„Ich kann es mit jedem aufnehmen“
Carlos Sainz fand sich schnell in seiner neuen Heimat zurecht. Der Ferrari-Fahrer erzählt im Gespräch mit auto motor und sport, warum er sich so schnell anpassen kann, warum er vor den Topstars keine Angst hat und wo er sich verbessern will.
Haben Sie erwartet, sich so schnell an Ihr neues Team zu gewöhnen? Und dürfen sie jetzt sogar davon träumen, Charles Leclerc zu schlagen?
Sainz: Das Ziel ist für jeden Fahrer, der beste im ganzen Feld zu sein. Du willst nicht nur deinen Team.ollegen schlagen. Es war ein Neubeginn für mich mit vielen Fragezeichen. Ich wusste, dass ich gegen einen der schnellsten Fahrer im Feld antrete, wenn nicht sogar den schnellsten, und das in einem Auto, das Charles gut kennt und in einem Team, in das er gut integriert ist. Da fragst du dich schon, wie du dich da einfügst. Aber ich kann nach einer halben Saison sagen, dass ich happy bin, wie ich mit der Aufgabe zurechtgekommen bin. Der Speed war von Anfang an da. Ich muss aber noch daran arbeiten, regelmäßig ein ganzes Wochenende alles richtig zu machen. Diese Beständigkeit bringt dir die Punkte. Ich hoffe, dass sich das verbessert, je enger ich mit dem Team zusammenwachse. Die letzten Wochenenden seit dem GP Frankreich ist mir das schon gut gelungen.
Sie haben diesen Anpassungsprozess schneller als ihre Kollegen hinter sich gebracht. Ist das eine Frage des Alters?
Sainz: Ich konnte mich immer gut anpassen. Schon seit meiner Jugend. Es war mir immer eine Herausforderung, mit einem neuen Auto oder in einer anderen Rennkategorie so schnell wie möglich schnell und heimisch zu sein. Das ist Teil meiner DNA. Mir half auch die Erfahrung. Ich habe jetzt schon drei Mal das Team in der Formel 1 gewechselt, und ich weiß, wie groß diese Aufgabe ist. Deshalb habe ich sie nicht unterschätzt. Ich hatte meine Tiefpunkte beim Wechsel von Toro Rosso zu Renault und Renault zu McLaren. Es kann einige Rennen dauern, bis man mit einem neuen Auto zurechtkommt und das Maximum herausholt. Ich habe schon bei meinen früheren Wechseln darüber gesprochen, aber keiner hat mir so richtig geglaubt. Alle haben gesagt, das muss man als Formel-1-Fahrer können. Da wechselt man immer mal das Team. Aber es ist den Leuten erst jetzt so richtig bewusst geworden, weil gleich vier, fünf Leute das Team gewechselt haben und nicht direkt so schnell wie ihre Team.ollegen waren. Jetzt hat jeder verstanden, dass es nicht so einfach ist. Speziell, wenn du gegen Kollegen fährst, die das Team und das Auto gut kennen.
Welchen Einfluss hatte Ihr Vater?
Sainz: Es ist unvermeidbar, dass ich ein ähnlicher Charakter und Fahrer geworden bin wie mein Vater. Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht. Er war mein Ratgeber, mein Mentor. Da ist es logisch, dass man sich viele Dinge abschaut. Als ich älter wurde, habe ich festgestellt, dass ich vom Charakter eher meiner Mutter gleiche. Aber beim Autofahren war mein Vater das Vorbild. Er hat mir immer gesagt, dass man den Rennsport genießen muss, wenn man eine lange Karriere haben will. Er ist jetzt 60 und fährt immer noch Rennen und will die Dakar-Rallye gewinnen. Ich liebe Motorsport und alles, was ein Lenkrad und zwei Pedale hat. Egal ob auf der Straße, auf Sand oder Eis. Ich bin früher neben Go-Karts auch Rallyeautos gefahren. Mein Vater hat mir beigebracht, wie ich meinen Fahrstil ändern oder anpassen muss um schneller zu werden. Er ließ mich im Kart mit Slicks im Regen fahren. Er hat mich animiert mit Reifen.rücken und Setups herumzuspielen. So habe ich gelernt flexibel zu sein.
Ist der Ferrari ein Auto, das grundsätzlich zu ihrem Fahrstil gepasst hat?
Sainz: Der Test im Januar mit einem älteren Ferrari hat insofern geholfen, dass ich mich an das Lenkrad und die Ingenieure in meinem Team gewöhnen konnte. Aber Fiorano ist eine sehr enge Strecke, das Auto war drei Jahre alt und du fährst auf Demo-Reifen. Aber du kannst nicht allzu viel über die Charakteristik eines Autos lernen. Ja, ich habe mich gut angepasst, aber es gibt noch viele Dinge zu verbessern. Es geht nicht nur um das schnelle Fahren. Ich bin in fast jedem Rennen einmal auf den Speed gekommen, den ich haben wollte. Wichtig ist es aber, diesen Speed das ganze Wochenende abzurufen. Das ist mein Ziel für die zweite Saisonhälfte.
Der Ferrari bewegt sich in diesem Jahr zwischen zwei Extremen. Man kann mit ihm gewinnen und aus den Punkterängen fliegen. Hängt das nur an den Problemen mit den Reifen.
Sainz: Es ist komplizierter als nur die Reifen. Die Streckencharakteristik bestimmt unseren reinen Speed auf eine Runde. Der Reifen unsere Leistung im Rennen. Unser Auto ist gut in langsamen Kurven. Je langsamer, desto besser. Deshalb waren wir in Monaco und Baku stark. Andererseits hängen wir in allen Bereichen, in denen Motorleistung entscheidend ist, noch hinterher. Daran arbeiten wir für 2022. Aber wir haben da im Vergleich zu 2020 schon sehr gute Fortschritte gemacht.
Früher hatte die Team. fast jedes Rennen ein Upgrade. Jetzt müssen Sie mit dem klarkommen, was da ist. Was ist das für ein Gefühl?
Sainz: Es ist in dieser Hinsicht eine interessante Saison. Ich liebe diese Herausforderung aus einem bestimmten Paket durch unterschiedliche Fahrzeugabstimmungen oder Setup-Kombinationen mehr Rundenzeit herauszuholen. Egal, ob das im Simulator oder in den freien Trainingssitzungen ist. Früher bist du eine Standardabstimmung gefahren und hast auf die Upgrades gewartet, die das Auto schneller machen sollten. Wir hatten dieses Jahr auch einige Entwicklungsstufen, aber der größte Fortschritt kam durch das Optimieren des Setups, durch das Verständnis der Reifen und durch das perfekte Umsetzen des Potenzials in der Qualifikation und im Rennen. Das kann dir die entscheidenden ein oder zwei Zehntel bringen.
Hat Ferrari die beste Fahrerpaarung im Feld, wie von Ihrem Team.hef behauptet?
Sainz: Wir liegen sehr eng zusammen und treiben uns von ersten Training zu besseren Rundenzeiten an. Ich weiß, wie stark Charles ist. Das hat mein eigenes Niveau verbessert, weil ich Charles schlagen will. Ich habe immer noch nicht das Gefühl, dass ich so konstant fahre wie 2019 und 2020. Es gibt immer noch ein paar Punkte, die ich verbessern will und muss. Aber wenn es bei mir mal schiefläuft, ist Charles da und im umgekehrten Fall ich. Das macht uns als Team so stark.
Sie kommen mit ihren Team.ollegen immer gut aus. Hilft das, um sich im Team besser zu integrieren?
Sainz: Das hat nichts mit einer Strategie zu tun. Ich komme nicht in ein neues Team mit Vorurteilen oder Animositäten über den Team.ollegen. Ich gehe da offen rein. Es ist wichtig, den Job zu genießen. Wenn ich es genieße, ist meine Leistung besser. Warum soll ich mich mit meinen Team.ollegen anlegen? Das bringt mir nichts. Es funktioniert besser, wenn man zusammen über Dinge lachen und über gute und schlechte Runden in der Qualifikation scherzen kann. Wenn wir beide in die gleiche Richtung arbeiten, ist die Atmosphäre im Team besser und wir kommen schneller voran. Charles ist ein guter Typ. Wir haben die gleichen Interessen und die gleichen Ziele. Deshalb kann man mit ihm gute Gespräche haben und zusammen Sport machen oder Schach spielen. Er ist nicht nur schnell, er zeigt auch viel Respekt seinem Team.ollegen gegenüber. Es ist einfach, gut mit ihm auszukommen.
Alonso war früher Ihr Idol. Könnten Sie ihn sich als Team.ollege vorstellen, obwohl man weiß, dass er alles im Team für sich beansprucht?
Sainz: Ich komme mit jedem Fahrer klar. Ich hätte nichts dagegen, Team.ollege von Fernando zu sein. Da wir uns in unterschiedlichen Stadien unserer Karriere befinden und in unterschiedlichen Team. fahren, ist die Chance dafür eher gering.
Sie sind im Gegensatz zu Leclerc, Norris oder Verstappen kein passionierter Sim-Racer. Glauben Sie, dass Ihnen das Nachteile bringen könnte?
Sainz: Ich bin kein Sim-Racer, weil ich schon viel Zeit im Simulator des Team. verbringe. Ich investiere meine Zeit lieber darin, mit dem Auto zu arbeiten, dass ich nächstes Wochenende oder nächstes Jahr fahren werde. Ich fahre das 2022er-Auto seit Januar im Simulator, um dem Team bei der Entwicklung zu helfen. Die Simulatoren für Computerspiele sind bei weitem nicht so komplex oder so realistisch wie die in den Formel-1-Fabriken. Deshalb nutze ich meine Freizeit lieber dafür zu entspannen oder Freunde zu treffen. Ich habe schon an virtuellen Rennen teilgenommen, speziell während des Lockdowns, und war noch nicht einmal so schlecht dabei, aber während einer Saison sitze ich so viel im Simulator, dass ich außerhalb meines Arbeitslebens etwas anderes machen will.
Sie sind im gleichen Team gegen Verstappen, Norris und Leclerc gefahren. Alle drei werden als Superstars gehandelt. Fühlen Sie sich unterschätzt?
Sainz: Wenn du einen Ferrari-Vertrag unterschreibst, musst du etwas in deiner Karriere richtig gemacht haben. Ich habe mich bei allen Team., von Toro Rosso über Renault bis McLaren immer geschätzt gefühlt, auch als ich sie verlassen habe. Wenn die Öffentlichkeit meint, ich stehe da im Schatten, frage ich mich warum. Egal gegen wen ich bis jetzt gefahren bin, ob Max, Nico, Lando oder Charles, ich hatte nie das Gefühl langsamer als sie gewesen zu sein oder etwas nicht zu können, was die können. Ich habe alle schon geschlagen und sie immer ans Limit getrieben. Ich sehe das als Ritterschlag. Max, Lando und Charles zählen zu den Top-Leuten im Feld, auch nach meiner eigenen Einschätzung. Ich mag die Herausforderung, gegen sie zu fahren. Und sie haben mich zu einem besseren Fahrer gemacht. Das hat mir auch das Selbstvertrauen gegeben, dass ich es mit jedem aufnehmen kann, als ich zu Ferrari kam. Wenn ich mich richtig im Team integriere und das Auto richtig abstimme, muss ich vor niemandem Angst haben.
Wie sehen Sie die Formel 1 der Zukunft im Zeichen des Klimawandels?
Sainz: Das ist spezifisch schwer zu beantworten. Wir sollten auf jeden Fall relevant für die Serie bleiben. Ich glaube, dass die aktuellen Hybridantriebe unterschätzt werden. Es wird viel zu wenig darüber gesprochen, wie effizient diese Motoren sind. 2013 haben sie für eine Renndistanz 180 Kilogramm Benzin verbrannt. Heute brauchen wir 100 Kilogramm für die gleiche Distanz, aber mit viel mehr Power. Okay, wir haben den Sound ein bisschen verloren, und Nostalgikern wie mir tut das ein bisschen weh, aber es geht darum den besten Kompromiss zu finden und das Beste aus beiden Welten herauszuholen.
Sollte man den Sound künstlich erzeugen?
Sainz: Der Sound ist nicht mehr so spektakulär wie er einmal war. Als ich im Alter von 10 Jahren zum ersten Mal bei einem Formel-1-Rennen war, hatte ich fast Angst, so laut waren diese Motoren. Ich konnte nicht verstehen, wie etwas so viel Lärm machen kann ohne zu explodieren. Dieses Gefühl ist heute nicht mehr da. Doch diese Motoren sind beileibe nicht leise. Ich brauche in der Garage immer noch Ohrenstöpsel. Der Sound ist nicht so schlecht, wie er gemacht wird, er erzeugt aber auch nicht mehr eine Gänsehaut so wie früher. Man sollte den Sound aber nicht überbewerten. Wenn mehrere Team. um den Titel und Siege fahren, wenn sich die Fahrer bis zur letzten Runde gegenseitig überholen können, dann ist alles andere vergessen. Das wichtigste ist, die Rennen so aufregend wie möglich zu gestalten. Alles andere ist Beiwerk.