Wie viel Kopie steckt in der Kopie?
Die guten Rundenzeiten von Racing Point und Alpha Tauri schrecken die Konkurrenz auf. Der Ruf an die FIA wird lauter zu überprüfen, wie nah die Autos der B-Teams von Mercedes und Red Bull am Original sind.
Mit Haas wurde die Tür eine Spalte geöffnet. Jetzt bekommt sie die FIA nicht mehr zu. Als der US-Rennstall mit einem Auto auftauchte, das 70 Prozent der Teile von Ferrari übernimmt und dem Vorjahresmodell täuschend ähnlich sah, da ließ man die Amerikaner mit geballter Faust in der Tasche gewähren. Jeder wusste, dass es das Haas-Team ohne diese Kooperation sonst nicht gegeben hätte.
Es blieb der der Kritik und bei Warnungen, dass dies nur der Anfang sei. Jetzt erkennt die Branche zum ersten Mal die Kehrseite der Medaille. Der Racing Point sieht dem Mercedes von 2019 täuschend ähnlich, der Alpha Tauri AT01 dem Red Bull RB15 aus der letzten Saison.
Beide Autos sind auch noch verdammt schnell. Dem Racing Point trauen die Experten sogar zu, in den Gewässern der Top-Teams zu fischen. Plötzlich schlägt die Stimmung der Teams aus dem Mittelfeld in Angst um. Wenn sich Racing Point und Alpha Tauri mit ihrem Copy-Job tatsächlich einen uneinholbaren Vorteil verschafft haben, dann ginge es im Verfolgerfeld nur noch um Platz 6.
Wie soll das Renault seinem Vorstand in Paris erklären? Wie McLaren seinen Investoren aus dem Nahen Osten? Racing Point-Technikchef Andy Green wundert sich, warum sein Team plötzlich im Mittelpunkt der Kritik steht: „Wir haben nur ein Drittel der Teile bei Mercedes eingekauft, die wir hätten einkaufen dürfen. Haas kauft sich bei Ferrari alles was das Reglement hergibt.“
FIA kennt alle Zeichnungen und Scans
Noch halten sich Renault und McLaren mit offizieller Kritik vornehm zurück. Doch hinter den Kulissen wird bereits kräftig Druck auf den Weltverband ausgeübt, sich die drei Kopien im Feld genauer anzusehen.
Für die FIA ist es eine einfache Aufgabe: Spätestens diese Woche müssen die Teams alle Zeichnungen und die elektronischen Scans der einzelnen Komponenten und Verkleidungsteile ihrer neues Autos an den Weltverband schicken. Die Daten der Vorjahresfahrzeuge sind in den Archiven gespeichert.
So können die Technikkommissare relativ einfach nachweisen, ob Teile eins zu eins übernommen wurden. Angeblich gab es bei einer der drei Allianzen bereits Zweifel über den Frontflügel. Der Verdacht erwies sich aber als unbegründet.
Relevant sind nur die so genannten „Listed Parts“, also jene Teile, die jedes Team selbst entwickeln und bauen muss oder sie exklusiv bei einer Fremdfirma anfertigen lässt. Das sind das Chassis, die Flügel, die komplette Verkleidung, die Bremsbelüftungen und die Kühler.
Es geht hier nicht darum, wie viel Prozent des Autos von einem anderen übernommen wurden. Wenn nur der Frontflügel absolut identisch wäre, müsste auch nur der Frontflügel geändert werden. Der Rest des Autos bliebe legal.
Renault-Technikkoordinator Marcin Budkowski fürchtet: „Kein Mensch wird so blöd sein, bei den “Listed Parts„ eine originalgetreue Kopie zu bauen. Wer etwas von einem anderen Team übernimmt, wird es leicht abändern.“
Darf man ein altes Auto verkaufen
Genau darauf begründet sich das Unbehagen. In den Regeln steht, was erlaubt ist und was nicht. Aber keiner kann es exakt überprüfen. Ein Ingenieur gibt uns ein Beispiel: Ferrari und Haas , Mercedes und Racing Point, Red Bull und Alpha Tauri teilen sich jeweils einen Windkanal.
„Die Leute, die für den Betrieb des Kanals zuständig sind, sind immer die gleichen, egal welcher Kunde gerade testet. Dann trifft man sich am Ende der Sitzung mit den Operatoren an der Kaffeemaschine und tauscht einfach Erfahrungen aus, die das A- oder B-Team gemacht hat. Oder die Aerodynamiker gehen abends ins gleiche Pub.“
Mit Kopieren allein ist es nämlich nicht getan, meint Renault-Teamchef Cyril Abiteboul: „Nehmen wir ein Leitblech. Ich kann es von der Form her exakt einem anderen nachbauen. Das bringt mir aber gar nichts. Ohne die dazugehörige Information weiß ich immer noch nichts über das Strömungsbild im Umfeld und die Elastizität dieses Teils.“
Der Transfer von Daten und Zeichnungen ist laut Reglement verboten. Doch was ist mit dem ganzen Auto? Bei Racing Point erzählt man sich, dass Alpha Tauri einen Red Bull aus dem Vorjahr als Anschauungsmaterial bekommen hat. Im Fahrerlager scheiden sich die Geister, ob so etwas erlaubt wäre oder nicht.
Alfa-Romeo-Teammanager Beat Zehnder hält uns Anhang 6 des Sportgesetzes unter die Nase. „Nach unserer Interpretation darf kein Team das aktuelle Auto oder das der beiden Vorjahre an Dritte abgeben, solange es selbst Teilnehmer ist.“
Bei Racing Point oder Renault ist man sich in diesem Punkt nicht so sicher. Man könnte sein Auto ja am Ende des Jahres an einen Sammler verkaufen, der dann wiederum dem B-Team die Tür öffnet, um das Auto zu scannen oder vermessen.
Beispiele einer geteilten Entwicklung
Renault, McLaren, Alfa Romeo und Williams drängen die FIA zu einer schnellen Lösung. Man fürchtet, sonst bei der Entwicklung des 2021er Autos ausgebremst zu werden. Ein Vorschlag ist, dass nur noch Motor und Getriebe verkauft werden dürfen. Beides zu einem Fixpreis.
Die Gefahr bei einem Einkauf in großem Stil ist, dass dann jede Summe aufgerufen werden kann. Und in dieser Summe könnten Leistung und Gegenleistung für Dinge versteckt sein, die nicht durch das Reglement abgedeckt sind.
Eines muss jedem klar sein: In der Formel 1 gibt es nichts umsonst. Mercedes würde Racing Point nicht aus reiner Nächstenliebe unter die Arme greifen. Da muss es schon gemeinsame Interessen geben. Die große Regelreform für 2021 könnte nach Meinung der Mahner die großen Teams dazu verleiten, sich die Entwicklung zu teilen um Zeit und Geld zu sparen.
Ein Ingenieur nennt uns ein Bespiel: „Die 2021er Autos sind für alle Neuland. Da muss in alle Richtungen entwickelt werden. Wer sich abspricht, hat einen Riesenvorteil. Team A stellt zum Beispiel ein Auto mit starker Anstellung in den Windkanal, Team B eines mit geringer Anstellung. Einer von beiden merkt schnell, dass er auf dem Holzweg ist. Da reicht ein einziger Hinweis, diesen Weg nicht weiterzuverfolgen. Wer keinen Partner hat, muss das alles in mühsamer Kleinarbeit herausfinden.“
Es gibt noch ein anderes Szenario. „Die Top-Teams probieren bei der Frontflügel.ntwicklung bis zu zehn Varianten aus. Team A nimmt die beste Version und lässt Team B mit der zweitbesten herumspielen. Die haben dann schon einmal eine Basis, die sich andere in einem langen Entwicklungsprozess erst erarbeiten müssen.“ Für Cyril Abiteboul ist klar: „Der Ball liegt bei der FIA.“