Mercedes 280 S
Geheimtipp vom Kiesplatzhändler: Ein Mercedes 280 S mit Vorhängen und Standartenhalter für 1.600 Euro. Wer da noch zögert, ist selbst schuld.
Vergaser, Viergang, sechs Jahre abgemeldet, vergiss es! Die Widerstände meiner Kollegen gegen den Kauf dieser unwiderstehlichen S-Klasse wuchsen mit jedem Argument, das ich vorbrachte. Erneut ging ich in die Offensive, trumpfte auf: „Klima, ABS, Velours, Color, Kopfstützen hinten, Verbundglasheckscheibe, Dunkelblau 904 – da wirkt der Chrom so toll.“
Skeptische Kollegen überzeugen: Alle Karten auf den Tisch
„Vergiss es, 1.600 Euro sind zu viel für eine runtergerittene Karre, Baujahr 1984, die man nur auf dem Trailer abholen kann, weil die Bremsen fest sind und die Reifen eckig.“ Ich sage, nein ich flehe: „Erst 120 Tausend, nur zwei Vorbesitzer und kein Rost an den Radläufen, jedenfalls nicht auf den Fotos.“ Ich schiebe ein verzweifeltes „Außenspiegel rechts“ nach „und Gepäcknetze!“ Die Gegenseite holt zum Tiefschlag aus. „Der Tacho ist bestimmt gekurbelt, der Rost ist wegfotografiert, es gibt nur einen Schlüssel und garantiert kein Wartungsheft.“
Also gut, ganz ruhig bleiben, jetzt den Gegner verblüffen und den Joker spielen: „Erstbesitzer Thailändische Botschaft, ein Diplomatenauto mit Standartenhalter und Vorhängen im Fond, noch Fragen?“ Okay. mach was du willst! Aber eine S-Klasse als Schalter geht gar nicht! Wenn es wenigstens ein SEL wäre. Die 156 PS ziehen nicht die Wurst vom Brot. Aber fahr, fahr doch!„
Mit diesem Freibrief und dem Fax meiner verbindlichen Kaufzusage in der Tasche mache ich mich auf nach Siegburg. Es ist wieder mal ein Blind Date, aber immerhin hat mir ein Bekannter aus der Region Fotos von den üblichen Schwachstellen zugespielt – die sahen so schlecht nicht aus.
Der Händler, ein freundlicher, jung klingender Mann namens Michael Falk, versprach am Telefon, dass der 280 S problemlos läuft und auf eigener Achse nach Stuttgart überführt werden kann. Der Hof um die alte Tankstelle ist von Gebrauchtwagen aller Couleur komplett umzingelt. Michael Falk begrüßt mich herzlich, als sei es völlig normal, dass jemand ein 23 Jahre altes Auto unbesehen und ohne Probefahrt kauft.
Erste Begegnung – in der letzten Reihe des Hofs
Autos wie dieser 280 S stehen immer ganz hinten. Der Stern fehlt. Ich will allein sein, nehme den Zündschlüssel und will den Motor starten, ganz ohne Gas, gespannt und hellhörig. Vorher muss ich tief durchatmen, der erste Eindruck ist nicht schlecht. Ich gönne mir zwei Vorglühminuten, um meine Entscheidung zu überdenken.
Doch es gibt kein zurück ohne Blamage. Die Waschdüsen fehlen, die Wischerblätter hängen in Fetzen. Aber es wird nicht regnen, nicht heute. Es ist Frühling, man hört und riecht es. Der Wagen riecht wie ein alter Mercedes, in dem nicht geraucht wurde, vertraut und angenehm. Der Motor läuft auf Anhieb rund und sauber, ohne zu klappern. Der monumentale Doppelnocker rasselt gern, wenn ihm die Wartung fehlt. Die Kupplung ist nicht verschlissen, die Bremsen sind frei. Jetzt nur nicht unbedacht die Feststellbremse betätigen.
Die Anspannung weicht der Neugierde. Nun wird alles genau inspiziert, der Lack, der noch Spuren von Glanz in sich trägt, der Motorraum, kein Rost an den Stehblechen und in den Scharniertaschen der Haube, aber kiloweise Tannennadeln in jeder Ritze. Der Kofferraum riecht muffig, eine verrostete Radmutter rollt beim Wegziehen der Matte träge in die Reserveradmulde. Dort steht eine Pfütze. Warndreieck und Verbandskasten sind da, wo sie bei Mercedes hingehören. Es gibt sogar eine Betriebsanleitung und ein Werkstattverzeichnis. Aber kein Kundendienstheft und nur einen Schlüssel, wie prophezeit. Die Faszination der Vorhänge, im Mercedes- Sonderausstattungs-Jargon schlicht Gardinen genannt, weckt meinen Spieltrieb.
Relativ problemlos: Probefahrt und Kauf
Michael Falk hat inzwischen die roten Kennzeichen montiert, die Probefahrt führt mich zur Tankstelle, der Motor ruckelt beim Beschleunigen – liegt es am einstellempfindlichen Pierburg 4A1-Vergaser? Den Bremsen fehlt der Biss, aber sie packen, ohne festzugehen. An der Tankstelle rauschen durstige 77,3 Liter Super Plus rein, der Peilstab zeigt Mitte, ein Liter frisches Öl beruhigt das Gewissen.
Der Aufkleber vom letzten Ölwechsel ist verwittert. Bei Aral zahle ich 120 Euro, in Auto Jonys alter Tankstelle lege ich 1.500 auf den Tisch. Wegen des feuchten Kofferraums, den defekten Scheibenwischern und den abgeblätterten Plastikradkappen hinten. “ Ist schon in Ordnung„, meint Falk. Er spürt, dass ich mich geniere, auch nur 100 Euro runterzuhandeln.
Ich fahre glücklich im großen Wagen vom Hof, genieße buchstäblich die frohe Botschaft vom Maybach für Arme. Es ist Mittag und Zeit zu essen – thailändisch natürlich, passend zum Wagen. Für den Standartenhalter gibt es keine Fahne, die man im Internet bestellen kann. Sie sind alle zu groß, 60x90, die thailändische ist blau, weiß, rot gebändert – wenig aufregend. Im Thai Dragon in Troisdorf bestelle ich einen Bangkok-Teller für 7,20 Euro.
Statt Zitronengras und Kokosmilch erwartet mich eher ein chinesisches Standardgericht. Das liegt daran, dass der Inhaber ein Chinese ist, sehr freundlich und hilfsbereit. Ich war noch nie in Thailand, denke dabei irgendwie immer an Phuket, kreischende Mopeds, Tauchen und Sex- Tourismus. Dabei soll das Land so schön sein wie seine Frauen und die Menschen dort so einmalig liebenswert und überaus gastfreundlich.
Ab auf die Teststrecke und langsam freiblasen
Bonn ist nicht weit weg – Bonn war Hauptstadt, ist immer noch Multikulti mit Thai-Restaurants, Asia-Shops und koreanischen Schnellimbissen. Leider ist die Thailändische Botschaft schon vor Jahren nach Berlin umgezogen. Berlin ist zu weit für sieben Jahre altes Motoröl.
Das kleine Stück A 565 von Troisdorf nach Bonn ist jetzt Teststrecke für meinen Daimler. Wäre ich ein Schäferhund, würde ich die Ohren aufstellen. Müde klettert das Tempo auf 100, der Motor ist noch nicht frei, will behutsam an höhere Drehzahlen gewöhnt werden. Die Temperatur ist mit knapp 80 Grad eher zu niedrig, der Öldruck normal. Das Lenkspiel hält sich in Grenzen, doch die harten Winterreifen rollen laut ab. Oder sind es die Radlager, die so lärmen?
Bonn ist quirlig und verkehrsreich. Die sechsspurige Adenauer Allee hatte einst den Spitznamen Diplomaten-Rennbahn. Der Thai-Viet-Asia-Markt in der Kölnstraße ist mein erstes Ziel. Ein kunterbunter Gemischtwarenladen, wo es Säcke voll Reis gibt, Buddhas aus Porzellan und exotisches Frischgemüse.
Kein Thai im Großraum Bonn zu finden
Ich frage den Inhaber Thi Hoan Duong ob er ein Thai ist? Nein, Vietnamese. Ach so. An der Kasse stehen zwei hübsche Vietnamesinnen. Ich möchte sie für ein Foto in den Fond des Mercedes locken. Ich fasele etwas von Dienstwagen, thailändischer Botschaft und fernöstlicher Anmut, die so gut zum eleganten Wagen passt. Der Ladenbesitzer übersetzt, die Mädchen zieren sich. Wir sprechen Englisch, bis das Experiment schließlich gelingt.
Die Dame im weißen Pulli taut plötzlich auf, spielt amüsiert Thailänderin, staunt über die Fülle von Platz, Luxus und Komfort. Aber ihre Freundin bleibt misstrauisch, drängt sie auszusteigen. Wir verabschieden uns höflich.
Offenbar sind die Thais hier zu Lande eine winzige Minderheit. Just vor einem Asia-Laden ist eine Parklücke frei, mühsam zwänge ich die fünf Mercedes-Meter rein. Freundlich grüßt ein Mann mit Schürze durchs große Schaufenster. Das Asia Center in der Meckenheimer Allee ist ein koreanischer Schnellimbiss. Es sieht hier aus wie in einem Tante-Emma-Laden aus den Sechzigern. Ein Ehepaar führt das Geschäft. Der hagere freundliche Mann mit der gelben Schürze heißt Jong Phung und möchte auch für die Fotos kein Thai sein.
Stolz zeigt er uns die große Flagge Südkoreas in seinem Getränkelager. Er interessiert sich lebhaft für den Wagen, fragt wie alt er sei und wundert sich ständig über den günstigen Preis. Wir kaufen ein paar Lebensmittel. Zum Abschied wünscht er uns eine gute Fahrt nach Stuttgart.
Wir geben es auf, heute noch auf einen Thai zu treffen, vertagen es irgendwann nach Berlin. In Gedanken fahre ich schon vor die Villa der Botschaft. „Hallo, kennt ihr den noch? Das war mal euer Wagen.“ Jetzt gehört er mir.