Drei Teams unter Corona-Verdacht
Für den GP Australien wurde ein Corona-Notfallplan erstellt. Es gibt drei Isolationszellen rund um die Strecke. Bei drei Teams gibt es Verdachtsfälle. Formel 1-Chef Chase Carey verhandelt heute in Vietnam über die Austragung des Rennens.
Die Formel 1 hat eine neue Form der Begrüßung. Händeschütteln war einmal. Man berührt sich jetzt mit den Ellbogen. Jeder weiß, was auf dem Spiel steht. Ein einziger positiver Corona-Fall, und der Wanderzirkus kann seine Zelte abbrechen. Die Fans müssen deshalb in diesem Jahr auf Selfies mit den Piloten verzichten. Auch Autogrammstunden im Albert Park wurden abgesagt.
Der Veranstalter des GP Australien hat einen Notfallplan aufgestellt und an alle Teams und Streckenmitarbeiter verteilt. Darin steht unter anderem: Wer die geringsten Symptome einer möglichen Corona-Erkrankung zeigt, muss sich bei einem Arzt melden und dann zur Isolation ins Hotel, auch wenn es sich wahrscheinlich nur um eine harmlose Erkältung handelt.
Mittwochnachmittag, 16 Uhr Ortszeit, wurde in Melbourne bekannt, dass sich zwei Teammitglieder von Haas sowie je einer von McLaren und Williams einem Test unterziehen mussten. Es soll aber auch bei Ferrari und Alpha Tauri Leute geben, die über Anzeichen einer Erkältung klagen. Auch die werden bei einem Arzt vorsprechen müssen. Haas hat einen weiteren Ingenieur, dem möglicherweise Abschottung im Hotelzimmer droht.
Mit ersten Ergebnissen wird nicht vor Donnerstag gerechnet. Teamchef Guenther Steiner ärgert sich: „Uns haben sie gesagt, dass es fünf Tage dauert. So etwas geht normalerweise in fünf Stunden. Wir können die Leute nicht so lange im Hotel festhalten. Wenn ich zu viele Leute verliere, können unsere Autos nicht fahren.“
McLaren-Teamchef Andreas Seidl erzählt: „Unser Mann soll in zwei Tagen sein Ergebnis bekommen.“ McLaren ist so aufgestellt, dass Ingenieure die Arbeit anderer übernehmen könnte. Alfa-Romeo-Teammanager Beat Zehnder meint: „Am schlimmsten ist es, wenn Mechaniker fehlen. Die kannst du nicht ersetzen. Und du kannst auch keine mehr einfliegen.“
In den meisten Fällen handelt es sich wahrscheinlich nur um eine Erkältung. So wie bei einem Reifenmonteur von McLaren, der wie jetzt bekannt wurde, bereits bei den Testfahrten in Barcelona vorsorglich aus dem Verkehr gezogen wurde. Das Test-Ergebnis war am Ende negativ.
Die Formel 1 balanciert auf einem dünnen Seil. Ist einer mit dem Virus infiziert, haben es bald alle. Weil jeder mit jedem irgendwie kommuniziert. Eine Stimme aus dem Zirkus: „Mal schauen, ob dieser Grand Prix wie geplant stattfindet. Wenn es noch weitere Hiobsbotschaften gibt, könnte das alles noch kippen.“ Das Formel-1-Management beobachtet die Lage und steht in ständigem Kontakt mit der Regierung des Bundesstaates Victoria. Tausende Bürger in Victoria haben schon Petitionen eingereicht, den Grand Prix ausfallen zu lassen, um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern.
Müssen Fabriken bei Corona-Fällen schließen?
Die Teams haben zudem Sorgen, dass sich in den Firmenzentralen in Europa Angestellte infizieren. Im schlimmsten Fall müssten die Fabriken für mehrere Wochen schließen. Das wäre ein eklatanter Wettbewerbsnachteil.
Große Teams wie Mercedes, Ferrari oder Red Bull könnten damit noch am ehesten leben. „Bei uns wäre es vermutlich so wie in einem BMW-Werk in Deutschland. Die Mitarbeiter der Abteilung müssten nach Hause geschickt werden. Der Rest kann weiterarbeiten“, heißt es bei Mercedes.
Das Weltmeisterteam hat sich für den Notfall bereits mit genügend Ersatzteilen eingedeckt. Wäre die Produktion betroffen, hätte man Zulieferfirmen zur Hand, die die Produktionslücken schließen würden.
Eines lässt sich aber auch für die 1.000-Mann-Truppe in Brackley nicht verhindern. „Bei einer Teilschließung würde sich mit Sicherheit die Weiterentwicklung des Autos verlangsamen.“ Bei Sauber in Hinwil hat man bereits drastische Maßnahmen ergriffen. Sämtliche Mitarbeiter aus Italien dürfen nicht mehr Heimaturlaub machen.
Der 500-Mitarbeiter-Rennstall aus der Schweiz wäre von einer Schließung härter betroffen als die Top-Teams. „Die Ingenieure könnten von zuhause aus arbeiten. Das geht in der Produktion nicht. Aber wie erklärst du diesen Leuten, dass sie in die Firma kommen müssen? Sie könnten sich diskriminiert fühlen, weil man sie einem höheren Risiko aussetzt“, meint ein Mitarbeiter des Rennstalls.
Pirelli kann laut Sportdirektor Mario Isola notfalls auch dann weiter die Teams an der Strecke betreuen, wenn es ein generelles Reiseverbot für Italiener gibt. „Wir reisen mit 55 Mitarbeitern zu den Grand Prix. 40 von ihnen kommen aus England. Unter ihnen der Chefingenieur, die Renningenieure und die Monteure. Aus Italien kommen nur ein paar Ingenieure und hauptsächlich Marketingleute. Wir haben auch eine Ersatzmannschaft für den Fall der Fälle“, verrät Isola.
Australien gerüstet für den schlimmsten Fall
Im Formel 1-Zirkus traut sich keiner mehr sagen, wie viele Rennen wir in diesem Jahr sehen werden. Australien und Bahrain finden nach aktuellem Stand noch statt. „Wir planen von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Schlimmstenfalls rechnen wir damit, dass die Saison nach zwei Rennen erst einmal beendet ist“, sagt Renault-Einsatzleiter Alan Permane.
Formel-1-Chef Chase Carey verhandelt gerade mit den Organisatoren des GP Vietnam. Die Vietnamesen wollen, dass ihr Grand Prix stattfindet, doch im Moment kann keiner in das Land reisen. Italiener müssten vorher 14 Tage in Quarantäne, was nicht möglich ist. Das asiatische Land hat für elf zusätzliche Länder eine kurzfristige Visa-Pflicht erlassen, darunter England und Deutschland. Das Problem: Im Moment kann man kein Visum beantragen.
Australien will den Saisonauftakt wie geplant stattfinden lassen. Im Land gibt es (Stand 11. März) 127 infizierte Personen und drei Todesfälle. Das ist verhältnismäßig wenig. Die Organisatoren wurden jetzt aber nervös, weil in Melbourne eine Schule geschlossen werden musste, nachdem dort Infizierte gemeldet wurden. In einem Hotel am Albert Park meldete sich ein Gast krank, der sich in Singapur angesteckt hatte. Das Hotel wurde sofort abgeriegelt.
Die Veranstalter im Albert Park haben ein siebenseitiges Memorandum verschickt, das erklärt wie man sich im Notfall zu verhalten hat und an welchen Symptomen man das neuartige Virus entdeckt. Dort steht neben den üblichen Vorsorge-Maßnahmen, bei wem man sich im Verdachtsfall zu melden hat. Eine Coronavirus-Hotline wurde eingerichtet. Masken sollten nur von medizinischem Personal oder bereits Infizierten getragen werden.
Es gibt auch Notfall-Szenarien: Wenn rund um die Strecke oder im Fahrerlager ein Verdachtsfall auftritt, soll das sofort über Funk unter dem Code „Delta“ an die entsprechenden Stellen gemeldet wird. Für jeden betroffenen Patienten gibt es einen genauen Plan für die Evakuierung, den Transport in ein Krankenhaus oder die Arztstation an der Strecke und den Ort der Quarantäne, sollte sich der Fall bestätigen.
Rund um die Strecke wurden für Zuschauer und Zirkus-Mitarbeiter drei Isolationszentren eingerichtet. Eines im Fahrerlager, eines auf dem Golfplatz nahe der Gegengerade und eines im Bereich von Kurve 14. Dorthin werden Menschen gebracht, die Auffälligkeiten melden.
Sorgen wegen Bahrain
Das zweite Rennen in Bahrain wird ein echter Geister-Grand Prix. Wenn er überhaupt stattfinden kann. Nicht nur die Tribünen werden leer sein. Auch der Paddock Club bleibt geschlossen. Das heißt für die Fahrer: keine Autogrammstunden und keine Sponsorenauftritte.
Die Teams dürfen keine Gäste mit an die Strecke bringen. Nur Personen mit einem permanenten Jahres-Pass haben Zugang zur Rennstrecke. Das Formel 1-Management reist mit „kleiner Mannschaft“ in das Königreich: 180 statt 260 Angestellte. Die Teams kommen mit einem Minimumaufgebot an Marketingleuten.
Die Reisepläne ändern sich stündlich. Weil Emirates und Gulf Air Bahrain im Moment nur mit wenigen Maschinen anfliegen, wurden einige Teammitglieder automatisch umgebucht. Die müssten Melbourne dann schon am Samstag verlassen. Auf Druck der Formel 1-Organisation sollen jetzt aber doch alle so wie geplant einreisen dürfen. Stand heute. Keiner weiß, was morgen passiert.