„Ein Sprung ins Eisbad“
Nico Hülkenberg ist der perfekte Edelreservist. Wir haben uns mit dem Rheinländer über den verrückten Einsatz am Nürburgring unterhalten, den Anruf von Helmut Marko und seine Aussichten als Stammfahrer für 2021.
Das war wieder so ein kurzfristiger GP-Einsatz. Wo liegt der Nürburgring auf der Schwierigkeitsskala im Vergleich zu Silverstone?
Hülkenberg: Ja, schon noch schwieriger. Ich hatte zwar die Silverstone-Erfahrung im Hinterkopf, und es war das gleiche Team, im Prinzip das gleiche Auto, aber es hatte sich halt doch etwas verändert seit meinen zwei Einsätzen in Silverstone. Es ist eine andere Rennstrecke. Direkt rein in die Qualifikation, das ist kein Sprung ins kalte Wasser, das ist ein Sprung in ein Eisbad. Es war mir von vornherein klar, dass ich nicht über den letzten Startplatz hinauskommen werde. Alles andere wäre ein Wunder gewesen. Ich war sehr zufrieden mit der Rundenzeit und der Steigerung, bei den vier Runden, die ich hatte. Dabei habe ich mir noch selber ein Bein gestellt, in der Schikane. Kimi hätte ich mir noch kaufen können. Es war schon eine Riesenaufgabe. Du musst es entweder machen oder nicht. Und wenn du es machst, nicht viel nachdenken, sondern agieren und reagieren.
Fünf Minuten mehr Q1-Zeit, ein Reifen.atz mehr: Wären Sie dann ins Q2 gekommen?
Hülkenberg: Ich denke, da hätten wir eine gute Chance gehabt.
Der Racing Point hat ja seit Silverstone ein größeres Upgrade bekommen. Hat sich das Auto stark verändert?
Hülkenberg: Ja, schon. Da hat sich in der Lenkung was verändert. Das war ein ganz anderes Lenkgefühl als in Silverstone, auch die Lenkgeschwindigkeit war eine andere, da musste ich mich erst einmal darauf einstellen. Das dauert ein paar Runden, bis man sich akklimatisiert hat.
Wie ist das am Samstag vor Ihrem Einsatz genau abgelaufen?
Hülkenberg: Ich war privat bei einem Kollegen zuhause in Köln. Der war am Freitagabend auf der Piste. Ich wäre fast noch mitgegangen und habe es dann doch nicht gemacht. So war ich frisch. Wir sitzen gerade beim Kaffee, da klingelt das Telefon. Vorher hatte ich schon eine Whatsapp von Otmar (Szafnauer) bekommen, der wissen wollte, wo ich bin und ob ich meinen Helm dabei habe. Ich dachte, was textet der denn da? Dann rief er an und sagte, ich müsste so schnell wie möglich kommen. Zuerst habe ich an einen Scherz geglaubt. Das kann ja nicht sein, dass das schon wieder passiert. Er hat aber gesagt, dass es Lance gar nicht gut geht, und dass er wahrscheinlich nicht fahren kann. Kurz und gut: Ich sollte kommen. Ich wollte am Nachmittag sowieso zum Nürburgring, weil ich da noch ein paar andere Termine hatte. Dann bin ich halt etwas früher und etwas zügiger losgefahren.
Gibt es jetzt einen neuen Rekord zwischen Köln und dem Nürburgring.
Hülkenberg: Inoffiziell ja. Die Zeit? Keine Ahnung. Am Ende musst Du ja über die Landstraße. Das ist schon ein ziemliches Gegurke, und es war auch relativ viel Verkehr. Da ging dann nicht mehr viel.
Den Helm hatten Sie im Handgepäck?
Hülkenberg: Nein, der war schon vor Ort. Den hatte Schuberth dabei. Das war mein letztjähriger Renault-Helm, wie man ja an den Farben sehen konnte. Die pinken Helme aus Silverstone waren leider bei mir zuhause geparkt. Ich habe ja nicht erwartet, dass die so schnell wieder zum Einsatz kommen werden.
Und der Overall?
Hülkenberg: Den hat das Team seitdem immer dabei. Genauso wie meinen Sitz. Das geht jetzt immer mit auf Reisen.
Sie wurden innerhalb von 90 Minuten auf Corona getestet. Gab es den Schnelltest-Service auch schon in Silverstone?
Hülkenberg: Ja, der war da auch schon. Das geht übrigens sogar in 50 Minuten. Danach kommt noch der normale Abstrich, der dann am nächsten Morgen das Ergebnis liefert.
Sind Sie in Ihrer Karriere jemals schon vom letzten Platz gestartet?
Hülkenberg: In der Formel ? Kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube nicht.
Dann gab es ja auch noch beim Start ein Problem?
Hülkenberg: Ja, nach dem Burnout für die Formationsrunde habe ich den Motor-Modus verstellt, aber leider in den Cooldown-Modus. Dann haben Sie mich direkt nach dem Start angefunkt, dass ich im falschen Modus bin. In der Einführungsrunde ist das ja verboten. Das war schnell behoben und hat auch nichts gekostet.
Wenn man von ganz hinten startet, macht man normalerweise das Gegenteil von allen anderen. Warum sind Sie trotzdem konservativ auf Soft-Reifen losgefahren?
Hülkenberg: Die Teams waren zuvor ja ewig nicht mehr am Nürburgring. Der Freitag hat nicht stattgefunden, und es war bitterkalt. Das Team hatte zu wenig Erfahrungswerte mit den Reifen. Checo (Perez) hatte am Samstag im Q1 einmal den Medium-Reifen probiert und war gar nicht zufrieden mit dem Aufwärmprozess. Das Team hatte Kopfschmerzen, dass der Grip am Anfang zu schlecht ist. In der Formationsrunde fallen die Reifen.emperaturen ja eher, weil man so langsam fährt. Obwohl der Speed da ein bisschen höher war als erwartet, weil wir alle das gleiche Problem hatten. Wir hatten uns sogar kurz überlegt aus der Boxengasse mit schön vorgewärmten Reifen zu starten, es aber dann doch gelassen. Es war uns auch klar, dass ich in der Anfangsphase des Rennens selbst noch ein paar Runden brauche, um auf Touren zu kommen. Da wäre dann die Ausgangslage vielleicht noch schlechter gewesen. Deshalb machte es mehr Sinn, mit den weichen Reifen loszufahren.
Wann haben Sie im Rennen gemerkt: Da geht noch was?
Hülkenberg: Nach dem ersten Boxenstopp. Da war ich dann Zwölfter oder so. Ich bin mit dem ersten Satz bis Runde 28 gefahren. Einige hatten schon viel früher Reifen gewechselt. Da konnten wir damit rechnen, dass die anderen in Reifen.robleme kommen oder noch einmal stoppen müssen. Meine Reifen waren noch gut. Nach den ersten 15 bis 20 Runden hat es auch bei mir Klick gemacht. Da kam der Lerneffekt ins Spiel und als dann Russell vor mir endlich weg war, hatte ich freie Fahrt und bin in einen guten Rhythmus gekommen. Ab da ging es deutlich besser. Auf den härteren Reifen musstest du sowieso angreifen, um die Temperatur im Reifen zu halten.
Ist die Leistung noch höher einzuschätzen als in Silverstone?
Hülkenberg: Ja, weil es einfach so verrückt war, einfach komplett ohne Vorbereitung.
Wer steht wo im Duell der Mittelfeld-Teams im Kampf um Platz drei der Konstrukteurs-Wertung?
Hülkenberg: Die sind schon alle ziemlich nahe beieinander. Wer gerade vorne liegt, ist auch ein bisschen streckenspezifisch. Der Renault ist gut in den langsamen Kurven, Racing Point in den schnellen. Der McLaren liegt so mittendrin. Jedes Auto hat seine Stärken und Schwächen, alle auf einem sehr ähnlichen Niveau. Ich sehe den Alpha Tauri auch nicht so weit weg. Gasly hat auf den harten Reifen sehr stabil ausgesehen und ist uns dann am Ende auch ein bisschen weggefahren.
Sie hatten am letzten Wochenende noch einen Anruf. Der Corona-Test von Albon war zunächst nicht eindeutig und Helmut Marko meldete sich. Gab es da eine Chance?
Hülkenberg: Ja stimmt, Freitagmorgen wurde es hektisch. Das Eisen war kurz heiß, aber dann auch ziemlich schnell wieder kalt. Ich war deswegen aber nicht vorgewarnt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es Lance Stroll schlecht geht. Das kam dann schon komplett aus heiterem Himmel.
Werden Sie jetzt jedes Wochenende bereit stehen für den Fall der Fälle?
Hülkenberg: Ich bin bereit und auch vertraglich frei. Es liegt an den Teams zu planen und langfristiger zu schauen. Das ergibt sich irgendwie von selbst. So was wie den Nürburgring kannst du nicht planen. Ich meine, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dich ein und dasselbe Team im Jahr zwei Mal braucht? Wo der Sitz schon vorhanden ist, wo dein Physio sowieso in dem Team arbeitet. Wäre das in irgendeinem anderen Team passiert, wäre es gar nicht möglich gewesen, weil die keinen Sitz für mich haben. Ohne Sitz hätte ich nicht fahren können. Bei einem anderen Team bräuchte es eine andere Vorlaufzeit. So hüh und hott zwischen Team A, B und C hin- und herspringen ist auch nicht so einfach und erstrebenswert. Es ist nicht so ohne, einfach hinzukommen und sich an alles neu zu gewöhnen.
Es wäre also bei Red Bull gar nicht gegangen?
Hülkenberg: Für Doktor Marko hätte ich natürlich eine Ausnahme gemacht. Alte Verbundenheit. Das wäre ein ganz enges Ding geworden, weil man ja den Sitz vor Ort hätte basteln müssen. Im Nachhinein wäre es wahrscheinlich gegangen, weil Freitag nicht gefahren wurde. Aber so kurzfristig, wie es dann mit Racing Point war, hätte es mit Red Bull nicht funktioniert.
Ist es ein Kompliment, der Feuerwehrmann der Formel 1 zu sein?
Hülkenberg: Ich sehe es als Kompliment. Es gibt nicht so viele Fahrer da draußen, die einspringen und die Leistung bringen können, so dass das Team noch Punkte holt. Das ist ja auch etwas wert.
Die läuft das bei dem knappen Zeitfenster mit den Verträgen für den Einsatz ab?
Hülkenberg: Das hatten wir schon vor Silverstone erledigt und jetzt einfach nur auf die Kopiertaste gedrückt. Das Einverständnis wurde Sonntagmorgen vor dem Rennen unterschrieben.
Ihre guten Leistungen müssten Ihnen ja eigentlich schon einen Vertrag für 2021 eingebracht haben?
Hülkenberg: Nach Silverstone ist es da leider nicht so vorwärtsgegangen. Ich bin noch nicht unter der Haube. Vielleicht hat die Formel 1 genug Qualitätsfahrer und braucht mich nicht mehr.
Das hört sich nach Resignation an.
Hülkenberg: Nein, gar nicht. Ich bin schon noch dran. Aber das ist halt auch ein Prozess, der schon ziemlich lange anhält. Es gibt ein Überangebot an Fahrer. Es schauen sich viele um auf dem Markt. Und da sind dann auch Fahrer dabei, die wirtschaftlich attraktiv sind für gewisse Teams.
Wenn Sie Helmut Marko um Hilfe bittet, heißt das ja schon mal was. Als Außenstehender kommt man ja ganz schwer in den Red Bull-Club rein. Ist die Tür da jetzt einen Spalt offen?
Hülkenberg: Schwierig, ganz schwierig. Mir werden da nicht viele Hoffnungen gemacht. Das war jetzt eine Ausnahmesituation. Da kann im Fahrer-Pool an einem GP-Wochenende nicht einer hin und her wechseln, weil ja Alpha Tauri auch seine Fahrer braucht. Die können nicht einfach so einen Fahrer abziehen und zum anderen Team sagen: Schaut mal, wie ihr klarkommt.
Wenn es keinen Stammplatz gibt, wäre dann die Rolle als Edelreservist etwas für Sie? Corona wird uns ja bleiben.
Hülkenberg: Das ist die klassische Ersatzfahrer-Geschichte. Und das ist nicht wirklich das, wonach ich strebe. Klar, Corona hat die Welt verändert, auch in der Formel 1. Es gab einige Teams, die das angeschoben haben, auf einer permanenteren Basis. Aber so eindeutig sagt dir auch keiner was. Mal wollen sie, mal wollen sie nicht. Prinzipiell hat für mich ein Stammplatz Priorität.
Toto Wolff hat gesagt, dass die Fahrer in der Corona-Zeit wie die Mönche leben müssen, um auf alle Fälle eine Infektion zu vermeiden. Leben Sie auch so?
Hülkenberg: Ja, schon so ein Stück weit. Wenn nicht, spielt man mit dem Feuer. Das ist dann schon wie Russisches Roulette. Als Fahrer muss man Vorsicht walten lassen, wo man hingeht, mit wem man wo hingeht. Das ist schon ziemlich einschränkend.
Bei Mercedes finden ja selbst die Briefings digital ab. Die Fahrer sehen die Ingenieure gar nicht mehr persönlich. Ist das bei Racing Point auch so?
Hülkenberg: Nein, wir sehen uns noch. Jeder hat eine Maske auf, und es gibt eine Plexiglasscheibe zwischen den Leuten.