Vettel sucht den Rhythmus
Ferrari startet beim Grand Prix von England mit beiden Autos aus den Top Ten. Die viertschnellste Zeit von Charles Leclerc überrascht, weil Silverstone eine Power-Strecke ist. Sebastian Vettel fand dagegen keinen Rhythmus.
Zwei Autos im Q3. Das ist für Ferrari eine Nachricht mit Ausrufezeichen. Noch dazu, wenn Charles Leclerc mit seinem SF1000 die viertschnellste Runde dreht, nur ein Zehntel langsamer als Max Verstappen in einem verbesserten Red Bull. Und das auf einer Strecke, die von der Papierform gegen die roten Autos spricht.
Leclerc verliert die Zeit auf den Red Bull fast ausschließlich im ersten Sektor. Dort zählt Motorleistung. Es fällt allerdings auf, dass Ferrari im Top-Speed nicht mehr so hoffnungslos ist wie in den ersten drei Rennen. Die roten Autos rangieren nicht mehr auf den letzten Plätzen sondern im Mittelfeld. Der Rückstand auf die Mercedes fällt mit durchschnittlich 2,5 km/h moderat aus.
Nach der Erfahrung von Budapest muss man sich die Frage stellen, ob Ferrari sein Auto nicht wieder zu stark auf eine Runde ausgerichtet hat. In Ungarn konnten die Ferrari am Sonntag die Erwartungen vom Samstag nicht einlösen. Die Fahrer bezahlten mit hohem Reifenverschleiß.
Das kann auf einer Strecke wie in Silverstone zu einem noch größeren Problem werden, wenn Ferrari auf Anpressdruck verzichtet hat, um in den Vollgaspassagen besser dazustehen. Auf eine Runde kann der Extragrip frischer Reifen fehlenden Abtrieb wettmachen. Leclercs Kommentar nach den Longruns am Freitag fiel vernichtend aus. "Das Auto war extrem schwer zu fahren. Es war sehr schwierig, keine Fehler zu machen."
So perfekt Leclerc sein Programm abspulen konnte, so viel lief bei Sebastian Vettel schief. Ein undichter Ladeluftkühler und ein lockeres Bremspedal verkürzten am Freitag seine Zeit auf der Strecke auf die Hälfte des Pensums seines Teamkollegen. Im gleichen Stil ging es am Samstag weiter.
Auch im dritten Training machten sich die Mechaniker über die Pedalerie her. Die vielen Unterbrechungen halfen Vettel nicht Vertrauen in sein Auto zu gewinnen. "Ich habe nie den Rhythmus gefunden, und der ist in Silverstone wichtig. Das Auto war in Ordnung, aber es wollte nicht so, wie ich wollte." Das Ergebnis waren 0,912 Sekunden Rückstand auf Leclerc.
Vettel verfehlt klar seine Idealzeit
Verschwörungstheoretiker sehen in der eindeutigen Verteilung der Probleme auf ein Auto bereits eine Reaktion von Ferrari darauf, dass der eine Fahrer bleibt und der andere geht. Vettel will da keinen Verdacht aufkommen lassen. "Das war Zufall und keine böse Absicht. So etwas passiert. Mein Problem war halt, dass ich so viel Zeit verloren habe. Das hat nicht geholfen, das aus dem Auto rauszuholen, was offensichtlich in ihm steckt."
Der Heppenheimer nimmt sich da selbst in die Pflicht. "Die Qualifikation lief auch aus meiner Sicht nicht ideal. Ich habe mich einfach schwer getan." Das unterstreicht auch der Sektorenvergleich. Vettels Idealzeit wäre um vier Zehntel schneller gewesen. Leclerc dagegen fuhr seine drei Sektorbestzeiten in einer Runde.
Der Monegasse machte vor allem in den Kurven, die fast Vollgas gehen, Zeit auf den Deutschen gut. Dass Vettel die schnellste Trainingsrunde mit 1.26,077 Minuten gestrichen wurde, weil er in Copse Corner neben die Streckenlimits geraten war, spielt laut Vettel keine Rolle: "Dann wäre ich halt Neunter statt Zehnter geworden."
Vielleicht war es keine gute Idee, Vettel im zweiten Q2-Versuch mit Medium-Reifen auf die Strecke zu schicken. Angesichts der verlorenen Zeit auf der Strecke und der geänderten Windrichtung im Vergleich zum Freitag war es nicht der Tag für Experimente.
Vettel hätte sich besser auf die Soft-Reifen konzentriert um mehr Vertrauen in sein Auto aufzubauen. Doch nachdem sich Leclerc ziemlich mühelos mit der mittleren Mischung bereits für das Q3 qualifiziert hatte, war der Wunsch da, das gleiche zu tun. Vettel verfehlte seine Soft-Zeit auf den Medium-Gummis jedoch um eine halbe Sekunde.
Vettel fürchtet, dass er am Sonntag gleich zwei Nachteile schlucken muss: "Ich starte am Ende der Schlange der Top Ten, und ich habe die schlechteren Reifen am Auto." Wer auf Soft-Reifen ins Rennen geht, muss laut Pirelli zwei Mal stoppen, wenn er die Taktik maximal ausnutzen will. Die Einstopper dagegen werden vor Halbzeit nur ein Mal auf die harten Reifen wechseln. Vettel hofft trotzdem, dass er im Rennen ein paar Plätze gutmachen kann: "Schlimmer als heute kann es ja nicht werden."
Auch Leclerc konnte aufatmen. Eine Untersuchung gegen Ferrari, weil sie das Auto mit der Startnummer 16 in der Boxengasse Lance Stroll vor die Nase geschickt hatten, verlief sich im Sande. Diesmal wäre nicht das Team schuld gewesen, sondern der Fahrer. Der Mechaniker versuchte Leclerc aufzuhalten, doch der Monegasse gab einfach Gas.