Warum immer nur ein Ferrari gut?
Der GP England erinnerte an den Saisonauftakt in Österreich. Ferrari feierte ein unerwartetes Podium mit Charles Leclerc. Sebastian Vettel wurde nur Zehnter. Zum dritten Mal war nur ein Auto konkurrenzfähig. Das Risiko-Setup zahlte sich für Leclerc aus. Wenig Abtrieb schonte paradoxerweise die Reifen.
Ferrari kann doch noch feiern. Podiumsplätze sind dieser Tage schon kleine Wunder aus Sicht der Roten. Und Charlers Leclerc brauchte auf dem Weg dorthin auch nur eine kleine Hilfestellung. Den Rest schaffte er aus eigener Kraft.. Der Reifenschaden von Valtteri Bottas schenkte Leclerc den dritten Platz. Man könnte im Rückblick auch sagen: Leclerc hat seine Reifen besser geschont als die Mercedes-Piloten. Was bei einem Auto, das eine Sekunde pro Runde verliert, allerdings auch einfacher ist.
Der GP England war aus Sicht von Ferrari fast eine Kopie des Saisonauftakts in Österreich. Wir erinnern uns. Da kam Charles Leclerc als Zweiter und Sebastian Vettel als Zehnter ins Ziel. Auch da war ein Ferrari schnell, der andere langsam. Bevor der Verdacht aufkommt, dass Ferrari nur noch den Mann im Fokus hat, der dem Team treu bleibt, sei an den GP Ungarn erinnert. Da standen Leclerc die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben.
Der Monegasse wunderte sich damals, warum er sein Auto von einem Tag zum anderen nicht wiedererkannte. Bei Vettel lief diesmal schon von der ersten Trainingsminute an alles schief. Der Ex-Champion fand nach langen Standzeiten am Freitag und Samstagvormittag nie seinen Rhythmus.
Vettel änderte mehrfach Fahrstil
Es stellt sich die Frage, warum Ferrari immer nur ein Auto optimal vorbereiten kann und warum es zwischen den beiden Piloten von Rennen zu Rennen so große Ausschläge gibt. Vettel ist bei einem normalen Verlauf auf eine Runde nicht 0,912 Sekunden langsamer. Und er verliert über 52 Runden in Silverstone nicht ohne Grund 23,4 Sekunden auf den Teamkollegen. Vettel wollte sich auch gar nicht damit entschuldigen, dass er so viel Trainingszeit verloren hat. "Ich bin schon so lange dabei, dass mir so etwas nichts ausmachen sollte." Wie schon in Spielberg funkten er und sein Auto nicht auf gleicher Wellenlänge.
Vettel änderte alle paar Runden seinen Fahrtstil, spielte viel mit den Einstellungen am Lenkrad herum, aber was er auch machte, sein Ferrari blieb ein störrischer Begleiter. "Immer wenn ich attackieren wollte, schneller in die Kurven reinfahren oder später bremsen, habe ich das Auto verloren." Das ging schon in der ersten Runde los, als sich Vettel vor Copse Corner verbremste, was Esteban Ocon einen Platz schenkte.
Später im Rennen konnte er sich nicht einmal gegen Pierre Gasly wehren. Der Alpha Tauri hatte so viel mehr Grip, dass er außen herum Kreise um den Ferrari mit der Startnummer 5 fuhr. So gab es aus Vettels Sicht nur ein Highlight. Er wehrte den Angriff von Valtteri Bottas auf den letzten WM-Punkt um 0,3 Sekunden ab. Dass Vettel im Parc fermé Schnitte auf seinen Reifen entdeckte, kann auch nicht Grund für das unberechenbare Fahrverhalten seines SF1000 gewesen sein. Das hat ihn höchstens in den letzten Runden behindert. Seltsam aber ist, dass er schon vor dem Rennen beide Hinterreifen von seiner Startgarnitur tauschen durfte, wie Jo Bauers Reparatur-Report zu entnehmen war. Die ursprünglichen Reifen wurden offensichtlich im Q2 beschädigt.
Simulationen empfehlen wenig Abtrieb
Der dritte Platz von Leclerc zeigt, dass an diesem Wochenende mehr in dem Ferrari steckte, als Vettel aus ihm herausholen konnte. Die starken Schwankungen zwischen den beiden Autos lassen nur den Schluss zu, dass es höchst schwierig ist, das perfekte Fenster für diesen Ferrari zu finden. Kleinigkeiten machen offenbar große Unterschiede aus. Der eine Fahrer fühlt sich wohl im Auto, der andere nicht. Da gehen im Kopf gleich noch einmal ein paar Zehntel verloren. Das kann auch mit dem Leistungsmanko zu tun haben. Wenn man versuchen muss, irgendwie 50 PS zu kompensieren, wird die Fahrzeugabstimmung zur Gratwanderung.
Für Silverstone wurden beide Ferrari erstmals in dieser Saison auf wenig Abtrieb getrimmt. Die Simulationen hatten es so empfohlen. Das war auch der Grund, warum beide Ferrari in der Topspeed-Tabelle im Mittelfeld auftauchten. Kein heimlicher PS-Schub, wie bereits wieder im Fahrerlager vermutet wurde. Auch hier gab es kleine, aber feine Unterschiede. Wie schon in Ungarn machte Leclerc auf den Geraden Zeit auf seinen Teamkollegen gut. Das kann Zufall sein, muss aber nicht. Zwei Motoren sind nie ganz gleich.
Bei 81 Prozent Volllast macht man die Zeit in den schnellen Passagen und nicht in den fünf Kurven, wo die Geschwindigkeit unter 150 km/h fällt. Für Ferrari zahlte sich der neue Ansatz mit der Abstimmung doppelt aus. Für die eine Runde in der Qualifikation kompensiert der Extra-Grip frischer Reifen den fehlenden Anpressdruck in den Kurven, in denen Abtrieb wirklich den Unterschied ausmacht. Vor dem Rennen hatte Leclerc allerdings Fracksausen. "Wir haben nach den schwachen Longruns am Freitag befürchtet, dass wir im Rennen den Speed nicht halten können und dass die Reifen früher nachlassen." Ferrari löste das Problem mit einer guten Balance. "Das Auto war im Rennen wirklich einfach zu fahren", lobte Leclerc. Das hätte Vettel auch gerne von seinem Auto behauptet.
Wenig Abtrieb hilft Reifen
Tatsächlich half Ferraris neuer Ansatz Leclerc auch beim Reifenmanagement, selbst wenn es sich zunächst widersinnig anhört. Wegen des reduzierten Anpressdrucks musste Leclerc in den schnellen Kurven mit dem Fuß vom Gas. Nicht Rutschen ist in Silverstone das Problem für die Reifen, sondern die hohen Fliehkräfte, die an der Lauffläche knabbern und die Konstruktion des Reifens extrem herausfordern. Mercedes-Ingenieure bestätigen: "Wer in den schnellen Kurven etwas langsamer ist, hält die Reifen länger am Leben."
Nur einmal wurde das Setup für Leclerc zum Problem. "Beim Re-Start nach der SafetyCar-Phase dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis die harten Reifen auf Temperatur kamen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, Grosjean auf seinen alten Medium-Reifen hinter mir zu halten. Andererseits war es ein Glück, dass er als Puffer zwischen mir und den McLaren lag. Ich weiß nicht, ob ich die hätte halten können."
Teamchef Mattia Binotto verteilte seltenes Lob in schwierigen Zeiten. "Charles hat das Maximum aus dem Auto herausgeholt. Speziell beim Reifenmanagement, bei dem er sich geduldig von seinen Ingenieuren leiten ließ." Gleichzeitig forderte der Brillenträger: "Wir müssen die Daten studieren, um herauszufinden, warum Seb mit seinem Auto nicht glücklich wurde."