Red Bull & Ferrari helfen Hamilton

Der Mercedes mit der Startnummer 77 gabelt ein Trümmerteil auf. Die Frontflügelendplatte des Ferrari klemmt in der Folge am Unterboden und kostet Bottas massiv Anpressdruck. Erst beim zweiten Stopp können die Mercedes-Mechaniker aufräumen.
Eigentlich hätte Valtteri Bottas das Comeback von Imola gewinnen müssen. Doch die Umstände verschworen sich gegen ihn und spielten Lewis Hamilton den Sieg zu. Racing Point vergeigte ein Podest, das Renault abstaubte. Ferrari zerstörte das Rennen von Sebastian Vettel.
Mercedes ist wieder Konstrukteurs-Weltmeister. Zum siebten Mal nacheinander. Renault feiert das zweite Podium der Saison mit Daniel Ricciardo. Und Red Bull? Verflucht den Rennsonntag von Imola. In unserer Rennanalyse klären wir die dringendsten Fragen zum Grand Prix der Emilia-Romagna 2020.
Wie viel Abtrieb verlor Bottas?
17 Runden lang roch es nach dem dritten Saisonsieg von Valtteri Bottas. Er führte 2,5 Sekunden vor Max Verstappen und 4,3 Sekunden vor Lewis Hamilton. Zu diesem Zeitpunkt wusste man noch nicht, dass der Finne mit stumpfen Waffen kämpfte. Bereits in der zweiten Runde hatte er ausgangs Tosa die herausgebrochene Frontflügel-Endplatte des Ferrari von Sebastian Vettel aufgesammelt. Das Trümmerteil zwischen Unterboden und Bargeboard kostete ihn 50 Punkte Anpressdruck. Das ist etwa ein Sechstel des Gesamtabtriebs.
Bottas sah das Unheil kommen, konnte aber nicht ausweichen. "Ich hätte mir entweder den Reifen aufschlitzen können oder mittig drüberfahren. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Mehr Zeit blieb nicht. Ich wurde zwar von meinem Team gewarnt, dass da etwas ist. Aber sie sprachen von Kieselsteinen. Gelbe Flaggen wurden nicht geschwenkt. Deshalb war ich im Renntempo unterwegs."
Selbst mit angeschlagenem Auto hielt sich Bottas vor seinen Verfolgern. Imola ist zwar eine sensationelle Rennstrecke für eine fliegende Runde. Doch im Verkehr verlieren die Hinterherfahrenden in verwirbelter Luft selbst massiv Abtrieb. Das liegt am flüssigen Layout mit hohen Kurvengeschwindigkeiten. Weil die Fahrbahn so schmal ist, können die Verfolger den Turbulenzen durch andere Linien auch nicht ausweichen.
Red Bull kam auf der Strecke nicht vorbei und versuchte sein Glück mit einem Undercut in der 18. Runde. Auch weil Verstappens Reifen hinter Bottas litten. Mercedes musste sofort reagieren. Sonst wäre Bottas hinter Verstappen gefallen. "Mir war klar, dass ich direkt in die Box gerufen werde. Das war so in der Strategiebesprechung ausgemacht."
Die Mechaniker konterten den nächsten schnellen Boxenstopp von Red Bull (Standzeit 2,2 Sekunden) mit einem schnellen Reifen.ausch in 2,4 Sekunden. Davor muss man den Hut ziehen. Die Mercedes-Boxencrew ist nach den Corona-Fällen am Nürburgring geschwächt. Bottas hielt sich um 1,1 Sekunden vor Verstappen.
Doch er wurde in ein Fernduell verwickelt, das er nicht gewinnen konnte. Hamilton blieb draußen und vergrößerte seinen Vorsprung zwischen Runde 20 und 29 von 24 auf 29 Sekunden. Trotz Verkehr durch Stroll, Grosjean, Giovinazzi, Magnussen. "Das waren die Runden, in denen ich das Rennen gewann", urteilte Hamilton. Bottas hegte keinen Groll wegen der verschiedenen Strategien. "Wäre ich an Lewis Stelle gewesen, hätte ich den ersten Stint so lange wie möglich verlängert. Das war so ausgemacht vor dem Rennen."
Als die Rennleitung noch ein virtuelles Safety Car ausrief, nachdem Esteban Ocon mit einem Getriebeschaden ausrollte, sparte sich Hamilton beim ersten Stopp auch noch wertvolle Sekunden. So war garantiert, dass er vor Bottas und Verstappen bleibt. Das späte Safety Car trieb beide Mercedes noch einmal in die Box.
Bottas eine Runde früher als Hamilton. Dabei wurde auch das Trümmerteil endlich entfernt. Der Weltmeister hing zwar hinter dem Supersportwagen mit der Lichtanlage auf dem Dach feststeckte, behielt aber trotzdem die Führung. Verstappens Ausfall und das Safety Car kamen wie gerufen. Hamiltons vibrierende Reifen trieben den Mercedes-Strategen die Sorgenfalten auf die Stirn. Man wusste nicht, ob vielleicht auch der Weltmeister ein Carbon-Teil getroffen hatte.
Wie lief Red Bulls schwarzer Tag ab?
Auch der vierte Platz von Daniil Kvyat im Alpha Tauri tröstete Red Bulls Sportchef Helmut Marko nicht. Es wird dem Russen auch nichts helfen. Kvyat wird sein Cockpit für 2021 wahrscheinlich an Yuki Tsunoda abtreten müssen. Trotzdem: Kvyats Schlussattacken waren sehenswert. Beim Restart in Runde 58 schnappte er sich auf dem Weg nach Tamburello Sergio Perez und Alexander Albon. Und vor Piratella kassierte er Charles Leclerc, der unter zu kalten Reifen litt. Für das Podest reichte es um acht Zehntel nicht. Das verteidigte Daniel Ricciardo erfolgreich.
Red Bull und sein Schwesterteam hatten nach den Startpositionen drei, vier, sechs und acht auf einen Punkteregen gehofft. Mit Verstappen träumte man vom Sieg. Doch erst stand Bottas im Weg, dann flog der WM-Dritte auch noch in der 51. Runde ab. "Wir glauben, dass ein Carbon-Splitter den Hinterreifen aufschlitzte", berichtete Marko. Verstappen war mit Plattfuß hinten rechts nur noch Passagier und strandete im Kiesbett.
Teamkollege Alexander Albon will der Befreiungsschlag einfach nicht gelingen. Er kreiselte im Positionskampf mit Perez von der Bahn. Ausgangs der Villeneuve-Schikane verlor der Red Bull hinter dem Racing Point wohl zu viel Abtrieb und hatte dazu noch zu kalte Reifen. Sein Vorgänger bei Red Bull, Pierre Gasly, legte ein bärenstarkes Rennwochenende hin, wurde aber vom Technikteufel früh aus dem Grand Prix gerissen.
Es hatte sich schon in der Startaufstellung angedeutet. Ein elektronisches Problem verstimmte den Honda-Sechszylinder. Ein kaputter Wasserkühler trieb Gasly schließlich in der achten Runde in die Aufgabe. Der Druck war zu stark abgefallen, und die Temperaturen schossen zu stark in die Höhe, als das an ein Weiterfahren zu denken war.
Wie versemmelte Racing Point das Podium?
Zunächst machte Racing Point alles richtig. Sergio Perez überstand die ersten Runden schadlos, schwamm auf Position elf mit und erhöhte die Schlagzahl, als die Konkurrenz zur Box abbog. Nach 17 Runden war er bereits Vierter, ohne ein einziges Auto zu überholen. Ab da zahlte es sich auch aus, dass Racing Point den RP20 mehr für das Rennen als für die Qualifikation ausrichtete.
Das pinkte Auto war im Renntrimm hinter Mercedes und Red Bull das drittschnellste Auto. Nach seinem Reifen.echsel fiel Perez zwar auf Platz sieben zurück. Doch drei Fahrer vor ihm mussten noch zum Service. Ab Runde 48 grüßte der Mexikaner wieder vom vierten Platz. Doch dann kostete ihn ein Strategiefehler das neunte Podest der Karriere. Unter Safety Car beorderten ihn die Strategen zum Wechsel von harten auf weiche Reifen, und überließen Daniel Ricciardo nach dem Verstappen-Ausfall kampflos das Feld.
"Mir war die Streckenposition wichtiger als ein frischer Reifen.atz. Als Sergio in die Box abbog, hatte ich ein breites Grinsen unterm Helm. Ich wusste, dass es etwas kompliziert werden würde, den harten Reifen wieder anzuzünden. Doch nichts ist wichtiger in Imola als die Position, weil Überholen so schwer ist", befand der Drittplatzierte.
Perez geriet nicht nur hinter Ricciardo, sondern auch hinter Leclerc und Albon auf harten Reifen. Das Team verteidigte die Entscheidung. Technikchef Andy Green: "Wir hatten Angst, dass das Auto die harten Reifen nicht schnell genug auf Temperatur bringt. Unsere Fahrzeugabstimmung war auf Reifen.chonen ausgelegt, deshalb konnten wir auch so lange so schnell mit den Medium-Reifen fahren. Es erschien uns als sicherste Lösung, auf den Soft zu gehen, auch weil wir dachten, die anderen würden das gleiche tun."
Falsch gedacht. Zum Leidwesen von Racing Point verlängerte George Russell mit seinem Ausrutscher unfreiwillig die Safety Car-Phase – und raubte Perez die Runden für eine Aufholjagd. Doch auch so wäre das Podest futsch gewesen: Kvyat brachte die weichen Pirellis deutlich schneller in ihren Wohlfühlbereich.
Wie verhinderte Ferrari Punkte für Vettel?
Sebastian Vettels Problem ist der Samstag. Schlechte Startplätze verhageln ihm meistens alle Chancen für den Sonntag. Diesmal nicht. Er startete zwar außerhalb der Top 10. Doch der Heppenheimer hielt 39 Runden auf dem Mediumreifen durch und brachte sich zwar ohne Überholmanöver, aber mit schnellen Rundenzeiten bei freier Fahrt in eine gute Position. Trotz kaputtem Frontflügel. "Das habe ich kaum gespürt. Das Auto lief trotzdem gut."
Doch wenn er mal gut unterwegs ist, verbockt ihm Ferrari den Befreiungsschlag. Beim Boxenstopp verkantete sich die Radmutter vorne rechts, was zu einer Standzeit von mehr als 13 Sekunde führte. "Sonst wäre Seb vor Norris zurückgekommen", erklärte Teamchef Mattia Binotto. "Wir müssen uns die Videos nochmals genau anschauen, um zu lernen." Stattdessen glotzte Vettel wie so oft in diesem Jahr dem Alfa Romeo von Antonio Giovinazzi in den Auspuff.
Vettel, der sich noch mehr Runden auf dem Medium zugetraut hatte, wollte für den zweiten Teil eigentlich die weichen Reifen. "Das Team hat mir gesagt, dass ich zum Wechsel kommen muss, sonst wäre es sich nicht gegen Norris ausgegangen. Sie haben den besseren Überblick und können die Abstände sehen." Um über die 24 verbleibenden Runden zu kommen, entschieden sich die Ferrari-Taktiker für die harten Reifen.
Unter Safety Car machte Ferrari noch einen Fehler. Man hätte Vettel auf der Bahn lassen sollen, statt ein weiteres Mal in die Box zu rufen. Dann wäre der Ex-Weltmeister hinter Kumpel Kimi Räikkönen und vor Giovinazzi, den er zuvor überholt hatte, automatisch aufgerückt. Bis auf Position elf wegen der Reifen.echsel der Vordermänner. Und mit dem Albon-Dreher wäre sogar ein Pünktchen herausgesprungen.
Warum flog George Russell ab?
Erstmals waren Punkte in Reichweite. Ohne seinen Unfall hätte Russell Neunter werden können vor Räikkönen. "Ich hatte zwar alte Reifen, aber ausreichend Topspeed, um ihn hinter mir zu halten." Doch der junge Engländer übertrieb es. Er versuchte mit aller Macht, den harten Reifen, den er ab der elften Runde am Auto hatte, auf Betriebstemperatur zu halten.
Dabei unterlief ihm ein Anfängerfehler hinunter zu Acque Minerali, wie Russell selbst kritisiert. "Völlig unerklärlich. Der schwerste Patzer meiner Laufbahn. Wir hatten ein schnelles Auto und ich werfe es hinter dem Safety Car weg. Ich beschleunige, schalte hoch und werde von einer Bodenwelle auf dem falschen Fuß erwischt. Bis ich schauen kann, stecke ich in der Mauer. Keine Ausreden: Ich kann mich nur bei meinem Team entschuldigen." Fast hätte Nicholas Latifi den ersten Williams-Punkt der Saison eingefahren. "Giovinazzi machte hinten heraus einen Fehler. Leider nicht groß genug, um vorbei zu fahren." So fehlten dem Kanadier 0,737 Sekunden auf Platz zehn.
Wie geht es Strolls Mechaniker?
Racing Points Teamchef Otmar Szafnauer beruhigt: "Ihm geht es gut. Er hat hauptsächlich einen großen Schreck bekommen." Was war passiert? Bei seinem zweiten Boxenstopp schoss Lance Stroll viel zu schnell auf den vorgesehenen Platz für den Boxenstopp und nietete den Mechaniker mit dem Wagenheber um.
Den wirbelte es ein paar Meter nach hinten, bis er mit Rücken und Hinterkopf auf den Boden fiel. Doch Racing Points Teammitglied rappelte sich schnell wieder auf. Ohne Hilfe, die schon herbeigeeilt war. Der Mechaniker ist hart im Nehmen. Er hielt wenig später sogar den Wagenheber wieder in der Hand. Doch Ersatz war schon da. Stroll entschuldigte sich. "Meine Bremsen waren viel zu kalt."