Die fünf Optionen für die Zukunft
Audi kündigt den Ausstieg an und schockt die DTM. Wie kann es ab 2021 weitergehen? Serienchef Gerhard Berger bleiben nicht viele Möglichkeiten. Wir beleuchten fünf mögliche Optionen für die Rennserie.
Es könnte der entscheidende Nackenschlag gewesen sein. Der DTM droht nach drei Jahrzehnten das Aus. Mit Audi wird sich am Jahresende einer der beiden verbliebenen Premiumhersteller verabschieden. So bleibt jetzt nur noch die Marke BMW, die der DTM zusammen mit Audi nach dem Rückzug von Mercedes Ende 2018 die Treue gehalten hatte. Unter der Voraussetzung, dass ein neuer Hersteller kommt.
Audi-Verlust doppelt bitter
Gerhard Berger und sein Team hatten ihn in Aston Martin gefunden. Es war zwar kein echter Werkseinsatz, aber immerhin füllte R-Motorsport zusammen mit HWA mit vier Aston Martin Vantage das Feld auf. Gegen Audi und BMW hatte man keine Chance. Erst kündigte R-Motorsport die Partnerschaft mit HWA. Dann kehrten die Schweizer der DTM den Rücken.
Der Verlust von Audi ist doppelt bitter für die DTM, weil in Ingolstadt seit wenigen Monat ein Mann den Vorstand führt, der Rennsport nicht nur als Hobby hat. Markus Duesmann arbeitete mit Mercedes in der Formel 1. Er wurde 2005 Leiter der Entwicklung im Motorenwerk Brixworth. Ab 2007 war Duesmann einer der Köpfe von BMWs Formel-1-Projekt mit Sauber.
Vermutlich hat Konzernmutter VW in Zeiten von Corona und dem (erzwungenen) Umbau auf Elektromobilität den Daumen über das DTM-Engagement gesenkt. Die ITR, als Dachverband der DTM, muss sich mit dem Verlust jetzt auseinandersetzen.
Das DTM-Jahr 2020 ist noch nicht angepfiffen, da ist die Serie einem Erdbeben ausgesetzt. Audis Ausstieg könnte das wackelige Gebilde zusammenbrechen lassen. Es wäre ein herber Schlag für den deutschen Motorsport.
Welche Optionen bleiben? BMW macht allein weiter? Eigentlich ausgeschlossen. BMW gegen Kundenautos? Sehr unwahrscheinlich. Die Japaner kommen? Wohl kaum. Zusammenschluss mit dem ADAC GT Masters? Vielleicht. GTE-Autos in der DTM? Eine Option. Der Komplettzerfall? Scheint am wahrscheinlichsten in Zeiten von Corona.
Option 1: BMW als Alleinunterhalter
Schon 2020 ist das Feld ausgedünnt. Neun Audi RS 5, sieben BMW M4. Immerhin heuerte mit Robert Kubica ein prominenter Fahrer an. Das öffnet den Sponsorenmarkt nach Polen. Ohne Audi fehlen der DTM ab 2021 auf einen Schlag neun Autos. BMW wird sein Kontingent nicht aufstocken. Es ist davon auszugehen, dass die Münchner dann ebenfalls den Stecker ziehen.
Für die großen Automobilbauer ist ein Gegner schon zu wenig. Jetzt, wo bald keiner mehr da ist, hätte BMW allen Grund, selbst das Motorsport.rogramm einzustellen. Der schwarze Peter liegt eh bei Audi. BMW kann einen eigenen Ausstieg damit begründen – und mit der Corona-Krise. Ein Rückzug spart einem Hersteller etwa 30 bis 40 Millionen Euro jährlich. Das klingt nach viel, ist aber für einen Hersteller wie BMW, der rund 100 Milliarden Umsatz macht, eher unbedeutend.
Und was passiert, wenn Kunden die Audi.Rennwagen zu einem vertretbaren Preis abnehmen, und gegen die BMW-Teams fahren? Auch diese Möglichkeit dürfte für die Marke mit der Niere wenig reizvoll sein. Erfolge in einer ausgehungerten Rennserie gegen halbstarke Gegner lassen sich schlecht vermarkten.
Option 2: Privatteams
BMW und Audi (und Aston Martin) überlassen ihre Autos zu günstigen Konditionen privaten Teams. Motoren könnte für rund 150.000 Euro eine unabhängige Firma wie Pipo Moteurs aus Frankreich liefern. Ersatzteile kommen von Zulieferern. In den eigenen vier Wänden produzieren Hersteller wie Audi und BMW ohnehin praktisch nur den Motor.
Diese Lösung klingt charmant. Doch Branchenkenner merken an: Die Privatteams haben nicht die Strukturen dafür. Die Einsatzkosten für ein DTM-Auto belaufen sich auf etwa zwei Millionen Euro. Macht vier Millionen für ein Zweimann-Team. Diese Summen müssen erst einmal aufgebracht werden.
Die Sponsoren-Akquise ist im Motorsport generell in den letzten Jahren schwieriger geworden. Das Geld steckt nicht mehr so locker wie früher. Dazu kommen zwei weitere Probleme: Die DTM hat nicht mehr die Strahlkraft von einst. Sponsoren gehen (wie Hersteller. lieber in die Formel E. Und wenn sie nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, klopfen sie bei der Formel 1 an.
Zweites Problem: die Corona-Krise. Überall in der Wirtschaft wird auf Kosten geschaut und auf kurze Sicht gefahren. Kurzarbeit, Jobangst, Stellenabbau: Wie soll man da ein großes Sponsoring argumentieren?
Die DTM hat es in den letzten beiden Jahren mit Mühe und Not geschafft, zwei Privatteams zu gewinnen. ART und WRT. Darin sieht man, wie schwierig dieses Unterfangen ist.
Option 3: Japaner kommen
Toyota, Nissan und Honda pumpen Unsummen in ihren Sport. Die SuperGT funktioniert. Michelin, Bridgestone, Yokohama und Dunlop führen einen Reifenkrieg. Da könnte doch was für die DTM übrig sein, oder?
Mehr als ein paar Showeinlagen und Showkämpfe sind bislang nicht herumgekommen vom viel beschworenen Class-One-Reglement. Den Japanern geht es zu Hause gut. Warum sollten sie nach Deutschland expandieren und dabei viel Geld riskieren? Auf einem Markt, auf dem ihre Anteile sowieso im vergleichsweise klein sind.
Honda investiert hunderte Millionen in sein Formel-1-Programm, um mit Red Bull und Max Verstappen Weltmeister zu werden. Toyota führt erfolgreiche Programme in der Sportwagen-Weltmeisterschaft, dominiert Le Mans und gewann 2019 die Rallye-Weltmeisterschaft.
Auch die japanischen Hersteller müssen massiv in die Zukunft investieren: Elektromobilität, Brennstoffzelle, synthetische Kraftstoffe, Vernetzung. Da greift man vermutlich einer sterbenden Rennserie nicht unter die Arme.
Option 4: GT-Autos in der DTM
Gerhard Berger sträubt sich gegen die Idee, GT3- oder GTE-Autos in der DTM einzusetzen. Ob sich daran nach Audis angekündigtem Rückzug etwas ändert?
GT3-Autos sind billiger als DTM-Rennwagen. Es gibt genügend Autos. Von Mercedes, BMW, Audi, Ferrari, Lamborghini, Lexus und Co. Die Rechte für den deutschen Markt hat der ADAC, der das GT Masters mit GT3 betreibt. Sie ist die stärkste nationale GT3-Rennserie weltweit – und hat eine breite Unterstützung der Hersteller. Branchenkenner sagen: Daran wird sich nichts ändern, nur weil Audi der DTM den Rücken kehrt. Ohne sie könnte das GT Masters womöglich boomen.
GTE-Autos, wie sie in Le Mans eingesetzt werden, könnten eine Alternative sein. Sie stehen im Langstreckensport vor dem Aus. Spätestens, wenn sich Porsche für ein Programm in der neuen Topklasse entscheiden sollte. Dann wird man das GTE-Programm abstellen, was vermutlich einen Dominoeffekt haben wird. Ferrari könnte der nächste Hersteller sein, der dann umschwenkt.
Irgendwie erscheint die Lösung mit GT-Autos für die DTM plausibel und doch wieder weit entfernt. Warum soll das GT Masters seine Plattform aufgeben bzw. mit der DTM zusammenarbeiten? Und warum sollten GTE-Autos eingesetzt werden, die an anderer Stelle vor dem Aus stehen. Zukunftsfähig wäre das eigentlich nicht.
Option 5: Das (vorläufige) Aus
Mitte der 1990er waren die Kosten explodiert, was zum ersten Aus der DTM führte. 2000 gab es den Neustart als Deutsche Tourenwagen-Masters. In den letzten 20 Jahren haben sich die Kosten Schritt für Schritt erhöht. Mit den Serienautos haben die Rennwagen nichts zu tun. Zwischen RS 5 DTM und RS 5 sind nur das Markenlogo und die RS5-Logos baugleich. DTM-Autos sind de facto Prototypen.
Die DTM hat sich wieder in dieselbe Abhängigkeit von Hersteller. begeben wie damals. Hersteller kommen und gehen. Das ist im Motorsport bekannt. Doch in der DTM gibt es kein Auffangnetz. Berger, der 2017 zum Chef der Rennserie wurde, konnte die Macht der Automobilkonzerne nicht brechen. In Abhängigkeit konnte er die Serie auch nicht für die Zukunft fitmachen. Die Macht liegt bei den Hersteller.. Ende 2018 verabschiedete sich Mercedes, bald Audi.
Die wahrscheinlichste Option scheint deshalb das Aus. Vielleicht kommt es wie damals und die DTM kann sich neu ordnen und in abgespeckter Form zurückkehren. Vielleicht dauert es länger als damals. Niemand weiß, wie lange Corona noch andauert und wie sehr die Wirtschaft Schaden nimmt.
Was macht Berger?
Der Zeitpunkt für Audis Rückzug mag überraschend sein. Doch immerhin gibt Ingolstadt der ITR ein bisschen Vorlaufzeit. Und seien wir ehrlich: Als wir merkten, wie sehr die Corona-Pandemie die Welt belastet, war abzusehen, dass im weltweiten Sport – und im Motorsport – ein Wandel kommen werden muss. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Rennserien in der Corona-Krise sterben. Manche würden sagen, dass der Motorsport gesundschrumpft.
Die DTM hat sich in zwei Jahrzehnten schrittweise von seiner Basis entfernt. Es begann mit 18 Rennen auf sechs verschiedenen Strecken: Hockenheim, Oschersleben, Norisring, Sachsenring, Nürburgring, Lausitzring. Dann wurde expandiert. Zuerst nach Österreich und Holland. Vertretbar. Doch warum in Länder wie China (2004 und 2010), die Türkei oder zuletzt Russland, wo noch nicht einmal die Formel 1 zündete?
Die Antwort: Erstens wollten die Hersteller um fast jeden Preis die Internationalisierung der Serie. Zweitens gab es bei vielen Auslands-Gastspielen satte Startgelder zu verdienen. Doch was bringt Geld, wenn die Fans ausbleiben?
Dass Gerhard Berger nach all den Rückschlägen hinschmeißt, halten Experten, die ihn kennen, praktisch für ausgeschlossen. Der Österreicher ist ein Kämpfer. In die Renovierung der DTM ist Herzblut geflossen. Kritiker werden sagen: Berger wird dafür auch im hohen sechsstelligen Bereich entlohnt. Über die Arbeit des ehemaligen Formel-1-Piloten wird gesagt: Berger habe viele Veränderungen angeschoben, die den Sport verbesserten. Wie zum Beispiel das Verbot der Heizdecken, die Einschränkung des Funkverkehrs oder das Abrüsten bei der Aerodynamik.
Mit der Renovierung hat es nicht funktioniert. Wahrscheinlich muss die DTM die alten Zöpfe abschneiden und in eine ganz neue Richtung gehen. Kostengünstiger, näher am Fan. Wieder klein anfangen und langsam wachsen.