Autohaus in Indien
Selbst in einem Land wie Indien, wo es viel Verkehr, aber einen vergleichsweise kleinen Bevölkerungsanteil gibt, der sich ein Auto leisten kann, verkaufen Autohersteller über klassische Autohäuser. Aber wie? Wir haben uns einen neu eröffneten Skoda-Showroom nahe Neu-Delhi angesehen.
Was hat ein Skoda-Autohaus in Eisenhüttenstadt mit dem neuesten Skoda-Autohaus nahe Neu-Delhi in Indien gemein? Beide liegen inmitten von Planstädten. Letztere im New Okhla Industrial Development Authority (Noida), 9,4 Kilometer südöstlich von Neu-Delhi und 5.682 Kilometer von der Skoda Hauptzentrale in Mlada Boleslav entfernt. Unterschiede gibt es bei so viel Entfernung natürlich auch: Während der Verkehr in Eisenhüttenstadt überschaubar und vergleichsweise geordnet abläuft, ist es für Europäer nur äußerst schwer nachzuvollziehen, wie hinter all dem indischen Verkehrschaos auch nur irgendein Plan stecken könnte. Wer jedoch den 1,4 Millionen Euro teuren Neubau von Shailender Luthra betritt, lässt genau das einfach hinter der schweren Glastür zurück: Das ständige Hupen und Knattern findet nur noch stark gedämpft den Weg ins Innere des klimatisierten Autohauses.
Auf den ersten Blick fühlt sich der Kunde wie in jedem Skoda Autohaus auf diesem Planeten. Das Zauberwort heißt Corporate Design (CD). Auch dann, wenn ein Privatmann das Geld in die Hand genommen hat. An den Wänden hängen Felgen, Poloshirts und großformatige Bilder. Sitzecken sorgen für echte Loungegefühle und die vier geparkten, automobilen Ausstellungsstücke laden zum Träumen ein. Und das darf durchaus ernst genommen werden. Denn 77 Prozent aller in Indien zugelassenen Pkw sind finanziert. Der Gebrauchtwagenmarkt ist viermal so groß wie der Neuwagenmarkt. 75 Prozent der Autokäufer informieren sich zudem zuvor online. Die erste Frage, der im Schnitt 29 Jahre jungen Kunden lautet in den meisten Fällen daher „Was kostet das Auto denn nun wirklich?“, wie Shailender Luthra verrät.
Nur drei Prozent besitzen ein Fahrzeug – bis jetzt
Bei durchschnittlichen Einkommen im dreistelligen und Fahrzeugpreisen im fünfstelligen Euro-Bereich sorgen die in der Sonne glänzenden Premium-Neuwagen eher für feuchte Augen als für Spontankäufe. Und dass die Reifen der Ausstellungsfahrzeuge noch von Sand und Staub bedeckt sind lässt erahnen, dass der Vorzeige-Betrieb wirklich erst auf den allerletzten Drücker fertig geworden ist – Coprporate Design hin oder her. Aktuell besitzen 30 von 1.000 Indern ein Fahrzeug (Deutschland: 692). Was angesichts der überfüllten Straßen kaum vorstellbar ist. Bei einem Blick auf die Einwohnerzahl Indiens allerdings schon: 1,39 Milliarden Menschen.
Anders, um nicht zu sagen besser und kundenfreundlicher als in Deutschland, verhält es sich in Indien mit der Kundenpflege und dem Feedback nach einem Kauf. Nein, nicht erst bei der ersten fälligen Inspektion, sondern zwei, sieben und zehn Tage nach der Auslieferung eines Neuwagens befragen die Mitarbeiter des Autohauses ihren Kunden per Facebook, wie zufrieden er ist. Die Befragung findet auf Englisch statt, da es bei 780 Sprachen (22 offizielle) inklusive Dialekte und 86 Schriften in den 28 Staaten Indiens ansonsten zu Missverständnissen kommen könnte. Alle 100 Kilometer kann man in Indien auf eine neue Sprache treffen. Allein für „Schnee“ existieren 200 Worte. 250 Sprachen sind in den vergangenen 50 Jahren ausgestorben. Aber zurück ins Autohaus.
Mitarbeiter mit neun Jahren Erfahrung
Doch das 85. von insgesamt 200 Skoda Autohäusern in Indien ist nicht einfach nur ein Showroom zum Träumen, sondern Werkstatt, Servicezentrale und Waschanlage zugleich. Na gut, letztere ist eigentlich nur ein Beton-Separee neben dem Hauptgebäude, in dem in Zukunft ein paar Angestellte in Aktion treten. Die Werkstatt hingegen ist durchaus sehenswert. Erst recht, wenn man erfährt, dass sie in den oberen Etagen beheimatet ist. Während im ersten Stock gerade noch rechtzeitig fertig gestellte Büroräume inklusive Empfangsdame und Managern für diverse Fachbereiche zu finden sind, geht es den Fahrzeugen in den darüber liegenden Etagen ans Blech.
Mit zwei Gittertüren-Lastenaufzügen, die an alte Lagerhäuser in New York erinnern, geht es aufwärts. In den beiden oberen Etagen kümmern sich bis zu neun Werkstatt-Angestellte um die Fahrzeuge. Drei von ihnen arbeiten erst seit dem 6. Februar 2020 für Shailender Luthra, am längsten ist Elektriker Satender dabei. Auf seine neun Jahre Betriebszugehörigkeit folgen zwei weitere mit acht Jahren. An Erfahrung dürfte es hier zumindest nicht mangeln.
Schulungsräume und eigene Lackiererei./strong>
An frischer Luft hingegen schon. Nicht nur, dass die Luft generell in den Großstädten an vielen Tagen im Jahr höchst gesundheitsschädlich ist. In der Werkstatt fehlt es aktuell noch an Abluftventilatoren, so dass derzeit die per Schlauchsystem abgeführten Abgase vom Auspuff ungefiltert zurück in die Werkstatt strömen. Zumindest endet das Hauptabgasrohr in der Nähe eines Fensters. „Hier wird noch eine Pumpe installiert, welche die Abgase nach draußen hin ableitet“, heißt es verlegen seitens des Managements.
Neben den vier Hebebühnen sorgt im obersten Stockwerk allerdings eine Anlage auch bei Europäern für große Augen: die eigene Lackiererei. Auch wenn ein paar der Leuchtstoffröhren bereits ihren Dienst quittiert haben, scheint der neue Standort inmitten des Verkehrschaos so eine Art „Insel der automobilen Glückseligkeit“ zu sein. Hier gibt es alles und es soll auch alles gemacht werden können. Wenn alle guten Vorsätze und Ausbildungsankündigungen tatsächlich realisiert werden, gibt es neben den zufriedenen Kunden zumindest noch einen weiteren Gewinner: die Mitarbeiter.