Bruno Ganz: Der beste Almöhi aller Zeiten
Die Neuverfilmung von "Heidi" startet in den Kinos. Bruno Ganz spielt darin den Almöhi, die Erwachsenen-Hauptrolle. Doch was macht der große Schauspieler im bekanntesten Alpen-Kitsch-Drama?
Der verwitterte Alte trägt einen noch älteren Schlapphut auf seinem ergrauten Schädel, das Gesicht scheint nur aus dem zerzausten Vollbart zu bestehen. Und doch erkennt man ihn sofort - am lustigen Ausdruck seiner Augen, der sich bei einem Experten wie ihm abrupt ins Gegenteil verändern kann. Bruno Ganz (74) spielt den Almöhi, die Erwachsenen-Hauptrolle im neuen "Heidi"-Film, der am Do (10.9.) in den Kinos startet. Doch was macht der große Bruno Ganz im bekanntesten Alpen-Kitsch-Drama?
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"Heidi" ist das Schweizer Klischee schlechthin, es gibt sogar Käsesorten, die Heidi heißen, mit einem blondzöpfigen Mädchenabbild auf der Schachtel. Dass ausgerechnet ein Bruno Ganz, der wohl größte deutschsprachige Schauspieler, darauf anspringt, hat die Fachwelt verwundert. Nicht aber den Meister selbst: "Ich bin Schweizer, und ich muss das machen", sagte der Schauspieler in einem Interview.
Der Schweizer Mythos "Heidi"
Der Schweizer Mythos "Heidi" geht auf die weltberühmte Romanfigur der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri (1827-1901) zurück. Sie erzählte die Geschichte eines fünfjährigen Waisenkinds des 19. Jahrhunderts, das zu seinem einsiedlerischen Großvater, dem Almöhi, in die Bergwelt des Kantons Graubünden kommt und eines Tages zur Tante nach Frankfurt am Main muss. Dort sehnt sich Heidi zurück nach der Schweizer Idylle mit dem Almöhi und ihrem besten Freund, dem Geissenpeter.
Spyris Heidi-Romane wurden in 50 Sprachen übersetzt, die Gesamtauflage dürfte bei 50 Millionen Büchern liegen. 1920 wurde der Stoff in den USA erstmals verfilmt, noch ohne Ton. Insgesamt wurden in den vergangenen 95 Jahren zwölf Heidi-Filme gedreht, der letzte unter der Regie von Alain Gsponer, mit der zehnjährigen Anuk Steffen als Heidi und Quirin Agrippi (13) als Geissenpeter.
Die neue Verfilmung
Die Rührstory um das Mädchen Heidi ist außergewöhnlich gut gelungen, und "Spiegel.de" schwärmt denn auch von einem "Heimatfilm für Kinder, der Heimat undogmatisch, unpatriotisch und kein bisschen agrarpolitisch da ansiedelt, wo es angeblich schon Plinius der Ältere getan hat: Home ist where your heart is".
Bruno Ganz spielt den knorrigen, zunächst sehr mürrischen Großvater, der sich dann aber liebevoll um das kleine Mädchen kümmert und für ihren Verbleib in den Bergen kämpft. "Das Mädchen bekommt beim Almöhi zu essen und hat einen Schlafplatz, aber ansonsten ist sie mit dem gleichaltrigen Jungen und einer Herde Ziegen unterwegs. Das kann kein Großstadtkind, das ist großartig. Heidi ist ein tolles Kind, ein Held irgendwie", sagt der Schauspieler in einem Gespräch mit der "Stuttgarter Zeitung".
Und die Geschichte, wie Heidi aus den Bergen "in ein Luxus-Paradies versetzt" wird, sei schlichtweg ergreifend "Sie will nach Hause, zum Großvater. Das ist traurig, das ist rührend, das ist Liebe."
Bruno Ganz überzeugt seit Jahrzehnten
Schauspieler Bruno Ganz überzeugt seit Jahrzehnten in allen seinen Rollen (noch) intensiver und glaubwürdiger als andere Schauspieler. Er gibt seinen Figuren die Seele, ohne die sie blass und künstlich wären. Er hat an allen großen Bühnen gespielt, in Zürich am Schauspielhaus, in Berlin an der Schaubühne und am Berliner Ensemble, in Wien am Burgtheater, in Bochum am Schauspielhaus.
Das Kinopublikum kennt ihn als herausragenden Charakterdarsteller, etwa in "Der amerikanische Freund" (1977, Regie: Wim Wenders), "Nosferatu - Phantom der Nacht" (1979, Werner Herzog), "Die Fälschung" (1981, Volker Schlöndorff), "Der Himmel über Berlin" (1987, Wim Wenders), "Brot und Tulpen" (2000, Silvio Soldini), "Der Vorleser" (2009, Stephen Daldry), "Das Ende ist mein Anfang" (2010, Jo Baier) oder "Nachtzug nach Lissabon" (2013, Bille August). Ein Höhepunkt der Filmkunst war Bruno Ganz als Hitler in "Der Untergang" (2004, Oliver Hirschbiegel).
Der Großschauspieler lebt mit seiner Lebensgefährtin, der Fotografin Ruth Walz, in Zürich und Venedig. Mit seiner Ehefrau Sabine (seit 1965 verheiratet, seit langem getrennt) hat er den gemeinsamen Sohn Daniel (43), der mit sechs erblindete. Seine Alkoholsucht hat Ganz vor über 15 Jahren endgültig besiegt.
Romy Schneider und der Iffland-Ring
Anfang der 1970er-Jahre hatte sich der damalige Weltstar Romy Schneider (1938-1982) in den hochtalentierten Schweizer verliebt. Es war ein turbulentes Jahr zwischen Hamburg, Berlin und Paris, bevor es zur Trennung kam. "Sagen wir es mal so: Sie hat mich verlassen. Sie war der Star", sagte der 74-Jährige der "Kleinen Zeitung" über das Ende der Beziehung.
1996 vermachte der Wiener Schauspieler Josef Meinrad seinem Schweizer Kollegen Bruno Ganz den Iffland-Ring, der seit über 100 Jahren an den jeweils "würdigsten" Schauspieler deutschsprachiger Bühnen weiter vererbt wird. Ganz hatte testamentarisch den Burgtheater-Darsteller Gerd Voss (72) als Nachfolger festgelegt; der starb jedoch im Juli 2014.
"Ich bin Schweizer, und ich muss das machen"
Dieser Ganz, das Juwel deutschsprachiger Theaterkunst, verkörpert nun den einsilbigen, knorrigen Almöhi. "Der hat die Geräte in der Hand, weil er gerade mit ihnen arbeitet. Und wenn sich dann jemand mit solchen Ansinnen nähert, nämlich ihm Heidi wegzunehmen, was ihn wütend macht und verstört, dann legt man nicht, höflich wie man ist in Berlin-Charlottenburg, die Axt aus der Hand, sondern man behält sie in der Hand und sagt: Mach, dass du wegkommst - im Dialekt", erzählt er der "Stuttgarter Zeitung".
Es habe Spaß gemacht, "dieses Handwerkszeug" in 2000 Meter Höhe. Er habe auch keine große Mühe gehabt, die Ziegen fachmännisch zu melken, weil er als Kind von den Eltern zu Verwandten, die Bauern waren, geschickt wurde. So habe er das Melken gelernt.
Eine Absage an die Neuverfilmung eines Stoffes, den es auch als Mangas und Animationsserien gibt, sei ihm nie in den Sinn gekommen. "Das ist ein nationaler Mythos, egal wie verformt. Das ist egal, ich bin Schweizer, und ich muss das machen."