Die großen Betrugsfälle
165 Mal wurden Autos disqualifiziert, weil sie illegal unterwegs waren. In den wenigsten Fällen wegen vorsätzlichem Betrug. Doch es gab auch Fälle, da gingen die Trickser offenbar bewusst einen Schritt zu weit. Tyrrell wurde 1984 wegen des Bleikugel-Tricks für die gesamte Saison disqualifiziert.
Es liegt in der DNA der Formel 1, dass man am Limit fährt, entwickelt, taktiert. Heute beschäftigen sich ganze Abteilungen damit, Schlupflöcher im Reglement aufzuspüren. Ist etwas zweideutig formuliert, geht der Konstrukteur davon aus, dass die technisch bessere Lösung gilt. Auch wenn sie nicht im Sinne des Reglements ist. Die Teams lassen es so lange darauf ankommen, bis sie erwischt werden. Heute hat sich bei der FIA die Politik durchgesetzt, dass man den Grenzüberschreitungen auf die Finger klopft und ihnen ausrichtet: Beim nächsten Mal bitte nicht mehr.
165 Disqualifikationen in der Geschichte
Nur wenn Autos zu leicht sind, Verkleidungsteile zu groß oder zu klein, zu viel Benzin verbraucht oder die Durchflussmenge überschritten wird, kennt die Behörde keine Gnade. 2018 wurden aus diesen Gründen drei Fahrer disqualifiziert. Romain Grosjean in Monza, Esteban Ocon und Kevin Magnussen in Austin. Vorher war drei Jahre lang Ruhe. Der letzte Wertungsausschluss davor betrag Felipe Massa beim GP Brasilien 2015 wegen nicht regelkonformer Reifentemperatur in der Startaufstellung.
Insgesamt kam es im Verlauf der Formel 1-Geschichte zu 165 Disqualifikationen. 104 Mal wegen Formfehlern wie fremde Hilfe am Auto, Start vom falschen Startplatz, Missachtung von Warnflaggen. 24 Vergehen fallen in die Kategorie Versehen, 37 mal musste man Absicht vermuten. Der Ausschluss von James Hunt 1976 beim GP Spanien war ein Grenzfall. Sein McLaren war 1,8 Zentimeter zu breit. Hunt wurde disqualifiziert. Später wurde die Strafe abgemildert, weil sie für den kleinen Fehler zu deftig ausgefallen sei, so die Begründung der Sportbehörde. McLaren zahlte 3.000 Dollar Strafe. Es hagelte Kritik. Was zur Folge hatte, dass die Regelhüter in der Folge sich auf keine Diskussionen mehr einließen. Ein halbes Kilogramm zu wenig waren genauso illegal wie zwei Kilogramm Untergewicht.
Wasser zu Kühlen der Bremsen
Ein zu leichtes Auto kostete Alain Prost 1985 den Sieg beim GP San Marino, Niki Lauda 1982 beim GP Belgien den 3. Platz, Robert Kubica 2006 in Ungarn die ersten WM-Punkte. Die Teams hatten sich vor dem Rennen beim Berechnen des Gewichtsverlustes während des Rennens einfach verkalkuliert. Gleiches gilt für eine nicht regelkonforme Heckflügelrundung an den beiden Sauber beim GP Australien 2011. Oder zu stark abgeschliffene Frontflügelendplatten bei David Coulthard 2000 in Brasilien. Das Protokoll zählt 24 solcher Fälle in 997 Grand Prix.
Schon dreister war der Versuch von Ferrari, 1982 Gilles Villeneuve mit einem Heckflügel loszuschicken, der aus zwei konformen Einzelflügeln zusammengeschraubt war. Der Gesamtflügel war breiter als das ganze Auto. Villeneuve verlor seinen 3. Platz. Ayrton Senna wurde der 2. Platz beim GP Australien gestrichen, weil die Bremsbelüftungen zu groß waren. Aus dem gleichen Grund erwischte es 2004 in Montreal gleich vier Fahrer aus den Punkterängen. Williams und Toyota hatten mit den Belüftungsschächten der vorderen Bremsen geschwindelt.
Nelson Piquet und Keke Rosberg flogen beim GP Brasilien 1982 aus der Wertung, weil ihre Autos unter dem Mindestgewicht von 580 Kilogramm lagen. Diese Unterschreitung wurde von Brabham und Williams jedoch herausgefordert. Ein erster Protest von Renault und Ferrari wurde vier Stunden nach dem Zieleinlauf vom brasilianischen Verband abgeschmettert. Das FIA-Berufungsgericht dagegen disqualifizierte Piquet und Rosberg vier Wochen nach dem Grand Prix.
Der Protest hatte sich an Wassertanks in den Seitenkästen entzündet, in denen angeblich Wasser zum Kühlen der Bremsen lagerte. Tatsächlich waren im Auto Leitungen zu den Bremsen gelegt, doch durch die floss niemals Wasser. Das Reglement verlangte nicht 580 Kilogramm Fahrzeuggewicht während der Fahrt, sondern auf der Waage. Und da durften Flüssigkeiten wie Öl und Wasser nachgefüllt werden. Wenn man die Wassertanks in den Brabham, Williams, Lotus, McLaren und ATS mit Wasser füllte, lagen sie über dem Mindestgewicht. Tatsächlich aber waren sie mit mindestens 30 Kilogramm weniger unterwegs. Der Trick war die Antwort der englischen Garagisten gegen die Turbo-Fraktion der Werke. Die FIA setzte mit der Verbannung des Siegers und des Zweiten ein Zeichen. Piquet sagt heute noch: „Für mich war Brasilien 1982 mein 24. GP-Sieg. Ich habe den Pokal nie zurückgegeben.“
Der Trick mit den Bleikugeln
Bei falschem Benzin sind immer Zweifel angesagt. 1988 erwischte es Benetton in Spa, 1995 Williams und Benetton in Sao Paulo, 1997 McLaren in Spa. Die Angeklagten reden sich meistens damit heraus, dass Benzinfässer fälschlicherweise vertauscht wurden. Red Bulls Weigerung, 2014 die Durchflussmenge am Auto von Daniel Ricciardo regelgerecht zu justieren, kommt ebenfalls eher Vorsatz gleich. Der FIA-Delegierte hatte Red Bull die Chance gegeben, den Fehler zu beheben. Doch das Team verließ sich stur auf eigene Messungen. Die Berufung ging mit Pauken und Trompeten verloren.
Das bislang größte Schurkenstück der Geschichte lieferte in der Saison 1984 das sonst so korrekte Tyrrell-Team ab. Es war aus der Verzweiflung im Kampf gegen die Turbos geboren. Tyrrells Kampf gegen Windmühlen mit dem Modell 012-2 und Cosworth-Motor schien zunächst aufzugehen. Stefan Bellof und Martin Brundle brachten frischen Wind ins Team. Schnell, frech, unerschrocken sprangen sie mit den Stars um.
Dort, wo der Saugmotor am wenigsten im Nachteil war, schlugen Bellof und Bundle zu. Bellof wurde Dritter in Monte Carlo, Brundle Zweiter in Detroit. Doch dann brauten sich dunkle Wolken über Tyrrell zusammen. Die technische Abnahme in Detroit ergab, dass der Rennstall systematisch betrogen hatte. In einem Wassertank wurden Bleikügelchen gefunden. Der angebliche Wasserinhalt sollte in die Ansaugtrichter des Cosworth-V8 gespritzt werden, um den Motor zu schonen. Doch das war nur Fassade. Die Tyrrell wurden kurz vor Schluss mit Bleikugeln betankt, um sie auf das erforderliche Mindestgewicht zu bringen.
Der Verdacht lag auf der Hand: Tyrrell war untergewichtig unterwegs. Die FIA sprach den Rennstall in vier Punkten schuldig. Unerlaubtes Auffüllen von Flüssigkeiten, nicht regelkonformes Benzin, beweglicher Ballast und irreguläre Benzinleitungen in Tateinheit. Tyrrell ging in Berufung, durfte noch unter Vorbehalt drei Rennen weiterfahren, bis das endgültige Urteil gesprochen wurde. Der Verband schloss beide Autos von der kompletten Weltmeisterschaft aus.
Benetton unter Verdacht
1994 war ein Jahr der Kontroversen, Sperren, Strafen, Verdächtigungen und versteckten Fouls. Im Mittelpunkt stand das Weltmeisterteam Benetton-Ford. Wegen verdächtig guter Starts wurde Benetton eine Traktionskontrolle unterstellt. Bei zwei Untersuchungen der Software kam im zweiten Anlauf ein verstecktes Programm zum Vorschein, das einer Startautomatik gleichkam.
Benetton behauptete, die Software sei stillgelegt, konnte aber nicht alle überzeugen. Der Rennstall wurde zur Zahlung von 100.000 Dollar Strafe verurteilt, weil er die Software bei der FIA zu spät abgeliefert hatte. Technikchef Ross Brawn ärgert sich noch heute: „ Wir konnten nachweisen, dass die Prozeduren unter den beanstandeten Menüpunkten fehlten. Die Elektronikboxen wurden in Imola konfisziert. Wir bekamen sie ohne Beanstandung zurück. Dann haben die FIA-Inspektoren sechs Wochen später die Steuergeräte ein zweites Mal eingesammelt. Wir hätten also in der Zwischenzeit alles löschen können, was den Verdacht erweckt hätte, dass da illegale Systeme einprogrammiert sind. Die Tatsache, dass wir es nicht getan haben beweist, dass wir selbst nicht wussten, welche Menüpunkte da noch in der Software versteckt waren. “
Nach dem Boxenfeuer von Hockenheim untersuchten FIA-Techniker Benettons Tankanlage. Es stellte sich heraus, dass unerlaubterweise ein Filter entfernt worden war. Das erhöhte die auf maximal 12 Liter pro Sekunde festgelegte Durchflussmenge. Benetton entließ den Mann, der angeblich eigenmächtig den Filter manipuliert hatte. Am Ende des Jahres tauchten weitere Gerüchte um das Weltmeisterauto auf. Entlassene Mechaniker sprachen von einem Unterboden, der sich an den Kanten zur Straße hin durchbog und so einen Tunnel unter dem Auto formte. Das sollte Abtrieb generieren. Auch hier fehlt jeder Beweis.
Die Disqualifikation von Michael Schumacher beim GP Belgien 1994 wegen eines zu stark abgefahrenen Unterbodens war dagegen tatsächlich eine Verkettung unglücklicher Umstände, wie Ross Brawn ausführt: „Das Training fand komplett im Regen statt. Im Rennen war die Strecke zum ersten Mal trocken. Das Auto war dafür zu tief eingestellt. Deshalb hat sich die Holzplatte unter der Stufe im Boden stark abgenutzt. Dann drehte sich Michael in der Pouhon-Kurve über einen Randstein. Das hat die Bodenplatte weiter beschädigt. Die Regeln sagten damals: Wenn eine dieser Platten bei einem Unfall offensichtlich beschädigt worden war, dann wurde sie gewogen. Betrug das Gewicht mehr als 90 Prozent vom Ausgangsgewicht, war alles in Ordnung. Die Platte war an einigen Stellen zu dünn. Ohne den Dreher wäre das ein plausibler Grund für eine Disqualifikation gewesen. Da die Planke aber beschädigt war, musste sie gewogen werden. Und das wäre dann der entscheidende Faktor gewesen. Dabei ergab sich, dass sie sich deutlich innerhalb der erforderlichen 90 Prozent befand. Das wurde aber nicht anerkannt.“
Ein Zusatztank für 12 Liter Sprit
In der Saison 2005 lief BAR-Honda den FIA-Inspektoren in die Fänge. Jenson Button war in Imola als Dritter ins Ziel gekommen. Rang 5 ging an Teamkollege Takuma Sato. BAR-Honda feierte nach drei schlechten Rennen zu Saisonbeginn eine Wiedergeburt. Doch nicht lang. 2.50 Stunden nach Rennende gab es eine böse Überraschung. Das ursprünglich mit 606,1 Kilogramm gewogene Auto war nach Abzug des im Auto befindlichen Benzins nur noch 594,6 Kilogramm schwer. Also untergewichtig.
Die FIA-Kommissare fanden 12 Liter Sprit in einem versteckten Karbonbehälter am vorderen Ende des Haupttanks, in dem noch 3,2 Liter Kraftstoff schwappten. Beides war erst durch Auslitern gefunden worden. Beim Abpumpen waren zunächst nur 0,22 Liter zutage getreten. BAR-Technikchef Geoff Willis erklärte wortreich, dass der Honda-V10 eine Restmenge von 7,1 Litern im Tank brauche, um störungsfrei zu laufen. Der angebliche Geheimbehälter sei ein zweiter Catch-Tank. Die FIA-Kommissare glaubten der Erklärung nicht und witterten vorsätzlichen Betrug. Sie legten Einspruch gegen das Klassement ein, was im Endeffekt die Disqualifikation von Button und Sato bedeutete. Der Ausschluss wurde neun Tage später vom FIA-Berufungsgericht bestätigt.
Damit war die Affäre für BAR und Honda noch nicht ausgestanden. Bei der Berufungsverhandlung verdichtete sich der Verdacht, dass BAR absichtlich betrogen hatte. FIA-Präsident Max Mosley drängte auf eine harte Strafe. BAR durfte bei den nächsten beiden Rennen in Spanien und Monaco nicht antreten. Für Motorenpartner Honda ein herber Gesichtsverlust.
Zum Abschluss noch eine Geschichte zum Schmunzeln. Die kurioseste Disqualifikation aller Zeit leistete sich der Kanadier Al Pease bei seinem Heim-Grand Prix 1969. Schon im Training fehlte ihm auf dem 3,957 Kilometer langen Kurs von Mosport 11,1 Sekunden auf die Pole Position. In der Startrunde hatte der Privatfahrer in einem Egle Silvio Moser von der Strecke gedrängt. Später kollidierte er mit Jean-Pierre Beltoise. Als Jackie Stewart den Kanadier in der 12. Runde zum zweiten Mal überrundete und dabei von dem überforderten Debütanten beinahe auf die Hörner genommen wäre, griff der Rennleiter ein. Er holte Pease mit der schwarzen Flagge aus dem Rennen. Begründung: Der Fahrer war zu langsam.
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