Tatort aus München: Batic und Leitmayr am Abgrund

Tatort "Der Tod ist unser ganzes Leben": Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) steht vor den Trümmern seines Lebens. ©BR/X Filme/Hagen Keller
Der Mörder ist unscheinbar. Er trägt den obersten Hemdknopf geschlossen, also entweder Hipster oder Psychopath. Im neuen München-Tatort "Der Tod ist unser ganzes Leben" definitiv Letzteres. Vor einem Jahr hat er wahllos Familienvater Ben Schröder erstochen, jetzt sucht er sich ein neues Opfer. Damals, im Fall "Die Wahrheit", brachte die ergebnislose Fahndung die Münchener Tatort-Kommissare fast an den Rand des Zusammenbruchs.
Die Soko ist längst aufgelöst, doch in der Wohnung von Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) hängt noch immer eine Sammlung von Indizien und Hinweisen. Der Mord ohne Mörder hat ihn nie ganz losgelassen, umso energischer wird nach dem zweiten Angriff ermittelt, den das Opfer mit viel Glück überlebt. Nur wenig später klicken die Handschellen und Thomas Barthold (Gerhard Liebmann) wird verhaftet. "Es ist vorbei!" seufzen Leitmayr und Ivo Batic (Miroslav Nemec) erleichtert, auch wenn Barthold sich im Verhör als eiskalter Psychopath ohne jede Reue zeigt.
Tatort spielt mit Rekonstruktion und Dekonstruktion der Erinnerungen
Fünf Monate später soll Barthold aus der Untersuchungshaft für seinen Prozess nach München gebracht werden. Schröder Witwe Ayumi Schröder (Luka Omoto) ist aus Japan angereist, und Batic und Leitmayr begleiten den Transport. Doch irgendetwas geht katastrophal schief, und drei Tage später humpelt Leitmayr an Krücken zum Verhör, während Batic gerade aus dem Koma erwacht.
Was ist auf dem Transport passiert? Leitmayr schildert die Ereignisse des Tages aus seiner Sicht vor der Kommission. Welche Rolle spielten die begleitenden Beamten (Friederike Ott, Jan Bluthardt)? Als die Sprache auf Batic kommt, wird Leitmayrs Vertrauen in seinen Partner und Freund bis in die Grundfesten erschüttert.
Gemeinsam mit Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) versucht der angeschlagene Leitmayr, die Ereignisse zu rekonstruieren. Batic ist dabei die Schlüsselfigur, doch an ihn kommt Leitmayr nicht heran, schließlich legt Batic sogar ein Geständnis ab. Das Münchener Tatort-Team steht dienstlich, privat und gesundheitlich am Abgrund: Gibt es eine gemeinsame Zukunft oder droht Suspendierung, Rente oder Invalidität? 26 gemeinsame Jahre sind bedeutsamer als so manche Ehe, für beide ist die Arbeit mehr Lebensinhalt als Beruf.
Mit " Die Wahrheit" wich der Münchener Tatort schon sehr erfolgreich vom Standard-Schema ab. Der Fall beruhte auf einer wahren Begebenheit, die jetzige Fortsetzung "Der Tod ist unser ganzes Leben" ist allerdings fiktiv. Auch wenn beide Fälle aufeinander aufbauen, sind sie doch grundverschieden: Der erste Tatort zeigte die zermürbende Ausweglosigkeit beim vergeblichen Versuch, ein nicht nachvollziehbares Verbrechen aufzuklären. Jetzt liegt der Reiz im Unbekannten. Wem kann Leitmayr glauben, wem können wir als Zuschauer glauben?
Reichlich Blut ist der einzige Farbtupfer
In diversen Rückblenden werden die Ereignisse aufgearbeitet und wieder dekonstruiert. Auch wenn der Ausgang nicht ganz überraschend ist, liefern die Münchener mit " Der Tod ist unser ganzes Leben" den spannendsten Tatort des Jahres ab. Die Bildsprache ist – passend zur Haarfarbe der Herren Kommissare – in tristem weiß-grau gehalten und spiegelt Leitmayrs Gemütszustand treffend wider. Nur das reichlich fließende Blut sorgt für Farbtupfer.
Ein großartiger Tatort mit enormer Spannung, erzählerisch eine erfrischende Abwechslung nach vielen Wochen voller standardisierter Tatort-Spannungsbögen. Der allerletzte Kick wird allerdings von der ARD-Programmplanung versaut. Gerade einmal drei Wochen nach diesem Tatort soll schon der nächste Tatort aus München gesendet werden. Die Zukunft des Teams und der Figuren ist also nicht ganz so ungewiss wie uns in "Der Tod ist unser ganzes Leben" suggeriert wird.