Chinesische E-Auto-Startups
Sie heißen Byton, Nio oder Aiways , sind oft jünger als fünf Jahre und wollen doch mit E-Autos die Welt erobern: Die Elektroauto-Bauer aus China – oder mit chinesischer Beteiligung. Ein Überblick.
Erinnern Sie sich noch an Landwind? Nicht den in der Lüneburger Heide, sondern den Jinagling Landwind aus China. Ein Geländewagen, dessen Crahstest-Ergebnisse hierzulande suggerierten, die Insassen hätten beim Sprung aus dem 5. Stock bessere Überlebenschancen als beim Frontal-Crash in dem Fahrzeug. Solche Versuche machten es Europäern lange leicht, bei Autos aus China schnell abzuwinken. Aber besagter Crashtest war 2005.
Seitdem haben chinesische Autobauer viel dazugelernt, teils bei Joint Ventures mit deutschen Autobauern. Der klägliche Marktstart von BMWs China-Partner Brilliance in Deutschland zeigte, dass auch das nicht immer zum Ziel führte. Eine wahre Gründungswelle von Autobauern löste der Technologie-Wechsel zum Elektroantrieb aus, den der chinesische Staat stark förderte. Daher sind die Chinesen bei der Herstellung von Akkus mit Unternehmen wie CATL ganz weit vorn. Und weil die Batterie-Technologie das wichtigste für E-Autos ist, machen auch die Fahrzeughersteller große Sprünge. Für Design und Hardware drum herum verpflichteten die Start-ups reihenweise Manager von europäischen Herstellern.
New Energy Automobile Group – Riesen-Joint-Venture, fünf Millionen E-Autos
In eine neue Dimension stößt die die Autotochter eines Immobilienkonzerns vor: Die New Energy Automobile Group von Evergrande, so der Name des Unternehmensgiganten (Nettogewinn 2018: rund 9 Milliarden Euro), hat am 26. September eine strategische Vereinbarung über Entwicklung und Design von Fahrzeugen mit den deutschen Automobiltechnikunternehmen FEV Group, EDAG und IVA Group sowie Österreichs AVL und Kanadas Magna unterzeichnet. Innerhalb von zehn Jahren will man fünf Millionen E-Autos verkaufen und so in den nächsten drei bis fünf Jahren das weltweit größte Elektroauto-Unternehmen werden. 8.000 Experten und Spezialisten sollen eingestellt werden, um 15 neue Modelle zu entwickeln, wie unter anderem das Handelsblatt berichtet. Die sollen vom Ultra-Luxus-Segment, über Luxus- bis zur Mittelklasse reichen.
Die Unternehmen der Kooperationsvereinbarung beschäftigen sich mit Automobilforschung und -konstruktion, insbesondere in den Bereichen Fahrwerk, Antriebsstrang, elektrische und elektronische Architektur, Fahrzeugintegration sowie Interieur – was man halt so braucht, um Autos zu bauen. Die Firmen haben ihre Expertise in Jahren der Entwicklungsarbeit für Hersteller wie Ferrari, Porsche, BMW, Mercedes-Benz, Audi, Toyota und Ford unter Beweis gestellt.
Schon Erfahrungen mit Elektro-Saab 9-3
Evergrande selbst betreibt in China bereits Produktionsstätten – in Guangzhou, Shanghai, Tianjin und Shenyang. Dort baut das Unternehmen alle Modelle seiner Marke Hengchi. Technologisch hat Evergrande schon vorher durch Zukäufe und Kooperationen Knowhow erworben: Den Investitionsvertrag mit dem E-Auto-Start-up Faraday Future haben die Chinesen zwar im Oktober 2018 aufgehoben aber Anfang 2019 hat Evergrande laut Medienberichten die Mehrheit am Elektroauto-Hersteller NEVS übernommen und wollte rund zwei Milliarden Dollar in das Unternehmen investieren. NEVS baut eine offenbar vor allem in China beliebte Elektroversion des einstigen Saab 9-3. Als mittelfristiges Ziel war eine Jahresproduktion von bis zu 220.000 Autos im Gespräch.
Welche Goldgräberstimmung auf dem E-Auto-Markt herrscht, zeigt ein Statement von Xu Jiayin, Vorstandsvorsitzender der Evergrande Group. Das Handelsblatt zitiert den chinesischen Manager so:
„Inzwischen gibt es eine gut dreistellige Zahl von E-Auto-Startups in China. Welche davon überleben, hängt nicht von der Technik, sondern vor allem von den finanziellen Mitteln ab. Ein kleiner Überblick, welche E-Autos auf uns zurollen könnten.
Aiways – solides Produkt, stabile Finanzierung
Auch Aiways setzt auf europäisches Knowhow. Allerdings geht es in diesem Fall eher um chinesische Führungskräfte, die bei namhaften Autoherstellern Erfahrungen gesammelt haben. Die Aiways-Gründer Fu Qiang und Gu Feng, aber auch Entwicklungschef Wang Dongchen, Forschungsleiter Wu Wei, Produktionsdirektor Wu Jun und zahlreiche andere Führungskräfte haben zuvor bei etablierten Autoherstellern wie Volkswagen, Volvo, GM oder den chinesischen Herstellern SAIC oder FAW gearbeitet, mit denen der Volkswagen-Konzern seine Joint-Ventures zur Produktion in China hat. Investitionen über umgerechnet mehrere 100 Millionen Euro durch staatliche Fonds sind bekannt. Aber da Aiways auf gut 633.000 Quadratmetern eine hochmoderne Fabrik in Shangrao aus dem Boden gestampft hat, steht zu vermuten, dass der chinesische Staat selbst das Unternehmen stützt. Denn in Shangrao, einer Millionenstadt etwa 350 Kilometer südwestlich von Schanghai, entsteht ein riesiges Industriekonglomerat auf Initiative der chinesischen Staatsregierung. Dort sollen demnächst eine Million Fahrzeuge entstehen. Natürlich alle mit Elektroantrieb, denn Shangrao soll Keimzelle der Elektromobilität für China und den Export in den Westen werden – via Seidenstraße.
Die nahm das erste Modell von Aiways, der U5, vorsorglich schon mal unter die Räder, um öffentlichkeitswirksam zur Eröffnung der IAA in Frankfurt einzutreffen. Für die 53 Tage mit zwei Prototypen heimste das Start-up gleich einen Guiness-Rekord ein. auto motor und sport konnte die Fahrt zeitweilig am Steuer begleiten.
Dabei und bei einem Studiotermin fiel der Erstkontakt mit dem Elektro-SUV U5 überaus positiv aus. 2020 soll er auch in Europa zu haben sein – via Internetvertrieb oder in Pop-up-Stores, zu Preisen ab 35.000 Euro.
Byton – rollende Smartphones, aber wann?
Auf der IAA stellte auch Byton sein erstes Serienauto vor, natürlich mit E-Antrieb und ebenfalls einen SUV. Der M-Byte verblüffte schon als Concept mit einem Display im King-Size-Format: 1,25 Meter breit und 24 Zentimeter hoch spannt er sich vor dem Lenkrad über die Breite der gesamten Windschutzscheibe (darunter). Byton sieht (vor allem die autonomen) Autos der Zukunft als rollende Smart-Devices, in denen Inhalte eine zentrale Rolle bei der Wertschöpfung spielen werden.
Getragen wird die Vision auch hier von erfahrenen europäischen Automobil-Managern. Zu Beginn war Ex-BMW-i8-Entwickler Carsten Breitfeld CEO, jetzt ist es Mitgründer Daniel Kirchert (vorher ebenfalls bei BMW, später Infiniti), die technische Entwicklung verantwortet David Twohig, der zuletzt nach 26 Jahren bei Renault die Alpine A110 zur Serienreife brachte. Tatsächlich macht auch der M-Byte beim Erstkontakt einen sehr ausgereiften und durchdachten Eindruck.
Was die Finanzierung angeht, ist über die Summen nichts exaktes bekannt, aber die Investoren klingen vielversprechend. So sollen unter anderem der Apple-Auftragsfertiger Foxconn, Chinas Internetriese Tencent, der chinesische Batteriehersteller CATL dazugehören sowie der Autohersteller und VW-Kooperationspartner FAW. Mit der offenbar gerade stockenden nächsten Finanzierungsrunde mit maßgeblicher Beteiligung von FAW sollen 500 Millionen Dollar eingesammelt werden, danach soll der Unternehmenswert bei 2,5 Millarden Dollar liegen. Byton hat das gleiche Problem wie viele andere chinesische E-Auto-Hersteller: Wegen geringeren staatlichen Förderungen ist der Absatz von Elektroautos erstmals seit Jahren rückläufig.
Auf dem künftigen Fabriksgelände in Nanjing steht bereits eine erste Produktionsstraße für den Prototypen-Bau. Geplant ist im Endausbau eine Produktionskapazität von 300.000 Autos jährlich, bislang peilte Byton ab 2023 Vollauslastung an. Erste Auslieferungen in China waren Ende 2019 geplant, aktuell könnte es doch eher Anfang 2020 werden. Der Marktstart in Europa und den USA soll allein wegen der Anpassung von digitalen Services und Inhalten an nicht-chinesische Anbieter bis 2021 dauern. Immerhin gibt es schon einen Preis: Bei gut 53.500 Euro soll es losgehen.
Faraday Future – nichts außer Showcars
Das eigentlich kalifornische Start-up fiel vor allem als Ankündigungsweltmeister, durch viele Querelen und die klassischen Geldsorgen auf. Über die Finanzen kommt auch die Verbindung nach China: Haupt-Geldgeber war lange Jia Yueting, Gründer des chinesischen Medienunternehmens LeEco – und von LeSee, einem – das erraten Sie nie – E-Auto-Start-up in China (2016). Das war offenbar so kostspielig, dass Yueting als Financier bei Faraday Future aussteigen musste. In die Bresche sprang im Juni 2018 der chinesische Konzern Evergrande (s.o.) und übernahm anscheinend eine Beteiligung von gut 40 Prozent – nur um im Oktober darauf wohl (zumindest teilweise) wieder auszusteigen.
Ob die Verpflichtung von Carsten Breitfeld als CEO (September 2019) da ein gutes Zeichen ist? Der Ex-BMW-Mann hatte Byton verlassen, ehe es dort an die Markteinführung ging. Die für wenigstens das erste Modell, den E-SUV FF91 fehlt Faraday Future ebenfalls. Gut möglich, dass das Unternehmen bald von der Bildfläche verschwindet, auch wenn Carsten Breitfeld behauptet, dass 92 Prozent der Teile für den FF91 beschafft seien und das Auto damit kurz vor der endgültigen Produktion stehe – eineinhalb Jahre nach dem ursprünglich geplanten Marktstart.
Lucid Motors – arabischer Geldsegen, aber dann?
Das chinesisch-amerikanische Start-up Lucid Motors kommt eigentlich aus dem kalifornischen Newark. Ziel der Gründung 2007 ist die Herstellung von Elektroautos. Geld bekam die Firma unter anderem von Tsing Capital (Teil der Tsinghua Holdings Corp., die wiederum eine Tochter der staatlichen chinesischen Tsinghua-Universität ist), vom chinesischen Mischkonzern LeEco (siehe Faraday), von den japanischen Finanzdienstleistern Sumitomo Mitsui Banking Corporation und JAFCO und vom kalifornischen Investor Venrock. Seit September 2018 sind die Geldsorgen kleiner: Damals stieg der saudi-arabische Staatsfonds PIF (Public Investment Fund of Saudi Arabia) ein. Medienberichte zufolge soll Lucid das mehr als eine Milliarde Dollar gebracht haben.
Der erste Prototyp von Lucid Motors namens Air stand auf der L.A. Motorshow 2016. Eine Leistung von 1.000 PS und eine 130 kWh starke Batterie für eine Reichweite von über 640 Kilometern klangen damals mehr als heute imposant. Als Beschleunigungszeit bis 100 km/h versprach Lucid 2,5 Sekunden.
Zum Entwicklungsteam von Lucid Motors gehören Ingenieure, die vorher unter anderem bei Tesla und Mazda gearbeitet haben. Der ehemalige Chef-Entwicklungsingenieur des Tesla Model S, Peter Rawlinson, kündigte im Februar an, das Angebot nicht nur auf ein Auto zu beschränken. Während der Air je nach Ausführung 60.000 bis 150.000 Dollar kosten soll, will Rawlins danach ein kleineres Premium-E-Auto für 30.000 Dollar anbieten.
Lucid Motors hieß früher Atieva begann vor etwa zehn Jahren mit der Entwicklung einer Batterie, seit 2014 an einem eigenen Auto. Eigentlich sollte der Bau einer Fabrik in Arizona schon 2017 beginnen; die Produktion der Limousine soll nach aktuellen Plänen 2020 anlaufen.
Die Erfolgsaussichten sind trotz des Geldregens aus Saudi-Arabien ungewiss: Eine Limousine statt eines SUV verspricht genauso wenig nachhaltigen Erfolg wie die Auslegung der Fabrik auf eine Jahresstückzahl von lediglich 20.000 – wie soll damit das Investment wieder eingespielt werden?
MG – kein Startup, aber E-Autos
Das einst britische Traditionslabel gehört seit 2007 zur Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC). Der chinesische Autohersteller fertigte bereits 2015 rund sechs Millionen Autos, unter anderem in Joint-Ventures mit GM und Volkswagen. Kein Wunder also, dass Autos von MG einen hohen Reifegrad haben. Und über die Kapitaldecke muss in dem Fall nicht gesprochen werden.
Seit kurzem hat MG auch einen Elektro-SUV im Programm, der 2020 zu Preisen von 30.000 bis 32.000 Euro in Europa zu haben sein soll – nicht schlecht für ein E-SUV im Tiguan-Format. Dafür ist allerdings die Batterie etwas kleiner (gut 44 kWh). Das reicht grade mal für 265 Kilometer WLTP-Reichweite, was ziemlich genau der des Elektro-Kleinwagens VW eUp entspricht. Er und seine Konzernverwandten (Skoda Citigo e-IV und Seat Mii electric) kosten nur um 21.000 Euro. Fancy Features außer E-Antrieb sucht man im MG EV genauso vergebens, wie in den elektrischen Kleinwagen des VW-Konzerns.
Nio – gute Produkte, aber Geldprobleme
Bestes Beispiel für die Wichtigkeit des Kapitals: Nio. Das Unternehmen hat bereits 2017 seinen SUV ES8 mit Wechsel-Akkutechnik vorgestellt und das Auto in China bereits gut 10.000 Mal verkauft, mit dem Sportwagen EP9 einen Rundenrekord auf der Nordschleife aufgestellt, ein kleineres SUV (ES6) marktreif und die Vision einer Elektrolimousine auf der Messe Shanghai präsentiert, wo der Stand auch zum Besuchsziel von VW-Experten wurde. Erste Erfahrungen mit den E-SUVs verliefen überaus positiv. Und doch berichten Wirtschaftsmedien aktuell über eine bedrohliche finanzielle Schieflage: Angeblich reicht das Geld nur mehr für ein paar Wochen.