Der Weg an die Spitze

Hymer hat die neue B-Klasse als Premium-Integriertenbaureihe eingeführt. Als Vorreiter für künftige Baureihen soll er frischen Wind in das Segment bringen. Der Entwicklungsaufwand dafür war enorm.
Zugegeben, auf dem CMT-Stand von Hymer gibt es sicherlich Aufregenderes zu entdecken als Beamer-projizierte Zahlen über Absatz und Umsatz für die vergangenen und kommenden Jahre. Doch Geschäftsführer Bernhard Kibler versteht es, das Kapitel auf der Pressekonferenz kompakt und lebendig zu halten, wirkt bei den Wachstumsprognosen im zweistelligen Prozentbereich sehr zuversichtlich. Noch verliert er zwar kein konkretes Wort über spannende Neuheiten, doch der Traditionshersteller hat wieder etwas Großes in der Pipeline. Was die Reisemobilwelt im kommenden Jahr aus Bad Waldsee erwarten darf, erfährt promobil bereits einige Wochen vor der CMT während eines Exklusivtermins, der tiefe Einblicke hinter die Firmenkulisse in die Entwicklung gestattet. Noch soll zwar geheim bleiben, was für ein Hymer bald auf den Markt kommen wird, beim Erstkontakt mit einem rund sieben Meter langen Integrierten – aktuell Terrain von B-Klasse und Exsis-i – wird allerdings klar: Die Veränderungen gegenüber den genannten Modellen sind so tiefgreifend, dass es sich um ein neues Volumenmodell handeln muss, das zugleich Schrittmacher und Vorreiter für alle künftigen Integrierten der Marke sein wird.
Wie ist die neue Hymer B-Klasse entstanden?
In welche grundlegende Richtung es geht, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Hymer Group Martin Brandt vergangenes Jahr in einem Interview mit der Schwäbischen Zeitung: "Eiche rustikal ist bei Jung und Alt out", Hymer-Reisemobile müssten "beim Design frischer, spritziger und moderner werden".
Dafür hat die Firma ihren Produktentwicklungsprozess komplett neu definiert. Die Arbeit am neuen Integrierten begann lange vor dem ersten Prototyp mit einer Marktanalyse: Reisemobile liegen weiterhin im Trend, 2015 wuchs der Absatz im Vergleich zum Vorjahr um 28 Prozent. Knapp zweieinhalbtausend in Deutschland verkaufte Hymer-Modelle entsprechen einem Marktanteil von 8,6 Prozent. Besonders stark ist die Nachfrage nach leichten Reisemobilen bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht. Diese Fahrzeugklasse macht unter allen in 2015 produzierten Campingmobilen einen Anteil von 84 Prozent aus. Großes Marktpotenzial sieht der Hersteller für sich daher bei leichten, schmalen Premium-Integrierten. Für die Entwicklung stand daher Leichtbau als oberste Priorität von Beginn an fest.
Schritt 1: Der Marktanalyse folgt die Ideenfindung
Bereits im Vorfeld sind alle Fachbereiche mit an Bord. Auch der Vertrieb, der sicherstellt, dass das neue Fahrzeug später auch den Kundenwünschen gerecht wird. Die Verantwortlichen stehen vor einer großen Herausforderung: Sie müssen sich einig werden. "Wir diskutieren zum Beispiel ständig, ob wir einen Zweiflammen- oder Dreiflammenkocher einbauen. Das kann am Ende für den Kunden kaufentscheidend sein", verrät Produktmanager Rainer Wingart.
Auf Basis der Ideen wird das Lastenheft erstellt. Das 200 bis 300 Zeilen lange Dokument fasst die Anforderungen an das neue Fahrzeug zusammen. Es wird von zuständigen Produktmanagern in Zusammenarbeit mit dem Vertrieb erstellt und muss im Anschluss von der Geschäftsführung abgesegnet werden. Der Umfang reicht von Allgemeinem wie der Aufbauart bis zu Konkreterem wie Grundrissen, Bettlängen, Bad- oder Heckgaragengrößen.
Aus dem Lastenheft ergibt sich das Pflichtenheft. Es beschreibt die Umsetzung der Anforderungen an das neue Fahrzeug. Wichtig sind dabei schon jetzt entwicklungsbegleitende Kalkulationen, um die Kosten für die Produktion und Fertigung des neuen Reisemobils abschätzen und den Marktpreis im Auge behalten zu können.Schritt 2: Konzept- und Designphase für den neuen Integrierten
Sind sich alle Verantwortlichen einig, beginnt die Konzeptphase, die auch als Designphase bezeichnet wird. Leiter der Design-Abteilung ist Frank Venter, der mit seinem Team den Anforderungen aus dem Pflichtenheft eine Form gibt. Beim Fahrzeug-Exterieur zählen dazu zum Beispiel die Front, die sowohl frisch und neu sein, aber auch noch immer das typische Hymer-Gesicht darstellen soll. Getreu dem Leitsatz „form follows function" werden natürlich auch praktische, teils von Kunden geforderte Faktoren beachtet. So stand relativ früh fest, dass das neue Modell mit einer größeren Frontscheibe für eine bessere Sicht nach vorne ausgestattet werden soll. Ganz neu werden auch die Scheinwerfer, die beim Spezialisten Hella für einen siebenstelligen Betrag eigens entwickelt wurden – einen so großen Aufwand betreibt kaum ein Reisemobil-Hersteller. Ihr Design wurde evolutionär weiterentwickelt, so sollen sie dem Fahrzeug optisch zu einem dynamischeren Auftritt verhelfen und gleichzeitig mit LED-Technik auch technisch auf dem aktuellen Stand sein.
Der Bug ist natürlich das markanteste Merkmal eines Integrierten. Er wird deutlich moderner und auch Pkw-ähnlicher sein als bisher. Auch hier scheute Hymer keine Mühen: Um sich auf eine endgültige Gestaltung festlegen zu können, wurde anhand von CAD-Daten ein Schaummodell der Bugmaske in Originalgröße gefräst.
Auch das Cockpit wird sich stark verändern: Fließende Übergänge zum Armaturenträger sollen im neuen Integrierten dafür sorgen, dass Basisfahrzeug und Hymer-Aufbau geradezu miteinander verschmelzen. Viel zu tun haben die Designer auch bei der Möbelgestaltung. Zum Beispiel bei den Klappen für die Dachstauschränke: Die wurden zunächst grifflos geplant, werden letztlich aber doch einer Variante mit Griffen weichen.Oder bei der Integration des Hubbetts: Das Ziel ist ein eleganterer Übergang in das weitere Möbeldesign bei gleichzeitig vereinfachter Handhabung für die zukünftigen Eigentümer. Es bekommt neben einer neuen Kinematik erstmals bei Hymer auch feste Rastpunkte, damit es sicher an der Decke verankert werden kann. Der Weg zur idealen Lösung ist lang. Es wird viel getüftelt, CAD-konstruiert, zur Entscheidungshilfe Computer-animiert, die Ideen dann gegebenenfalls aber wieder verworfen und von neuem begonnen.
Schritt 3: Die Konstruktionsphase
Auf die Konzept- folgt die Konstruktionsphase, bei der es sprichwörtlich ans Eingemachte geht. Hier müssen die beiden Projektleiter Hansi Wiest und Thomas Buschle alle Fäden zusammenführen. Jetzt werden alle Komponenten stets auch mit Bezug auf Kosten-, Produktions- und Fertigungsfaktoren weiterentwickelt. Da Hymer beim neuen Integrierten eine fahrbereite Masse von circa drei Tonnen auf einer Fahrzeuglänge von rund sieben Metern garantieren will, am gehobenen Niveau der Ausstattung aber nicht knausern möchte, muss bei den einzelnen Komponenten, wo irgend möglich, Gewicht gespart werden. Das beginnt bereits beim Alko-Tiefrahmen, dessen Profilstärke von fünf auf vier Millimeter reduziert wurde, was in einer Gewichtsreduzierung von rund 20 Prozent resultiert. In anderen Modellen bereits bewährt hat sich die leichte GfK-Bodenplatte mit selbsttragender Wanne unter der Heckgarage, die eine schwere Rahmenverlängerung aus Metall überflüssig macht.
Neu hinzu kommen Behältern für die Tanks aus EPS-Styropor mit einer zwei Millimeter dünnen GfK-Schicht, die gegenüber den bisher verwendeten 20 kg leichter sein sollen. Zu erwähnen sind außerdem die neuen, für den Möbelbau verwendeten Leichtbauplatten, die laut Hymer pro Quadratmeter 2,6 kg leichter sind als bisher verwendete Sperrholzplatten. Nicht zu vergessen der Aufbau aus Aluminium – innen wie außen. Das spart schwere Holzverstärkungen, die Kabine ist nicht nur leichter, sondern auch verwindungssteifer. Die Leichtbaumaßnahmen reichen bis ins kleinste Detail: An den neu entwickelten Möbelgriffen aus Alu-Druckguss konnte Hymer rund 100 Gramm Gewicht sparen. Macht bei zehn Griffen ein Kilogramm.
Das alleine mag zwar nicht viel ausmachen, doch es fließt in die Summe zahlreicher Optimierungen ein. Die Anstrengungen sind groß, die Rechnung aber ist simpel: Was Hymer an der einen Stelle an Gewicht spart, wird wieder in hochwertigere Materialien investiert, und was während der Produktion und Fertigung durch einfachere Prozesse an Geld gespart werden kann, fließt in teurere Leichtbaumaßnahmen. Deshalb wurde zum Beispiel ein neuer modularer Küchenkorpus entwickelt, der künftig baureihenübergreifend verwendet werden kann. Die Küchen in den verschiedenen Fahrzeugen unterscheiden sich dann lediglich bei den Holzdekoren. Natürlich ist der Korpus auch extrem leicht: Schlanke Leichtbauplatten bilden das Grundgerüst. An den Auflageflächen für Schubladen oder den Befestigungspunkten für die Scharniere, also dort, wo es auf hohe Stabilität ankommt, werden Aluprofile verwendet.
Wie viele weitere Komponenten wird das Gestell zudem mit Steck- statt Schraubverbindungen zusammengebaut. Bei der Montage spart das nicht nur Zeit, sondern beugt auch Fehlern und damit Ausschuss vor. Einerseits sollen es die Monteure am Band so leicht wie möglich haben, andererseits werden Fertigungstoleranzen minimiert und die Qualität verbessert. Darüber hinaus verkürzt sich so die Produktionszeit: Allein bei der Holzteilefertigung konnte sie um 15 Prozent reduziert werden.
Hymer B-Klasse: Knapp zwei Jahre hat Hymer an der Entwicklung gearbeitet
In den Handel geht der neue Integrierte 2016. Doch zuvor steht mit dem Bau von drei Prototypen noch die Masterphase an, inklusive gründlicher Fahrzeugerprobung. Dazu zählen auch Versuche in der Kältekammer. Beim Normtest müssen sowohl Gebläse- als auch Warmwasserheizung den Innenraum in vier Stunden von minus 15 auf plus 20 Grad erwärmen. Dabei wird auch die Wärmeverteilung intensiv geprüft. Danach wartet noch ein echter Härtetest. Bei minus 30 Grad wird gecheckt, ob die Wasseranlage komplett frostfrei arbeitet. Klappt das nicht, wird nachgebessert.
Auch das Fahrwerk und der Aufbau werden gründlich getestet. Es geht um Fahreigenschaften, aber vor allem auch um die Dauerhaltbarkeit. Um Schwachstellen zu ermitteln, müssen die Fahrzeuge 300 Runden auf einer Schlechtwegestrecke hinter sich bringen. Eine Runde entspricht dabei etwa 1000 Kilometern auf öffentlichen Straßen. Das Fahrzeug wird auf der Teststrecke den realen Bedingungen von 300 000 Kilometern ausgesetzt. Nach der Masterphase folgt die Nullserie mit fünf Fahrzeugen. Dann können letzte Optimierungen in Abstimmung mit der Produktion getroffen werden. Läuft alles rund, rollt die Erstserie mit 10–20 Fahrzeugen vom Band. Nach der Presse-Premiere am 8. März 2016 folgt die Markteinführung. Kunden dürfen gespannt sein.
Kleine Geschichte der Hymer-Integrierten
Integrierte von Hymer heißen Hymermobil, und das bereits mit der Baureihe 550 aus dem Jahr 1971. Das Erstlingswerk ist zwar eher ein Teilintegrierter – vom Mercedes-Basisfahrzeug ist die Front noch gut zu erkennen – es ebnet jedoch den Weg für viele weitere Modelle bis hin zum fast neun Meter langen, amerikanisch inspirierten Hymermobil 900, das ab 1978 zum stolzen Preis von 163 000 D-Mark die Speerspitze im Programm markiert.
Zum halben Preis sind große Integrierte mit gehobener Ausstattung ein Jahr später auch als S-Klasse zu bekommen. Das untere Preisniveau besetzt fortan die B-Klasse, die ab 1986 als Hymermobil 544 auf dem Fiat Ducato basiert und in kurzer Zeit zur Nummer eins im Programm avanciert. Zwischen die beiden erfolgreichen Baureihen schiebt Hymer Mitte 1994 die E-Klasse mit großzügigen Zwei-Personen-Grundrissen auf einem Alko-Tiefrahmen. Die S-Klasse wurde zuletzt im Jahr 2006 neu aufgelegt, steht wie die E-Klasse aktuell jedoch nicht mehr im Modellprogramm.
Die neue Hymer S-Klasse
Das traditionelle Topmodell des Hymer-Integriertenangebots, die S-Klasse, ist ebenfalls gerade in der Endphase einer kompletten Neuentwicklung. Bemerkenswert an diesem Projekt: Es wurde ein promobil-Lesergremium in die Planungen mit einbezogen. Zahlreiche Ideen der rund 35 Teilnehmer flossen bei den Konzept- und Detailüberlegungen mit ein. Aber auch bei der Grundrissgestaltung führte das gemeinsame Brainstorming zu einer neuartigen Lösung für die Verzahnung von Bad, separater Dusche und den Einzelbetten im Heckbereich. Drei, jeweils 8,70 Meter lange Modelle sind für den Neustart der S-Klasse geplant.
Die Verwandtschaft der beiden neuen Baureihen ist am "Gesicht" klar erkennbar. Ebenso gehen sie gemeinsam den Schritt zur weiterentwickelten Aufbautechnik mit Alu/PU/Alu-Sandwichplatten. Ein wesentlicher Unterschied ist das Basisfahrzeug – hier der Fiat Ducato, dort der Mercedes Sprinter. Beide neuen Integriertenreihen werden auf dem Caravan Salon 2016 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert – allein deshalb dürfte sich die Reise nach Düsseldorf schon lohnen.