FKA Twigs ist nicht von dieser Welt

Mit einem Gesicht wie eine außerirdische Kindsfrau und maximal minimalistischem R&B ist die Britin FKA Twigs vor einem Jahr zum Liebling der Kritiker avanciert. In dieser Position setzt die Unnahbare nun alle Regeln außer Kraft: Ihr Album kommt erst nach dem Hype, klingt nach ausgereiften Skizzen sowie federleicht und zentnerschwer zugleich.
Alles an FKA Twigs wirkt übernatürlich: das Gesicht wie einfeminines Alien zwischen Kindsfrau und E.T., die Musik so reduziertwie eine Skizze aus drei Strichen, ihre Videos so seltsam wiefaszinierend. Kein Wunder, dass die Blogs, Facebook-Walls undFeuilletons seit "Water Me", dem ersten Video von Talilah Barnett,einen Aufriss um die junge Britin machen, als wäre sie tatsächlichein Alien auf der Flucht.
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Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass die 26-Jährige dochvon dieser Welt stammt, genauer gesagt aus Gloucestershire. Aus demKaff flüchtete die Tänzerin, deren Knochen beim Aufwärmen immer soknackten wie ein dünner Zweig ("Twig"), nach London und schlossihre Transformation zum Gesamtkunstwerk ab. Nach zwei gefeiertenEPs, mit denen sie die Welt auf ihren Minimal-R&B eingestimmthat, folgt nun das Debütalbum, simpel "LP1" betitelt.
Den Anfang ihres ersten Albums scheint sie sich vonWitch-House-Spezialistin Grimes abgeschaut zu haben: ätherische,übereinander gelagerte Gesänge, wie aus einer spirituellenZeremonie vom Ende der Welt. Dazu Synthesizer-Flächen für die Epikund futuristische Computer-Geräusche, die im 21. Jahrhundert Musikbedeuten: klickern, klackern, knallen und knacksen. Dazu hauchtTwigs Texte, die sich meistens um die dunklen Seiten der Liebedrehen, und lässt ihre beeindruckende Stimme nicht selten inMariah-Carey-ähnliche Höhen aufsteigen.
Das ungewöhnlichste an dieser Musikrichtung, die seit JamesBlake ihren Siegeszug feiert, ist die Tatsache, dass siegleichzeitig federleicht und zentnerschwer klingt. Melodien werdennur angedeutet, das Gehirn denkt sie selbst zu Ende, die Hälfte derSongs entsteht als Fata Morgana im eigenen Kopf. Twigs macht Musikfür die sedierten Momente des Lebens, wenn man - im übertragenenSinne - angefahren am Straßenrand liegt, bewegungsunfähig undversunken in die eigene Gefühlswelt. Das ist spannend und schön,aber keine leichte Kost und tanzen kann dazu sowieso nur FKA Twigsselbst.
So viel ausgereifter Kunstsinn macht die Medien scheinbarmisstrauisch. Verbreitet wird berichtet, dass Arca, der Produzentvon Kanye Wests letztem Überalbum, das Genie dahinter ist. Was dieKünstlerin bereits entschieden zurückwies - er habe nur an einemeinzigen Song auf diesem Album mitgearbeitet. Also dochüberirdisch.