"Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes": Rettet Eure Zahnbürsten!
In "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" trifft der Kieler Tatort-Kommissar (Axel Milberg) erneut auf Psychopath Kai Korthals (Lars Eidinger). © NDR/Philip Peschlow
Der 29. November markiert den 45. Geburtstag des Tatort, an exakt diesem Datum lief 1970 der allererste Fall " Taxi nach Leipzig" mit Kommissar Trimmel aus Hamburg. Zum Jubiläum gibt es nun einen besonderen Film: "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" ist das erste Sequel der Tatort-Geschichte. Darin kehrt Kai Korthals zurück, der 2012 nicht nur für beklemmenden Grusel sorgte, sondern letztendlich auch den Kieler Kommissaren entkam. Kann die Fortsetzung überzeugen oder ist das Sequel einfach nur ein mauer Abklatsch?
Worum geht’s?
Eine Tiefkühltruhe am Strand, darin die verstörte Mandy Kiesel (Lea Draeger), die vor einigen Monaten aus der Psychiatrie verschwunden ist. Äußerlich ist die junge Frau auf den ersten Blick unversehrt, und nicht nur deswegen nimmt sich Borowski (Axel Milberg) nur äußerst widerwillig des Falles an. Er steht kurz davor, seine große Liebe Frieda Jung (Maren Eggert) zu heiraten und genießt das Liebesglück mit der ehemaligen Polizei-Psychologin.
Sarah Brandt (Sibel Kekilli) aber nimmt sich Mandy an, und schnell beginnt die verstörte Frau zu erzählen: Sie wurde von einem Mann festgehalten und erinnert sich an zahlreiche Details der Wohnung. Als Mandy ihren Peiniger zeichnet, erkennt Sarah Brandt sofort Kai Korthals (Lars Eidinger), der vor einigen Jahren auch in ihre Wohnung eingedrungen war und sie bedroht hatte.
Wenig später ist Mandy tot. Sie ist verblutet, weil Korthals ihr das gemeinsame Kind aus dem Bauch herausgeschnitten hat und niemand die Wunden bemerkte. Das Baby liegt in einem Krankenhaus, Borowski und Brandt bringen es in Sicherheit. Doch damit reizen sie den psychopathischen Serienmörder erst recht. Korthals will sein Kind sehen und entführt als Druckmittel Borowskis Braut Frieda Jung…
Worum geht es wirklich?
Zwei Männer im Ausnahmezustand, beide kämpfen um das Liebste, was sie haben. Wir sehen einen ungewöhnlich emotionalen Borowski, der laufend Grenzen überschreitet und über sich hinauswächst. Allein durch das frivole Bärtchen wird deutlich gemacht: Hier geht es um eine bislang verborgene Seite des sonst eher muffeligen Kieler Kommissars – eine private, verletzliche Seite. Sein Gegner Kai Korthals, der seit den Morden von 2012 untergetaucht war und ein scheinbar harmloses Leben führte, verliert durch seine Tochter vollkommen den Halt. War er zuvor kühl und analytisch, tickt er nun richtiggehend aus. Zwischendurch wird es sogar episch, Korthals wendet sich in einem Monolog direkt an die Zuschauer. Ein Tatort voller künstlerischer Ansätze, der sich nicht einordnen lässt und wenig mit der "normalen" Polizeiarbeit zu tun hat – selbst in Kieler Maßstäben.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Nein, aber das muss sie in diesem Fall auch nicht sein. "Die Rückkehr des stillen Gastes" ist ein Psycho-Thriller und spielt mit den Ängsten von Protagonisten und Zuschauern. Auch wenn die perfide Zahnbürsten-Szene aus dem ersten Teil noch einmal aufgenommen wird, geht dem Sequel leider das hintergründige Bedrohungs-Gefühl ab. Kai Korthals ist nicht mehr der unheimliche "stille Gast", sondern er wird zum gewöhnlichen Verbrecher. Darüber hinaus bleiben viele naheliegende Fragen offen – für Pedanten sicherlich störend, dennoch ist dieser Tatort aus Kiel durchaus gelungen.
Bester Auftritt
Lars Eidinger hat mit dem Serien-Mörder Kai Korthals im ersten "Stillen Gast"-Tatort vielleicht DIE Rolle seiner bisherigen (TV-)Karriere gespielt. Beim zweiten Auftritt ist er nicht minder furchteinflößend, das Duell mit Axel Milberg als Klaus Borowski ist auch in schauspielerischer Hinsicht auf Augenhöhe. Und doch fehlt es ein Stück weit an der Wucht des ersten Teils: Die Wut und Gewalt, die Korthals hier anwendet, ist um ein vielfaches beliebiger als der perfide Grusel, den er im ersten Teil verbreitet. Dennoch: Lars Eidinger hat sich mit Kai Korthals einen Platz in der Tatort-Geschichte erspielt.
Was muss man sich merken?
Wird es einen dritten Teil geben? Im Interview träumt Lars Eidinger von einem weiteren Auftritt. Ansonsten sind in "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" die normalen Tatort-Gesetze außer Kraft gesetzt. Frieda Jung verschwindet genauso plötzlich wieder, wie sie auftaucht. Ein Schicksal, das hoffentlich auch Borowskis äußerst gewöhnungsbedürftigen Dandy-Schnauzbart (Stichwort Movember?) ereilen wird.
Soll man gucken?
" Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" wird manchen Tatort-Puristen, der mit ungewöhnlichen Erzähl-Techniken nichts anfangen kann, verwirren. Einzelne Szenen - wie etwa Korthals' Monolog an die Zuschauer - wirken dabei ein wenig aufgesetzt. Es gibt nichts zu rätseln, es gibt keinen klassischen Mord – es gibt "nur" Borowski gegen Korthals. Ein tolles Duell jenseits der Grenzen von Recht und normaler Polizeiarbeit. Doch auch Korthals- und Kiel-Fans droht ein wenig Enttäuschung, so gut wie der erste Teil ist dieser Tatort nämlich leider nicht. Dennoch ein sehenswerter Fall, dessen einziges Manko vielleicht die hoch gelegte Latte des Vorgängers ist. Übrigens: Wer Kai Korthals nochmal richtig kennenlernen möchte, sollte sich am Freitag vorab den ersten Teil " Borowski und der stille Gast" um 22:00 Uhr im Ersten anschauen – und schon mal eine neue Zahnbürste bereitlegen.