Range) und 1.126 PS (Performance) an. Die Power kommt von zwei an der Hinterachse positionierten Elektromotoren. Theoretisch wären in einem Layout mit zusätzlichem Frontmotor sogar insgesamt 2.000 PS möglich, aber dafür gibt es laut Lucid noch keine passende Batterie. Die Ingenieure haben die Antriebseinheit extrem auf Kompaktheit getrimmt: Der Motor passt inklusive Getriebe und Inverter in einen Flugzeug-Kabinentrolley.
Inzwischen stehen die Daten der regulären Modellversionen fest. Der Lucid Air Grand Touring, dessen Auslieferung inzwischen begonnen hat, kommt auf 830 PS und beschleunigt in drei Sekunden von null auf 60 mph (96,6 km/h). Für diese Variante liegt die Reichweitenschätzung der US-Umweltbehörde EPA bei 830 Kilometern. Später sollen noch das Basismodell Pure mit 487 PS und die 629 PS starke Touring-Version folgen.
Neues Performance-Modell
Für Juni 2022 hat Lucid das neue Topmodell Air Grand Touring Performance angekündigt. Dieses kommt sogar auf 1.065 PS, handelt die Beschleunigungs-Übung in 2,6 Sekunden ab und kommt maximal 718 Kilometer weit. Dieser Elektro-Brecher ist klar gegen das Tesla Model S Plaid positioniert, das mit seinen 1.034 PS offiziellen Angaben zufolge in 1,99 Sekunden von null auf 60 mph sprintet. Die Reichweite gibt der bald von Texas aus operierende Hersteller mit 637 Kilometern an.
Dem Lucid Air hilft in puncto Reichweite und Beschleunigung sein hervorragender cW-Wert von 0,21. Den haben die Ingenieure durch ein Bündel von Maßnahmen erreicht: An der Front des Air befindet sich in Höhe der Scheinwerfer eine Kante, die dazu führt, dass die Luft mit erhöhtem Druck über die Haube fließt. Den Verwirbelungen in den Radhäusern wirkt ein gezielt erzeugter Luftstrom, ein sogenannter Air Curtain, entgegen. Und die unter dem Frontstoßfänger durch eine vergleichsweise kleine Öffnung eindringende Kühlluft verwirbelt sofort, um eine maximale Kühlung von dort befindlichen Komponenten zu erzielen.
Mit 900-Volt-Technik
Der Antrieb basiert auf einem 900-Volt-System, das ihn im Vergleich zu anderen Elektroautos seiner Klasse leistungs- und widerstandsfähiger machen soll. Zum Vergleich: Der Porsche Taycan arbeitet mit 800-Volt-Technologie, Tesla gibt sich mit 400 Volt zufrieden. Für die Stromversorgung sorgt ein selbstentwickelter und im Lucid-Werk gebauter 113-kWh-Akku, die Zellen produziert LG Chem nach den von Lucid vorgegebenen Spezifikationen. Eine die Energiereserven schonende und somit die Reichweite weiter steigernde Wärmepumpe hat Lucid gerade in der Entwicklung – zum Marktstart des Air steht sie noch nicht zur Verfügung.
Der Air ist für bidirektionales Laden vorbereitet – er soll Energie ins Netz zurückspeisen können. Außerdem soll er sich mit der Onboard-Technik überall laden lassen und alle möglichen anderen Geräte sollen wiederum an ihm aufladbar sein. Pro Minute Ladezeit steigt die Reichweite des Air um 32 Kilometer, in 20 Minuten sollen sich 483 Kilometer nachladen lassen.
Die Preise steigen massiv
Die Preise für die regulären Modellversionen des Air hat Lucid bereits im September 2020 festgelegt. Im Mai 2022 muss sie der Hersteller aufgrund "globaler Herausforderungen in Bezug auf die Lieferkette und die Logistik" stark anheben. Das Einstiegsmodell Pure kostet in den USA nun mindestens 87.400 Dollar (aktuell umgerechnet fast 83.000 Euro), womit es auf einen Schlag 10.000 Dollar teurer geworden ist. Noch mehr Geld schlägt Lucid bei der Touring-Version auf: Von 95.000 geht es hinauf auf 107.400 Dollar (knapp 102.000 Euro). Das reichweitenstärkste Modell Air Grand Touring kostet nun statt 139.000 satte 154.000 Dollar, also ziemlich genau 146.000 Euro. Für dessen Performance-Version verlangt Lucid unverändert 179.000 Dollar (knapp 170.000 Euro). Für Kundinnen und Kunden, die ihr Auto bereits reserviert oder bestellt haben, behält Lucid jedoch die ursprünglichen Preise bei. Damit vermeidet das Unternehmen einen Fehler des Konkurrenten Rivian, der dafür massive Kritik einstecken musste.
Trotz erschwerter Bedingungen behält Lucid sein Ziel bei, bis zum Jahresende 2022 insgesamt 12.000 bis 14.000 Autos zu bauen. In Casa Grande investiert Lucid insgesamt 700 Millionen Dollar und schafft 2.000 Arbeitsplätze. Dabei hilft auch ein Investment des Saudischen Staatsfonds, der im Sommer 2018 mit über einer Milliarde Dollar bei Lucid Motors einstieg. Im Zuge dessen hat sich die Regierung des arabischen Staates zudem verpflichtet, in den nächsten zehn Jahren bis zu 100.000 Elektrofahrzeuge von Lucid zu kaufen. Das Geld soll unter anderem helfen, weitere Karosserievarianten für rein elektrischen Antriebsstrang zu entwickeln.
Versprechen zum autonomen Fahren
Für autonome Fahrfunktionen, deren Software over-the-air (OTA) aufgefrischt werden kann, soll der Lucid Air bereits vorkonditioniert sein. Das Unternehmen lockt seine Kunden aber schon jetzt mit Versprechen wie "Ihr Auto kann Ihre Lebensmittel abholen und Ihre Kinder vom Training abholen" sowie "Sie können sich einfach zurücklehnen und entspannen".
Bereits 2017 sorgte Lucid Motors für Aufsehen, als der Air nach eigenen Angaben einen Geschwindigkeitsrekord für Elektrofahrzeuge aufstellte. Das Elektroauto erreichte auf einem Rundkurs in Ohio 235 Meilen pro Stunde, das entspricht 378 km/h. Das Versuchsfahrzeug war völlig ausgeräumt und mit Überrollbügeln verstärkt. Im ersten Versuch war der vordere Motor wärmer geworden als berechnet. Eine umprogrammierte Software für die Kühlung behob das Problem. Für den Rekordversuch wurden außerdem aerodynamisch optimierte Räder montiert.