So gemein können Literatur-Stars sein

Sie mögen brillante Texte verfassen, doch die großen Dichter unserer Zeit haben auch so ihre Macken. Zumindest weiß Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger einiges darüber zu erzählen.
Die Herren des Wortes können unausstehlich sein. Zu diesem Schluss kommt ein Mann, der es wissen muss: Raimund Fellinger (64), Cheflektor des renommierten Literaturverlags Suhrkamp, hat seit 36 Jahren engen Umgang mit den bekanntesten Dichtern deutscher Sprache. Er fragt sich nur noch: "Welcher Schriftsteller ist kein Kotzbrocken?"
In einem Interview mit dem "Süddeutsche Zeitung Magazin" sagt Fellinger: "Ich habe von Autoren alle möglichen Demütigungen erlebt: Ein halbstündiges Donnerwetter am Telefon, dass ich unfähig sei zu lesen und zu denken, Stehenlassen auf der Straße, stundenlanges Schweigen im Restaurant, Erpressungsversuche durch Winken mit einem anderen Verlag."
Auch untereinander ist man nicht immer freundlich
Auch miteinander pflegen die Feingeister überaus robust umzugehen. Von Martin Walser (88) und Uwe Johnson (gest. 1934-1984) kursiert die Geschichte, Johnson habe seinen Kollegen wegen dessen auffälliger Armbanduhr angepöbelt. Walser schenkte die Uhr Johnson, der sie daraufhin quer durch das Lokal schmiss, woraufhin Walser angeblich abrauschte.
Auch die Streitorgien zwischen den Schweizer Schriftstellern Max Frisch (1911-1991) und Friedrich Dürrenmatt (1921-1990, "Der Besuch der alten Dame") sind legendär. Frisch hatte seinem in herzlicher Hassliebe verbundenem Kollegen eine Kritik per Brief zugeschickt. Darin hieß es: "Mein lieber Fritz. Ich weiß nicht, ob es Dir irgendjemand deutlich sagt: Du machst es nicht gut." Dürrenmatt brauche Leute, so Frischs Fazit, die ihm blindlings ergeben seien, sonst fühle er sich verraten. Dabei sei er es, der "leichtfertig oder auch bösartig" seine Freunde verrate, "wenn Du mit ihnen nicht unter vier Augen bist".
Dürrenmatt und Frisch
Berühmt wurde auch der lautstarke Krach der beiden Literaturgrößen 1978 in der Zürcher Kronenhalle. Dürrenmatt hatte Frisch eine freundlich gemeinte Widmung in sein neues Buch geschrieben, einen Gruß an den "alten Kumpanen". Der ging wortlos und kam erst gegen Mitternacht volltrunken zurück. Er brüllte, dass er seinen Anwalt konsultiert habe, "Kumpan" sei ein Wort aus der "Verbrechersprache", er aber sei kein Verbrecher. Dann schmiss er dem völlig verdatterten Dürrenmatt das Buch mit der Widmung vor die Füße.
Immerhin konnte sich Frisch an den Eklat noch erinnern, denn er schrieb Tage später einen Entschuldigungsbrief dafür, "dass ich an dem Abend in der Kronenhalle durchgedreht habe". Nicht nur der Cognac sei schuld gewesen. "Es häufen sich seit einiger Zeit bei mir die Fehlleistungen, zum Verzweifeln."
Über die, so sagt es Fellinger, "Schattenexistenzen" der Lektoren, die als erste Leser die Werke der Dichter bearbeiten, gibt es den Kalauer, dass das einzige Vermögen, mit dem sie punkten könnten, das Durchhaltevermögen sei. Doch manchmal wehren sie sich gegen die Launen der Literaturdiven. So schrieb Helmut Frielinghausen, der unter anderem Günter Grass (1927-2015) lektorierte, einem Autor folgende Randnotiz ins Manuskript: "Gnade! Warum hassen Sie Ihre Leser? Wer soll das lesen? Und was hätte er davon???"