Bonusleistungen sind überflüssig
Jetzt hat die Formel 1 endlich Regeln für mehr Chancengleichheit beschlossen, da wird schon wieder über mehr Ungleichheit diskutiert. Quali-Rennen mit einer Startreihenfolge in umgekehrter WM-Reihenfolge sind Klamauk. Und der Windkanal-Bonus ist fragwürdig, meint Michael Schmidt.
Eigentlich war an dieser Stelle ein Kompliment geplant. Ein Lob für die vielen Sparmaßnahmen, die FIA, Rechteinhaber und die Teams über Monate ausgehandelt haben, um gut durch die Corona-Krise zu kommen und danach mehr Chancengleichheit auf einem vernünftigen Finanzrahmen zu bieten.
Es war eine harte Nuss, den größten gemeinsamen Nenner zu finden. Aber am Ende haben alle Beteiligten einen guten Job gemacht. Manche Regeln wie die Homologation von Teilen oder die Motorbeschränkungen sind nach meinem Geschmack unnötig kompliziert, doch damit lässt sich leben. Wir wissen ja: Die Formel 1 wird nicht glücklich mit einfachen Lösungen. Weil jeder sich gegen jedes Schlupfloch absichern will, das dem Gegner möglicherweise helfen könnte. Das bläht die Regeln auf.
Chancengleichheit direkt untergraben
Womit ich aber gar nicht leben kann, sind Versuche, diese neue Chancengleichheit jetzt schon wieder zu untergraben. Ich tue mich schwer damit, dass schlechter platzierte Teams mehr Windkanalzeit bekommen. Wenn alle in einem realisierbaren Budgetrahmen arbeiten, muss ich keine Geschenke mehr verteilen. Wer dann noch hinten rumfährt, hat es einfach nicht anders verdient.
Wenigstens ist mehr Windkanalzeit keine Garantie dafür, dass man damit ein schnelleres Auto hat. Wenn man schon den Gedanken für eine bessere Gleichstellung weiter verfolgen will, tendiere ich zu dem Vorschlag von Ferrari. Die wollten die Windkanalnutzung an das tatsächliche Budget knüpfen. Da wird nicht der belohnt, der schlechte Leistungen abliefert, sondern die Teams, die das 145 Millionen-Dollar-Limit nicht schaffen. Und das werden einige sein.
Völlig inakzeptabel aber finde ich, dass die Formel 1 wieder einmal ernsthaft über Qualifikationsrennen mit einer Startreihenfolge in umgekehrter WM-Platzierung diskutiert. Davon hat schon Flavio Briatore geträumt. Wir alle kennen unseren Flavio. Mit Motorsport hatte der wenig am Hut. Dem ging es nur um Unterhaltung. Der Zweck heiligte bei ihm die Mittel.
Nur Mercedes gegen den Unsinn
Doch ein bisschen Sport sollte schon noch sein. Die alte Idee neu aufgewärmt ist ein unlauterer Eingriff in den Wettbewerb. Damit werfe ich alle Bemühungen über mehr Chancengleichheit gleich wieder über den Haufen. Über das Thema Startaufstellung darf ich als echter Racer noch nicht einmal diskutieren. Es stimmt mich bedenklich, dass nur Mercedes sich gegen diesen Unsinn stemmt.
Eine Startaufstellung, bei der der Letzte der Erste ist, egal ob im richtigen Rennen oder einem Qualifikationslauf, ist Klamauk. Und nichts anderes. Er schadet der Glaubwürdigkeit unseres Geschäfts. Das ist so, als müsste Bayern München jedes Spiel mit einem Rückstand von 0:2 beginnen. Da werden Schlechte belohnt und Gute bestraft. Selbst, wenn ein Quali-Rennen mit einem Williams in der ersten und einem Mercedes in der letzten Startreihe die Supershow böte, darf man es nicht zulassen.
Da frage ich mich: Was kommt als nächstes? Ein Zwangs-Boxenstopp? Eine Umleitung für die Schnellen oder eine Abkürzung für die Langsamen? Und außerdem: Macht euch nicht zu viele Hoffnungen auf spannende Rennen. Die Fahrer würden in den Quali-Läufen nicht mehr Risiken eingehen als sonst. Weil sie sich sonst für das Rennen bestrafen und die Kostenrechnung des Teams nach oben treiben.
Auch der Einwand, dass manche TV-Anstalten sich gerade bei den anstehenden Doppelschlägen wie am Red Bull-Ring oder in Silverstone für das zweite Wochenende mehr Action und Abwechslung wünschen, ist kein Argument. Ein TV-Sender, der Spannung um jeden Preis fordert, soll einen anderen Sport übertragen. Im Fußball gibt es auch langweilige Spiele. Keiner verlangt deswegen, dass die Mannschaft, die im Rückstand ist, einen Bonus-Elfmeter bekommen soll. Sport muss einfach und nachvollziehbar sein. Künstliche Elemente vertreiben nur die echten Fans. Übrig bleiben jene, die heute auf den Zug aufspringen und ihn morgen wieder verlassen.