Chinas ID.4-Konkurrent ist ein Ex-Verbrenner

Mit dem Seal hat der neue Elektro-SUV aus China weniger technische Gemeinsamkeiten, als die Optik vermuten lässt. Im Winter kommt er zu uns, in China stand er bereits für eine kurze Proberunde bereit.
BYD hat mit dem Seal einen Konkurrenten für Teslas Model 3 präsentiert, der auf der modernsten Plattform (e3) des chinesischen Marktführers aufbaut. Es gibt die viertürige Limousine aus der von BYD wegen ihres Designs als Ocean-Line bezeichneten Modellgruppe (Seal, Dolphin, Seagull) mit Hinterrad- und Allradantrieb.
(Erstmal) Vorderradantrieb
Die SUV-Version Seal U hingegen entsteht auf Basis des PHEV-Modells "Song". In einem Facelift verpassten die Chinesen die Ocean-Optik, eine Blade-Batterie im Fahrzeugboden und den elektrischen Frontmotor des Limousinen-Seal. Der schickt seine 160 kW (rund 218 PS) entsprechend an die Vorderräder. Eine Allradversion ist aber denkbar.
BYD wird für den Seal U zwei Akkugrößen anbieten. Mit 71,8 kWh kommt er laut BYD 420 Kilometer weit, mit 87 kWh sollen es 500 sein. Von 30 bis 80 Prozent soll die kleinere Batterie in 28, die große 29 Minuten schnellgeladen sein, wobei die Ladeleistung in der Spitze eher bescheidene 115 bzw. 140 kWh erreichen soll. BYD versichert aber, dass sie dafür nach dem schnellen Sprung aufs Maximum abfalle. Im angegebenen Bereich braucht der Seal U mit dem großen Akku also rund 12 Minuten, um 100 Kilometer nachzuladen.
Einen Verbrauchswert nennt BYD nicht, aber rechnerisch sollten es 17,1 bzw. 17,4 kWh/100 km sein. Das wäre ein guter Wert für einen so großen SUV. Der Seal U ist mit 4,785 Meter nur wenig kürzer als die fast gleichnamig Limousine, misst in der Breite 1,89 Meter und in der Höhe 1,67 Meter. Damit ist der Seal U 20 Zentimeter länger als ein VW ID.4, der Radstand ist mit 2,765 aber praktisch identisch.
Gute Platzverhältnisse, großer Kofferraum
Innen macht der Seal U einen guten Eindruck: Die Materialien wirken ansprechend, die Nähte akkurat, die Sitze bequem. Nur das Lenkrad ist leicht nach links versetzt – eine Petitesse, die der SUV mit dem flacheren Seal gemein hat. Die digitalen Instrumente vor dem Steuer sind dennoch gut ablesbar und auf der Mittelkonsole thront ein großer, rechteckiger Touchscreen, der sich mit Berührung des entsprechenden Symbols auf dem Display um 90 Grad drehen lässt und dann hochkant steht. Die Halterung wirkt dennoch überaus solide.
Im Fond sind die Platzverhältnisse prima: Passagiere mit 1,85 Meter Körpergröße haben hinten Reserven beim Knieraum, auch wenn vorne jemand gleicher Körpergröße sitzt. Auch über dem Kopf bleibt Luft; die Lehne steht relativ flach, lässt sich aber durch Ziehen an einer kleinen Schlaufe in mehreren Stufen steiler stellen. Das Glasdach bleibt auch dann auf Abstand und lässt Licht nach hinten. Der Kofferraum fasst laut BYD 570 Liter, bietet einen hochklappbaren Boden auf der Höhe der Ladekante; darunter bleibt Platz für ein Reifenpannenset, Warnwesten und Kleinkram.
Apropos darunter: Unter der Fronthaube wartet Platz für einen Frunk – aber bis jetzt nur das. Beim Öffnen dessen, was man bei Verbrennern meist als Motorhaube bezeichnete, fällt auch im auf elektrisch umgemodelten Song aka Seal U der Blick auf einen Motor. Über der E-Maschine ist richtig viel Raum, nur das Fach, in das man was reinlegen könnte, fehlt. Das werden die Chinesen bis zum Marktstart in Europa aber sicher fertig haben.
Probefahrt im Seal U auf abgesperrter Strecke
Den Seal U konnten wir auf einem Rundkurs außerhalb von Shenzen, dem Firmensitz von BYD, ausprobieren. Zum Vergleich stand der Limousinen-Seal bereit. Der ist kein Sportwagen, hält sich aber auch in schnell angegangenen Kurven wacker und seine Seitenneigung im Zaum – dabei hilft ihm sein dank schwerer Batterie zwischen den Achsen tiefer Schwerpunkt. Die Lenkung könnte etwas zielgenauer sein und wer die Elektrolimousine mit zu hoher Geschwindigkeit in Biegungen zwingt, den bremst sie ein, indem sie über die Vorderräder schiebt. Dafür ist die Traktion dank Hinterradantrieb gut, die Beschleunigung flott, wenn auch das Ansprechverhalten auf Gaspedalbewegungen anfangs ein wenig indifferent wirkt – der Vortrieb wirkt teils wie für Millisekunden unterbrochen, ein feines Ruckeln scheint zu spüren.
Das ist dem Seal U weitgehend fremd, dafür geht er weniger beherzt zur Sache – klar, der Heckmotor hat nahezu 100 PS mehr Leistung. Dennoch gerät der vorderradgetriebene SUV erheblich schneller an Traktionsgrenzen. Engagiertes Herausbeschleunigen aus Kurven mit einem Rest Lenkeinschlag quittiert er mit spürbarem Durchpfeifen des kurveninneren Reifens.
Sicher, aber wenig sportlich
Auch die anderen Gummis finden keine Freunde an dem kompakten Rundkurs, inniger Kontakt scheint vor allem bei Geradeausfahrt zu bestehen. Je größer Lenkbewegungen und Querbeschleunigung, desto mehr fühlen sich die Reifen an wie Marshmallows. Die Seitenneigung ist – wen wundert’s – ebenfalls deutlich spürbarer als in der Limousine. Dafür ist die Übersichtlichkeit besser und die Perspektive aus der höheren Sitzposition des SUV der Suche nach der richtigen Linie selbst durch einen abgesteckten Slalom dienlich. Davon abgesehen ist Wedeln vermutlich das Gegenteil von Paradedisziplin für den Seal U – was die erreichbaren Geschwindigkeiten angeht. Die Sicherheit ist weder in der Nähe der Pylonen noch sonst auf dem Kurs ein Thema. ESP und Vorderreifen bremsen den SUV rechtzeitig ein.
Außerdem bleibt der Seal U jederzeit sehr komfortabel und beschleunigt ausreichend. Bis 175 km/h, wie BYD angibt, was sich auf der überschaubaren Strecke allerdings nicht ausprobieren lässt. Die Bremsen geben auf der kurzen Proberunde keinen Anlass zur Klage, eine stärkere Rekuperation ließ sich auf die Schnelle leider nicht einstellen. Dafür ein Sport- und ein Ecomodus. Deren Wirkung auszuprobieren, bleibt aber einer längeren Testfahrt vorbehalten.
Marktstart und Preis des BYD Seal U
Bis BYD die ersten Seal U auf europäische Straßen bringt, wird wohl der Jahreswechsel rum sein. Bei den Preisen hält sich BYD noch bedeckt. Erste Nachfragen ergaben lediglich, dass der Basispreis des E-SUV unter 50.000 Euro liegt. Die Untergrenze setzt der etwa 60 Zentimeter kürzere, aber technisch modernere Atto 3 für 38.000 Euro. Zu vermuten ist, dass der Seal U mit der kleineren Batterie unter 45.000 zu haben sein wird. Zum Vergleich: Der VW ID.4 mit 77-kWh-Batterie kostet aktuell 46.335 Euro.