Tatort aus Stuttgart: Sympathy for the murderer

Tatort Stuttgart: Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) versuchen, mit akribischer Polizeiarbeit einen Mörder zu überführen. © SWR/Alexander Kluge
Da ist es wieder, das böse Wort mit E: Auch der Tatort "Der Mann, der lügt" aus Stuttgart ist in gewisser Weise ein Experiment. Wir sehen nicht den Kommissaren beim Aufklären einer Straftat zu, sondern dem mutmaßlichen Mörder beim Versuch, das Ganze zu vertuschen. Das ist ungewohnt, aber sehr sehenswert!
Erst mal ist es nur eine kurze Befragung. Die Kommissare
Thorsten Lannert
(Richy Müller) und
Sebastian Bootz
(Felix Klare) ermitteln im Mordfall des Anlageberaters Uwe Berger
und wollen von Jakob Gregorowicz (Manuel Rubey) wissen, warum sein
Name im Terminkalender des Ermordeten stand. Ein Irrtum, antwortet
Jakob, er sei keineswegs mit dem Opfer verabredet gewesen, und
glaubt die Sache damit erledigt. Doch schon bald können die
Kommissare ihm nachweisen, dass seine Aussage unvollständig war.
Sie bohren immer weiter nach, reden auch mit seiner Frau Katharina
(Britta Hammelstein).
Jakob meint, plausible Erklärungen zu liefern, aber es
tauchen neue Unstimmigkeiten auf. Da hilft es auch nicht, dass er
versucht, Spuren zu beseitigen. Im Gegenteil, immer wieder bitten
die Kommissare ihn zum Gespräch ins Präsidium, weil sie neue
Indizien finden. Bald stellt auch Katharina Fragen, sie bekommt
Zweifel an den Aussagen ihres Mannes. Jakob gerät in Bedrängnis,
weil so manches zum Vorschein kommt, das er lieber im Verborgenen
belassen hätte. Er wird immer unsicherer, die Kommissare immer
beharrlicher. Als Jakob zugeben muss, dass er mit Uwe Berger
verlustreiche Geschäfte gemacht hat, wird er zum
Hauptverdächtigen.
Tatort aus der Sicht des Mörders
Die ungewöhnliche Erzählweise hat einen interessanten Nebeneffekt: Lannert und Bootz sind bei ihrem zehnjährigen Jubiläum beinahe nur Randfiguren, der Fokus liegt auf Gregorowicz. Man nimmt die Position des Verdächtigen ein, man fragt sich: "Was wissen die Kommissare?". Dieser ungewohnte Perspektiv-Wechsel ist nicht nur eine gute Theorie auf dem Blatt Papier, sondern wurde von den Machern auch elegant, spannend und vor allem realistisch umgesetzt. Der Zuschauer wird sowohl über die eigentliche Tat als auch über das Wissen und den Ermittlungsstand der Kommissare im Unklaren gelassen.
Um auf der Höhe zu bleiben und die echten Beweise und Aussagen von den manipulierten Indizien unterscheiden zu können, muss man jedoch hundertprozentig aufmerksam sein. Nicht jedermanns Sache, deswegen dürfte noch am Montag der eine oder andere von der Handlung verwirrt sein. Die eingeschobenen Traum-Sequenzen machen das nicht besser. Auch die vergleichsweise kleinen Rollen der Kommissare Lannert und Bootz in " Der Mann der lügt" dürften nicht jedem Tatort-Zuschauer gefallen.
Der Tatort funktioniert nicht ohne "Experimente"
Also (mal wieder) ein Experiment (ui, da ist das böse Wort). Der Stuttgart-Tatort mit Lannert und Bootz ist schon seit Jahren ein Juwel in der Tatort-Landschaft, der bereits mit "Stau" oder "HAL" mehr oder weniger erfolgreich experimentiert hat und immer wieder herausragende Geschichten erzählt ("Der rote Schatten", "Der Inder"). Dieser Fall macht da keine Ausnahme. Der alte, traditionelle Tatort ist tot, ohne frische Ideen hat die Reihe keine Daseinsberechtigung. Die Stuttgarter zeigen in "Der Mann der lügt" wieder einmal, dass das auch ohne Horror oder Mundart-Laien geht. Eine herkömmliche Geschichte aus Sicht der Kommissare wäre nicht ansatzweise so interessant gewesen.
(mit Material von Spot On News)