Strafzahlungen für Autobauer ausgesetzt
Die Europäische Union hat eine zentrale Änderung ihrer Klimapolitik im Verkehrssektor beschlossen. Autohersteller dürfen ihre CO₂-Ziele künftig über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg erfüllen, statt – wie bisher – jährlich Rechenschaft ablegen zu müssen.
Das Europäische Parlament stimmte der entsprechenden Änderung am Donnerstag (8.5.2025) mit großer Mehrheit zu. 458 Abgeordnete votierten dafür, 101 dagegen, 14 enthielten sich.
Mit dieser Entscheidung folgt das Parlament einem Vorschlag der EU-Kommission, der bereits am 7. Mai vom Rat der Mitgliedstaaten gebilligt worden war. Die Maßnahme ist Teil eines industriepolitischen Pakets, das die Kommission Anfang März vorgestellt hatte, um die europäische Automobilbranche angesichts rascher technologischer Umbrüche, stagnierender E-Auto-Verkäufe und wachsender Konkurrenz aus China und den USA zu stabilisieren.
Die zentrale Neuerung besteht darin, dass Hersteller ihre CO₂-Emissionen für die Modelljahre 2025, 2026 und 2027 künftig mitteln dürfen. Eine Überschreitung im einen Jahr kann also durch bessere Werte in einem der Folgejahre ausgeglichen werden. An den Grenzwerten selbst ändert sich nichts: Für Pkw gilt seit Januar 2025 ein Emissionsziel von 93,6 Gramm CO₂ pro Kilometer. Dieses Ziel ergibt sich aus dem bereits 2019 beschlossenen Reduktionspfad, der für den Zeitraum 2025 bis 2029 eine jährliche Minderung um 15 % gegenüber dem Ausgangsjahr 2021 vorsieht.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, hatte bereits Ende Januar auf einem strategischen Branchendialog erklärt, dass ihre Behörde der Industrie "mehr Spielraum und Klarheit" einräumen wolle. Die Lockerung sei ein Beitrag zur Planungssicherheit – kein Ausstieg aus den Klimazielen. Der Vorschlag zur Änderung wurde schließlich am 5. März 2025 formell eingebracht und nun innerhalb weniger Wochen im Eilverfahren verabschiedet.
Konkret bedeutet die Neuregelung:
- Hersteller müssen CO₂-Grenzwerte für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge im Durchschnitt über drei Jahre einhalten.
- Strafzahlungen drohen nicht mehr automatisch bei Zielverfehlung in einem einzelnen Jahr.
- Die bisherigen Zielvorgaben – 15 % CO₂-Reduktion gegenüber 2021 – bleiben bestehen.
- Eine Gesamtbilanz für die Jahre 2025 bis 2027 wird erst 2028 gezogen.
Die Maßnahme wurde von der Industrie begrüßt. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sprach von einem "wichtigen Signal für Investitionen und Arbeitsplätze". Die Branche sei in einer Übergangsphase, und viele Unternehmen hätten aktuell mit geringen Absatzmengen, Lieferengpässen und hohen Kosten zu kämpfen. Der Verband verwies zudem auf die starke internationale Konkurrenz, insbesondere durch chinesische Hersteller, die in Europa zunehmend Marktanteile gewinnen.
Auf Kritik stößt die Entscheidung hingegen bei Umweltverbänden, Klimaexperten und Teilen der politischen Opposition. Sie befürchten, dass der Druck auf die Autohersteller sinkt, zügig klimafreundliche Modelle in den Markt zu bringen. Der Verkehrsforscher Felix Creutzig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung warnte bereits vor der Abstimmung im Parlament, die Flexibilisierung könne zu einem Mehrausstoß von rund 30 Millionen Tonnen CO₂ bis 2030 führen. Der Flottengrenzwert sei das zentrale Steuerungsinstrument im Klimaschutz für den Verkehrssektor. Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sprach von einem Rückschlag für die E-Mobilität in Europa.
Hintergrund der Maßnahme ist ein sich verschärfendes Spannungsfeld zwischen klimapolitischem Anspruch und ökonomischer Realität. Die Verkaufszahlen für Elektrofahrzeuge liegen derzeit deutlich unter den Erwartungen. In vielen EU-Staaten – darunter auch Deutschland – wurden Kaufanreize zuletzt gekürzt oder gestrichen. Der europäische Marktanteil von E-Autos beträgt aktuell rund 15 Prozent, deutlich weniger als das ursprünglich angestrebte Viertel bis Ende 2025.
Die nun beschlossene CO₂-Regelung ist Teil eines umfassenderen industriepolitischen Ansatzes. Die Kommission plant darüber hinaus gezielte Maßnahmen zur Förderung autonomer Mobilität, zur Verbesserung der Ladeinfrastruktur und zur Einführung sozial gestaffelter Leasingmodelle für Elektrofahrzeuge. Mit Blick auf das Verbrenner-Aus ab 2035 kündigte von der Leyen zudem eine beschleunigte Überprüfung der geltenden Vorschriften an – unter Betonung der Technologieneutralität. Auch hier könnte es künftig zu Anpassungen kommen.
Noch ist offen, wie stark die neue Flexibilität in der Praxis genutzt wird. Klar ist jedoch: Die EU versucht, den Spagat zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit neu auszutarieren – und geht dabei politisch wie wirtschaftlich ein hohes Risiko ein.
In der Fotoshow zeugen wir Ihnen die aktuelle CO₂-Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2023.