Aktuell auf Höhenflug
Immer mehr Campingbusse tragen Brille und haben eine Pflaume an der Nase. Aber warum hat der Ford Transit Custom gerade so einen Höhenflug? Eine Spurensuche.
Seit 1965 transportiert der Ford Transit Menschen und Material. Schon wenig später bekommt er die ersten Möbel implantiert, Plastikfenster eingeklebt und Schlafdächer aufgesetzt. Seitdem ist der Transit fester Bestandteil der Van-Bewegung. Aber seien wir ehrlich: Wer sich einen VW-Bus leisten konnte (oder später einen Mercedes), schaute immer ein wenig verächtlich hinüber zu Fords mittelgroßem, einst eher rustikalem Transporter. Doch die Gewissheit, für deutlich weniger Geld das deutlich größere Auto gekauft zu haben, war stets der Schutzschild der Transitisten gegen alle Angriffe. Wäre nur das Blech der Generationen vor 2006 schon so resistent gegen Streusalzgewesen ...
2013, mit dem Start der Transit-Generation fünf, machte Ford aus dem einen Transporter für alles zwei eigenständige Baureihen: den großen Transit in der 3,5-Tonnen-Klasse und den neuen, etwas kleineren Transit Custom. Um mit VW T5 und Mercedes Vito konkurrieren zu können, schliff Ford seinen Transporter vom Quader hinunter auf eine gefälligere, aber etwas weniger nutzwertorientierte Keilform mit schmalerem Dach.
Nichts illustriert diese Schrumpfkur besser als die Dachbettbreite im Campingbus-Klassiker Ford Nugget: In den Modellen der Baujahre 2000 bis 2013 maßen die Matratzen noch 1,56 Meter Breite, in den späteren Modellen bis heute nur noch 1,38 – was aber immer noch mehr ist als bei vielen Konkurrenten.
Verbesserung bei der Abfederung
Unter die spitze Nase zogen anno 2013 moderne, kultivierte, aber unter 2000 Umdrehungen beinahe asthmatische 2,2-Liter-Vierzylinder-Euro-5-Diesel des französischen PSA-Konzerns ein, ins Cockpit die zeitgenössische Moderne. Und die ging bei Ford einher mit einem Wust an Knöpfchen und Tastern. Obwohl es bei Blattfedern an der Hinterachse blieb, federte der neue Custom feinfühliger als sein Vorgänger. 2018 renovierte Ford den Wagen noch einmal gründlich. Und seitdem scheint es, dass die Verkaufszahlen förmlich explodieren. Achten Sie mal darauf, wie oft Ihnen im Alltag die markante LED-Brille rund um die großen Klarglasscheinwerfer begegnet, die es auch als empfehlenswerte Bi-Xenon-Variante gibt.
Dass der Transit und sein Luxusbus-Bruder Tourneo Custom trotz unveränderter Karosserie einen zweiten Frühling erleben, hat nicht allein mit dem Boom von Campingbus & Co. zu tun. Vielmehr hat Ford bei der jüngsten Modellpflege konsequent Kritikpunkte des Vorgängers eliminiert und zudem in Sachen Komfort und Assistenz kräftig aufgerüstet.
Da wären zum einen die neuen Zweiliter-Diesel mit 105, 130, 170 und 185 PS. Trotz des kleineren Hubraums legen sich die Motoren, anders als ihre Vorgänger, schon knapp über Standgas kräftig ins Zeug, arbeiten sich leicht und angenehm leise die Drehzahlleiter empor. Schon die 130-PS-Variante stemmt 360 Newtonmeter Drehmoment auf die Kurbelwelle, der Topdiesel legt nochmal 55 drauf. Die 130- und 185-PS-Versionen mit Euro 6c sind bei vielen Ausbauern die einzigen verfügbaren Maschinen. Beide sind alternativ zum gleichwohl exakten wie leichtgängigen Sechsgang-Schaltgetriebe auch mit einer sechsstufigen Wandlerautomatik zu haben. Im Vergleich zu moderneren Automatikgetrieben mit sieben bis zehn Gängen sind die Sprünge zwischen den Fahrstufen hier noch groß, weswegen das rund 2000 Euro teure Getriebe häufiger als andere im Wandleröl quirlt, doch an die teils gummiartigen Schaltvorgänge gewöhnt man sich – und an den hohen Fahrkomfort noch schneller.
Manuelle Gangwahl
Und für alle Fälle gibt es noch den manuellen Modus für die Gangwahl per Schaltwippe. Der taugt auch, um auf der Autobahn voreiliges und unnötiges Zurückschalten aus dem langen Sechsten zu unterbinden. Das Temperament des Top-Motors zügelt die Automatik dabei nur unwesentlich, die Anhängelasten sehr wohl. Wer schwere Trailer ziehen will, muss die Datenblätter wälzen.
War bis 2013 ein Zehnfinger-Schreibkurs sinnvoll, um sich auf dem Armaturenbrett zurechtzufinden, genügen im jetzt gefälliger gestylten Interieur ein paar wenige Knöpfe und der senkrecht stehende Acht-Zoll-Touchscreen. Optional bekommt man einen Abstandstempomat mit Verkehrsschild-Erkennung (funktioniert prima!), Spurhalteassistenten mit Lenkeingriff (funktioniert auch, lässt sich aber abschalten), Totwinkelwarner (sogar Anhänger bzw. Fahrradträger werden berücksichtigt), Querverkehrswarner (sehr zuverlässig!) und Einpark-Automatik. Die Bi-Xenon-Scheinwerfer haben Abbiegelicht und Abblendautomatik, die Rückfahrkamera ein feinaufgelöstes Bild. Und wer sich für Fordpass-Connect entscheidet, hat das Auto per App von überall aus unter Kontrolle – sogar anlassen und abschließen kann man den Custom per Handy. Ihn orten und den Luftdruck überwachen sowieso.
Wichtiger als die elektronischen Gimmicks sind die handfesten Eigenschaften. Und auch da punktet der Ford. Das Lederlenkrad reckt sich dem Fahrer angenehm weit entgegen, auch die Vordersitze geben wenig Anlass zur Kritik. Etwas längere Sitzflächen und mehr Platz zur Schalthebelinsel könnten sich Langbeiner wünschen. Doch in Sachen Ablagen, Flaschenhaltern und USB-Anschlüssen zeigt der Ford so manchem Konkurrenten die lange Nase. Dafür gibt es keine automatische, sondern nur eine manuelle Klimaanlage. Heiz- und Kühlleistung sind dennoch tadellos.
Der Fahrkomfort überzeugt leer wie beladen, und auch die Fahrsicherheit liegt auf hohem Niveau. Nur wer die Oberflächengüte und das satte Türschließgeräusch eines Pkw sucht, muss sich woanders umsehen. Sonst ist der Transit Custom in seiner jüngsten Evolutionsstufe voll bei der Musik.
Plug-in: Schon eine Alternative?
Als Plug-in-Hybrid hat der Transit Custom PHEV zwei Motoren: einen Dreizylinder-Benziner, der nur als Generator arbeitet, und einen E-Motor, der die Vorderräder antreibt. Der 13,6-kWh-Akku kann extern mittels Schnelllader oder an der 230-V-Steckdose geladen werden. Die elektrische Reichweite ohne Generator gibt Ford mit 56 Kilometern an, doch die Gesamtreichweite mit 54 Liter Benzin im Tank beträgt über 500 Kilometer. Mit 355 Newtonmetern beschleunigt der Transit im E-Modus flott, doch springt der Dreizylinder-Stromerzeuger an, reduziert sich das Spurtvermögen und der Geräuschpegel steigt. Auf längeren Strecken ist das in Kombination mit der geringen Höchstgeschwindigkeit von 126 km/h nervig. Ist der Akku leer, steigt der Verbrauch auf rund sieben Liter Super/100 km. Gut also, dass es für den Ford Custom potente saubere Diesel gibt.