Hohe Nachfrage, Ausfälle & Lieferkettenprobleme

Wer momentan auf die Auslieferung seines neuen Wohnmobils wartet, muss viel Geduld aufbringen. Was sind die Ursachen der Verzögerungen?
Man kann den Ärger verstehen. Da ringt man sich nach reiflicher Überlegung endlich zum Kauf eines neuen Wohnmobils durch, findet sich mit bis zu sieben Monaten und mehr Lieferzeit ab, plant voller Vorfreude den ersten Urlaub mit dem Neuerwerb – und muss dann erfahren, dass es dazu wohl erst mal nicht kommen wird. An den vielen Leserzuschriften lässt sich die Virulenz des Themas ablesen. Viele wissen nach wie vor nicht, ob und wann sie ihr ursprünglich fürs Frühjahr zugesagte Mobil tatsächlich bekommen werden, manchen wird der Wechsel auf ein anderes Basisfahrzeug ans Herz gelegt, anderen der Kaufvertrag gleich komplett gekündigt.
Die unschöne Situation im Frühjahr 2021: Es stockt in den Lieferketten der Branche und damit in den Montagehallen der Basisfahrzeug-, Wohnmobil- und Zubehörhersteller. Die Ursachen sind mannigfaltig. Sie reichen von Lieferengpässen bei Halbleitern, sonstigen Komponenten und selbst Rohstoffen über Einschränkungen der Produktion durch Corona-Folgen bis zu einer explodierenden Nachfrage nach Campingfahrzeugen. Die Situation stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Mancherorts liegen die Nerven blank, nicht nur in einschlägigen Foren geht mit so manchem Diskutanten der Gaul durch. Der Ruf nach dem Rechtsanwalt ist da noch eine der freundlicheren Erscheinungen. Umso wichtiger ist es, für Transparenz zu sorgen und Verständnis statt Konfrontation zu fördern.
Diskussionen über Lieferzeiten sind nicht neu. Schon Ende 2019 häuften sich die Klagen Betroffener, die länger als geplant auf ihr Fahrzeug warteten. Grund damals war die Einführung des neuen WLTP-Messverfahrens im Rahmen der Abgasnorm Euro 6d-Temp. Ohnehin schon lange Lieferfristen konnten sich dadurch weiter verlängern. Dieses Problem ist mittlerweile zwar längst vom Tisch, die Nachfrage nach Campingfahrzeugen aber immer weiter gestiegen. Rekord reiht sich an Rekord. 2020 gipfelte sie in einem satten Plus bei den Neuzulassungen von 32,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und sie steigt weiter. Im ersten Quartal 2021 stieg die Zahl der neu zugelassenen Freizeitfahrzeuge bereits erneut um 12,6 Prozent.
Ducato-Werk an der Kapazitätsgrenze
Bestseller unter den Basisfahrzeugen ist der Fiat Ducato, stellt er im europäischen Markt doch annähernd drei Viertel aller Fahrgestelle für Reisemobile. Rund 300.000 Einheiten werden in Sevel, dem italienischen Werk des Stellantis-Konzerns, pro Jahr produziert – im Dreischichtbetrieb sieben Tage die Woche, darunter auch die weitgehend baugleichen Citroën-Jumper- und Peugeot-Boxer-Modelle. Im Frühjahr letzten Jahres allerdings standen die Bänder acht Wochen lang still. Die Corona-Pandemie forderte umfangreiche Maßnahmen zum Schutz der Belegschaft. Das riss eine große Lücke in die vom Band rollende Transporterflotte, für deren Absatz der Reisemobilsektor fast genauso bedeutend ist wie die Gewerbekunden.
Weil das Werk ohnehin schon an der Kapazitätsgrenze arbeitet, war diese Lücke nicht mehr aufzufüllen. Und die Nachfrage nach Kastenwagen steigt weiter, auch wegen des immensen Booms im Onlinehandel, für den die Logistikunternehmen ihre Flotten ausbauen müssen.
"Aufgrund des explodierenden Bestelleingangs waren wir letztlich gezwungen, die Bestellbarkeit für den auslaufenden Modelljahrgang zu schließen", sagt Bernd Wachtel, Leiter des Bereichs Aufbauhersteller bei der FCA Germany AG. Bei einem Hersteller wie Adria beispielsweise führt dieser Schritt gleich mal zu "60 Fahrzeugen, die nicht an die Händler gegangen sind", so Kurt Manowski, Co-Geschäftsführer bei Reimo und für den Import der Marke Adria verantwortlich.
Die Produktionsumstellung im Zuge des zum kommenden Modelljahr anstehenden Ducato-Facelifts dürfte weitere Kapazitäten binden. Auch die in der Folge nötigen Neuhomologationen bergen weiteres Verzögerungspotenzial. Die Produktionskapazität in Sevel aber ist ausgereizt. "Aufträge für den kommenden Modelljahrgang 2022 nehmen wir momentan noch sehr limitiert entgegen", sagt Bernd Wachtel zwar, dennoch scheint der neue Jahrgang zumindest seitens der Aufbauhersteller schon weitgehend verplant: "Meine Marken Hymer und Carado", sagt Kai Dhonau, Präsident des Händlerverbands und Geschäftsführer des Handelsunternehmens Hymer-Zentrum B1, "nehmen für 2022 bereits keine Bestellungen mehr an, weil sie schon ausverkauft sind." Eine Situation, die auch für andere Hersteller gilt. Zwar müssen die Händler ihre Vorbestellungen erst noch an den Endkunden bringen. Da die Branche aber laut Caravaning Industrie Verband von weiterem Wachstum ausgeht, dürfte das eine leichte Übung werden.
Eine Möglichkeit, der ausgelasteten Fiat-Produktion zu entkommen, könnte das Ausweichen auf die Basisfahrzeuge anderer Marken sein; eine Strategie, der die Aufbauhersteller auch schon zunehmend folgen. Mercedes beispielsweise ist mit dem Sprinter auf dem Vormarsch, besonders seit es diesen auch mit Frontantrieb gibt. Stellantis selbst hat die weitgehend baugleichen Citroën Jumper und Peugeot Boxer im Portfolio, die sich nur durch Motor und Getriebe vom Ducato unterscheiden und auch im Werk Sevel vom Band rollen. Das Neungang-Automatikgetriebe, das den Fiat für viele unverzichtbar macht, können sie allerdings nicht bieten.
Doch auch bei der Auslieferung von Reisemobilen auf Sprinter-Basis kommt es in den ersten Monaten dieses Jahres zu Stockungen. Der Grund: Weil es bei Fahrzeugen der Baureihen 907 und 910 aus dem Produktionszeitraum Januar 2018 bis Dezember 2020 mit elektrischer Parkbremse zu Undichtigkeiten im Bremssystem kommen kann, konnten die Fahrzeuge teils nicht ausgeliefert werden. Bis zum Start des Rückrufs verstrich zudem allerhand Zeit – Zeit, die die Kommunikation zwischen Händlern und Kunden nicht gerade erleichterte. Mittlerweile, so die Aussage von Mercedes, werde mit Hochdruck an der Abarbeitung des Rückrufs gearbeitet. Einer unserer Leser, der sehnlich auf sein Sprinter-Mobil wartet, hatte bis Mitte Mai immer noch keine konkrete Rückmeldung zum längst überfälligen Liefertermin.
Produktionsausfälle und Materialknappheit bei Zulieferern
Die Basisfahrzeuge sind allerdings nur einer der Flaschenhälse, durch die die Produktion gerade durch muss. An anderen Zulieferteilen herrscht ebenso Mangel. "Es fehlt an allem: Markisen, Kühlschränke, Fliegenschutztüren, Heizungen, Matratzen, Fernseher …", so Kai Dhonau. Grund dafür sind nur zum Teil Corona-bedingte Produktionsausfälle. Kurt Manowski ist überzeugt: "In meinen Augen ist die Ursache der momentanen Probleme die überbordende Nachfrage."
Auch Chassisspezialist Alko kann trotz Sonderschichten und alternativer Materialbeschaffung seine Fahrwerke nicht in jedem Fall in der gewünschten Stückzahl liefern. Andere große Zubehörlieferanten wie Truma und Dometic machen aus der angespannten Situation ebenfalls kein Hehl: "Da Rohstoffe und elektronische Komponenten weltweit knapp sind, sind wir ebenso betroffen wie alle anderen. Mit Optimierungen in der Lieferkette und weiteren Aktivitäten versuchen wir, größere Störungen unserer Lieferungen zu vermeiden", sagt Matthias Rügner, Leiter der Abteilung RV OEM bei Dometic. Und die Pandemie hat weiter negative Auswirkungen: "Bei uns gab es Tage, an denen wir aufgrund von Covid-Fällen unser Produktionsvolumen senken mussten."
Ähnlich ist die Situation bei Truma: "Durch die Pandemie ist die Nachfrage erheblich gestiegen. Wir haben in der Produktion bereits unsere Kapazitäten erhöht. Und natürlich sind auch wir in bisher sehr begrenztem Umfang von Lieferengpässen bei Zulieferern betroffen." So soll die Produktion von Dieselheizungen, so hört man, wegen fehlender Glühkerzen stocken, die Lieferant Eberspächer nicht beibringen kann. Bei den Aufbauherstellern stehen beinahe fertige Fahrzeuge ohne LED-Tagfahrlicht auf dem Hof. Auch Fiat nämlich fehlen die nötigen Halbleiter, an denen momentan weltweit ein Mangel herrscht, der die Autoindustrie vermehrt zu Kurzarbeit zwingt. Die Havarie eines Containerschiffs im Suez-Kanal vor wenigen Wochen, die eine Woche lang Lieferketten unterbrach, war da ebenfalls nicht gerade hilfreich.
Und dann ist da noch die Kommunikation. Um für Verständnis zu werben, muss man miteinander reden. Auch wenn die Zeit in den Unternehmen aufgrund besagter Probleme und der überbordenden Nachfrage sicherlich knapp ist: Wer an der Kommunikation spart, tut das an der falschen Stelle. Kunden wochenlang im Unklaren zu lassen oder mit nichtssagenden Serienbriefen abzuspeisen ist keine Lösung. Auch das bisweilen erfolgte Abblocken der Endkunden auf Herstellerseite mit dem lapidaren Verweis auf den Händler hilft nicht weiter. Niemand ist für die derzeitige Misere direkt verantwortlich, reibungslose Geschäfte wären allen Beteiligten sicher lieber. Während manche Händler in Sachen Kommunikation Vorbildliches leisten – was die Konfrontation mit dem Kunden freilich nicht immer verhindern kann –, haben andere ganz offensichtlich Nachholbedarf.
Direkt und pragmatisch geht Heinz Dietz vom Autohaus Dietz im fränkischen Ebern mit seinen Kunden um. Ihm wurden drei Ducato mit Automatikgetriebe gestrichen. Mit den betroffenen Kunden versuchte er Lösungen zu finden. Einer der Kunden erklärte sich bereit zu warten, bis der neue Ducato verfügbar ist, die beiden anderen Verträge musste er stornieren. Rund läuft es nach wie vor nicht. "18 Fahrzeuge stehen bei Pössl in Isny, weil die Rahmenfenster fehlen. Dazu kommt, dass fünf Kunden bei ihrem Neufahrzeug auf eine andere Farbe wechseln mussten."
Tatsächlich gibt es bei der aufwendigen Zweischicht-Metalliclackierung immer wieder Engpässe in Sevel – ein Problem, das für Adria laut Reimo-Geschäftsführer Manowski momentan die Hauptproblematik in Sachen Fiat darstellt. Bernd Wachtel bestätigt: "Die stetig steigende Nachfrage gerade nach Kastenwagen mit langem Radstand ab sechs Metern Außenlänge in einer Metalliclackierung übersteigt derzeit die Kapazitäten der dafür vorgesehenen Lackierstraße."
Offene Kommunikation unerlässlich
"Es hilft aber alles nichts", konstatiert Dietz, "wir müssen positiv bleiben. Die Kommunikation und Ehrlichkeit mit dem Kunden sind das A und O, den Kopf in den Sand zu stecken hilft niemandem." Wenn die Kundschaft kein Verständnis hat und gleich mit dem Anwalt droht, verzichtet er lieber auf den Auftrag.
Dietz’ Händlerkollege Dhonau hat sechs Totalausfälle zu vermelden und vier, fünf "Extremverschiebungen", wie er sie nennt. Damit sind bei ihm rund zwei Prozent seines Jahresabsatzes betroffen. "Wenn man das auf den deutschen Markt hochrechnet, in dem im vergangenen Jahr rund 100.000 Fahrzeuge abgesetzt wurden, ist das eine ganze Menge. Händler und Kunde müssen da aufeinander zugehen." So haben manche KundInnen Kompromisse bei der Ausstattung gemacht und doch noch ein Fahrzeug in der Ausstellung gefunden. Eine Lösung, die auch Bernhard Moser von Moser Caravaning in Mainz seinen Kunden anbietet. Während auf vielen Händlerplätzen gähnende Leere herrscht, hat er sich mit seinen Vorordern gut aufgestellt. "Bis zum Sommer kann ich noch rund 250 fertig konfektionierte Fahrzeuge liefern."
Mit einem grundlegenden Missverständnis seitens der Kundschaft möchte Kai Dhonau bei dieser Gelegenheit gern mal aufräumen: "Viele Kunden meinen, man müsste schon Wochen und Monate vorher wissen, ob alle Teile für die Produktion ihres Mobils dann auch da sein werden. Doch wie überall wird auch in der Reisemobilproduktion ‚just in time‘ produziert." Pressesprecher Stefan Diehl von Knaus verdeutlicht das mit einer Zahl ganz plastisch: "Allein in unserem Werk in Jandelsbrunn kommen jeden Tag 70 bis 80 Lkw an." So wird praktisch erst bei der Produktion des Fahrzeugs im Band festgestellt, ob etwas fehlt.
"Die Lieferreihenfolge muss häufig verändert werden", ergänzt Dr. Holger Siebert, Geschäftsführer der Eura Mobil GmbH. "Das macht uns Aufbauherstellern mit genau getakteten Lieferterminen für Chassis und Aufbauteile bereits seit Monaten das Leben schwer. Irgendwann ist alle Improvisation zu Ende und viele Werke müssen die Produktion anhalten." So kam es beispielsweise im Frühjahr bei Hymer zu dem Phänomen, dass eine große Zahl von neuen, vermeintlich fertig produzierten Fahrzeugen auf angemieteten Parkplätzen abgestellt werden musste, weil für ihre endgültige Fertigstellung noch Teile fehlten – unter den Herstellern kein Einzelfall.
Dem Kunden, der händeringend auf sein Mobil wartet, ist dieser Anblick kaum zu vermitteln. Etwas Hintergrundwissen kann hier den Leidensdruck hoffentlich ebenso mindern wie die Tatsache, dass Corona die meisten Reisepläne bis dato leider ohnehin durchkreuzt hat.
Nachgefragt
Auch bei viel Verständnis und großer Flexibilität auf beiden Seiten lassen sich rechtliche Auseinandersetzungen nicht immer vermeiden. Anwalt Manfred Zipper gibt Auskunft zur momentan besonders virulenten Lieferproblematik:
Herr Zipper, wie verbindlich ist ein vereinbarter Liefertermin?Wenn ein konkreter Liefertermin im Kaufvertrag bzw. in der verbindlichen Abnahmevereinbarung zugesagt ist, muss sich der Verkäufer daran halten. Man spricht dann von einem Fixgeschäft. Unterschieden wird in absolute und relative Fixgeschäfte. Beim absoluten, das beim Wohnmobilkauf allerdings kaum zur Anwendung kommt, hat die Durchführung des Vertrags für beide Seiten nach Ablauf der Vertragszeit keine Bedeutung mehr. Beim relativen Fixgeschäft aber kann die Leistung, also die Lieferung des Wohnmobils, noch nachgeholt werden.
Wie lange darf sich ein verbindlicher Liefertermin verzögern?Wenn er konkret vereinbart worden ist, darf er nicht überschritten werden. Mit einer Kulanz von zirka zwei Wochen kann die Lieferung des Wohnmobils aber noch nachgeholt werden.
Und wenn es länger dauert?Bei Versäumung der vereinbarten Leistungszeit kann der Käufer, sofern die Voraussetzungen vorliegen, Ersatz des Schadens verlangen, der durch den Zeitverzug entstanden ist. Grundsätzlich muss bei einem verbindlich vereinbarten Liefertermin vom Käufer keine Frist mehr gesetzt werden, um vom Kaufvertrag zurücktreten zu können. Fairerweise muss man aber dazu sagen: In den meisten Bestellformularen steht ein fixer Liefertermin nicht wirklich drin. Da ist meist die Rede von einem unverbindlichen Liefertermin. Es handelt sich also nicht um das oben beschriebene Fixgeschäft.
Kann der Kunde bei drastischer Verzögerung der Lieferung dennoch vom Vertrag zurücktreten?Es kommt hier auf die konkrete Formulierung in der verbindlichen Bestellung an. Ein Rücktritt ist nur möglich, wenn ein Fixtermin ausdrücklich vereinbart ist.
Welche Möglichkeiten hat der Kunde bei Stornierung des Kaufvertrags seitens des Händlers?Sollte der Verkäufer den Kaufvertrag grundlos, also ohne dass der Käufer es zu vertreten hat, stornieren, so hat der Käufer die Möglichkeit, Schadensersatz zu verlangen. Es kann dann eine Beschaffung von einem anderen Händler erfolgen, eine eventuelle Kostendifferenz ist vom Verkäufer zu tragen.
Hersteller wie Händler berufen sich im Fall der gegenwärtigen Lieferverzögerungen häufig auf die Corona-Pandemie und damit auf höhere Gewalt. Doch es gibt auch andere Ursachen. Wann kann man sich als Verkäufer bzw. Hersteller auf höhere Gewalt berufen?Wenn die Bestellung während der Corona-Pandemie erfolgt ist, muss der Verkäufer mit Lieferengpässen leben und diese auch einkalkulieren. Das heißt, der Verkäufer muss den Nachweis führen, dass er die Lieferverzögerung nicht zu vertreten hat. Kommt es dennoch zu Schadenersatzforderungen, können die in der Lieferkette dann nach hinten bis zum Verursacher weitergereicht werden.