Racing Point glaubt an Podest
Nico Hülkenberg erlebt ein Wechselbad der Gefühle. Technik-Pech am letzten Sonntag, dritter Startplatz eine Woche später. Der Rheinländer führt den Husarenritt auf eine bessere Harmonie mit dem Auto zurück. Im Rennen gilt es durchzuhalten.
Bis Freitagvormittag wusste Nico Hülkenberg nicht, ob er eine zweite Chance bekommt. Bis das Test-Ergebnis von Sergio Perez vorlag. Die Viruserkrankung Covid-19 wurde erneut im Körper des Mexikaners nachgewiesen. Also durfte sein Vertreter ein zweites Mal in Silverstone fahren.
Und Hülkenberg nutzte seine Chance. In allen Trainings raste er unter die Top 6. In der Qualifikation gelang ihm der große Wurf. Hülkenberg lenkte seinen Racing Point RP20 auf den dritten Startplatz – hinter die übermächtigen Mercedes und vor den Red Bull von Max Verstappen.
Nur zwei Mal besser
Einen besseren Startplatz hat Hülkenberg in 178 Qualifying. bislang nur zwei Mal herausgefahren. Beim GP Brasilien 2010 errang der Rheinländer im Williams bei wechselnden Verhältnissen seine einzige Pole-Position. In Österreich 2016 wurde er in der Qualifikation im Force India Zweiter. Ein Podest ist aber nie herausgesprungen. Am Rennsonntag von Silverstone soll es endlich klappen. "Es wird schwer, aber ich habe ein schnelles Auto. Ich muss meine Erfahrung ausspielen und nicht zu viel nachdenken. Der Start wird wichtig, den Rest müssen wir abwarten", befand Hülkenberg nach dem Qualifying.
Am zweiten Silverstone-Wochenende läuft es von Anfang an besser. Nach den Erfahrungen der Vorwoche und zweieinhalb Tagen im Simulator kennt Hülkenberg den RP20 besser. Er weiß besser, wie das Auto in bestimmten Fahrsituationen reagiert, beim Gasgeben, beim Bremsen, beim Einlenken, wie der Mercedes.Motor anspricht und wo Rundenzeit zu finden ist. Die Abläufe im Team und die Knöpfe am Lenkrad sind vertrauter. Die Sitzposition passt besser. Racing Point verzichtete auf Experimente: Medium-Reifen im zweiten Quali-Teil, Softreifen in Q3 – und kein Wechsel innerhalb der einzelnen Segmente, wie noch letzten Samstag.
Einzig in Q2 erlebte Hülkenberg einen Schreckmoment. Im ersten Schuss geriet er in der Highspeed-Passage ausgangs Becketts über den verlängerten Randstein und rumpelte durch das Gras. Die Runde war dahin. "Ich hatte Sorge, dass das Auto durch den Ausritt Schaden genommen hat. Das war zum Glück nicht der Fall." Danach hieß es, die Nerven zusammenzuhalten. Hülkenberg löste sich mit einer starken zweiten Runde aus der misslichen Lage und schob sich sogar zwischen die Mercedes.
Was dann folgte, war die große Hülkenberg-Show. Die Mercedes muss man ausklammern. Die fahren auf ihrem eigenen Planeten. Im Showdown um die besten Startplätze legte der Aushilfsfahrer zunächst eine Rundenzeit von 1:26.416 Minuten hin. Und war damit eine Spur langsamer als Daniel Ricciardo im Renault. Im letzten Versuch verbesserte sich Hülkenberg um fast dreieinhalb Zehntel auf 1:26.082 Minuten. Das reichte für die dritte Startposition. "Die Maske verdeckt mein breites Grinsen."
"Hülk" hängt Stroll ab
In den letzten zehn Tagen durchlebt Hülkenberg ein Wechselbad der Gefühle. Erst das Hoch, als Ersatz für Sergio Perez nominiert zu werden. Dann das Tief, im Rennen wegen eines Schadens an der Kupplung nicht starten zu können. Dann das lange Warten, ob Perez wieder einsatzfähig sein würde. Dazwischen die Vorbereitung als Pilot auf Abruf. Jetzt die Freude über ein außergewöhnliches Qualifying.
Wer sich so schnell auf ein neues Auto einschießt, betreibt die beste Eigenwerbung, 2021 wieder ein Stammcockpit in der Formel 1 zu bekommen. Vor allem, wenn man im zweiten Anlauf den Teamkollegen, der Team und Auto deutlich besser kennt, um über drei Zehntel abhängt. Racing Point nahm Lance Stroll wie üblich in Schutz. "Es waren Kleinigkeiten, die sich summiert haben. Bei Nico hat die Fahrzeugbalance gepasst, während Lance untersteuern hatte", erklärt Technikchef Andy Green.
Dass überhaupt ein dritter Platz möglich war, war nicht nur dem Fahrer zu verdanken. Racing Point hat aus dem verpatzten letzten Wochenende die richtigen Schlüsse gezogen. Die Ingenieure sattelten beim Heckflügel auf weniger Abtrieb um. Und sie stimmten das Auto besser ab. "Wir sind auf die Strafbank in der Schule gegangen. Letzte Woche haben wir uns zu sehr aufs Reifen.chonen konzentriert. Da waren wir mit dem Setup übervorsichtig."
Perez auf Weg der Besserung./strong>
Nun soll auch im Rennen der große Wurf gelingen. Technikchef Green glaubt an die Chance, dass Hülkenberg zum ersten Mal in seiner Karriere auf das Podest fährt. "Wir starten aus unserer Sicht auf dem richtigen Reifen." Das ist in dem Fall der Medium, während Max Verstappen dahinter auf dem harten Reifen losfährt. "Unsere Longruns waren am Freitag gut. Das Auto ist besser abgestimmt als letzte Woche. Wir müssen auf die Reifen aufpassen. Das Podest muss unser Ziel sein."
Racing Point hofft, dass Verstappen die härteren Reifen am Start einige Plätze kosten. "Wenn er den Zug nicht verpasst, ist der harte Reifen ansonsten eine gute Wahl", glaubt Hülkenberg. Der 32-Jährige wird am Rennsonntag neue Erfahrungen mit dem RP20 machen. Erstmals muss er eine Renndistanz überstehen. 52 Runden oder über 306 Kilometer, die an den Kräften zerren werden. Zum ersten Mal nach neun Monaten ohne Grand Prix: "Die schnellen Kurven, die hohen g-Kräfte, die Richtungswechsel. Das kannst du im Kraftraum nicht trainieren. Ich werde mich durchkämpfen müssen. Ich werde es irgendwie überleben."
Es könnte sein letztes Mal im Cockpit des Racing Point sein. "Wir haben Nico die Chance gegeben, zu fahren. Jetzt liegt es an ihm, zu zeigen, was noch in ihm steckt. Er hat das Rennen, um andere Teams von sich zu überzeugen. Eine bessere Bühne können wir ihm nicht geben", meint Teamchef Otmar Szafnauer. Max Verstappen muss nicht mehr sehen. "Nico ist besser als einige Piloten, die ein Stammcockpit haben. Er hat ein schnelles Auto und setzt es um."
Perez befindet sich laut Racing Point auf dem Weg der Besserung. "Bei jedem Test geht die Konzentration des Virus in seinem Körper nach unten", berichtet Szafnauer. "Wir denken, dass er Anfang nächster Woche ein negatives Testergebnis erhalten wird und dann in Spanien fahren kann. Sicher kann man sich allerdings nie sein. Das Virus ist noch so neu und unerforscht. Die Ärzte gaben uns anfangs eine Zeitspanne der Genesung vor, die von einer Woche bis vier oder fünf Wochen reichte."