„Aerodynamik gewinnt immer“

Interview Alpine-Technikchef Marcin Budkowski: „Aerodynamik gewinnt immer“
Der Alpine A521 ist ein ungewöhnliches Auto. Oben breit, unten schmal. Technikdirektor Marcin Budkowski verrät, was hinter dem Konzept steckt, warum den Ingenieuren die Aerodynamik wichtiger als der Schwerpunkt ist und wie ein Fahrer wie Fernando Alonso das Team beflügeln kann.
Ihr Fazit nach dem Saisonstart?
Budkowski: Das war nicht der beste Saisonstart für uns. Wir hatten Pech in der Qualifikation und im Rennen. Beide Autos sind gut gestartet, und Fernando hat sich in den Top Ten behauptet. Nach seinem ersten Boxenstopp hat uns ein kleines technisches Problem dazu gezwungen, Fahrt rauszunehmen. Und dann, nach dem zweiten Stopp hat sich eine Sandwichtüte in einer der hinteren Bremsbelüftungen verfangen, was zu hohen Temperaturen führte und das Bremssystem so stark beschädigte, dass wir das Auto aus Sicherheitsgründen zurückziehen mussten. Esteban ist ein solides Rennen gefahren und war auf dem Weg vielleicht Punkte zu machen. Dann wurde er von Sebastian getroffen. Das hat das Auto beschädigt. Wir hatten vor Imola einiges an Arbeit vor uns, um das Auto schneller zu machen und uns in einem engen Mittelfeld zu behaupten. Hier zählt jedes Zehntel.
Die neuen Regeln haben nicht nur Abtrieb gekostet, sondern auch die aerodynamische Stabilität beeinflusst. Was ist schwerer zu kompensieren?
Budkowski: Du hast die Daten der Simulation und die Daten, die du auf der Strecke generierst. Es ist schwieriger bei der aerodynamischen Stabilität eine Übereinstimmung zu finden. Wenn du auf den Abtrieb schaust, hast du ein Limit, bis zu dem der Anpressdruck noch stabil ist. Liegst du zu weit darunter, ist dein Auto zwar stabil, hat aber zu wenig Abtrieb. Wenn du zu aggressiv warst, hast du gute Abtrieb.werte, bezahlst aber mit Schwankungen. Die Kunst ist es, eine gute Balance zu finden.
Spielen die neuen Regeln für den Unterboden den Autos mit einer stärkeren Anstellung eine Trumpfkarte zu? Und wo steht da Alpine?
Budkowski: Wir liegen auf der Anstellungs-Skala eher am oberen Ende. Es gibt zwei Autos, die sichtbar weniger Anstellung fahren. Es ist kein Geheimnis, dass es sich dabei um Mercedes und Aston Martin handelt. Sollten die dadurch Nachteile haben, wären das gute Nachrichten für uns. In Theorie sollten sie eigentlich Vorteile haben, weil die Spalte zwischen Boden und Straße kleiner ist und man weniger versiegeln muss. Aber wir reden da über komplexe Luftströmungen und Interaktionen mit anderen Komponenten. Deshalb wäre diese Theorie zu einfach gedacht. Es geht darum, diese Interaktionen in den Griff zu bekommen. Und das ist nicht so einfach, weil das Strömungsbild schon bei der Nase des Autos aufgebaut wird und sich nach hinten fortsetzt. Es ist bereits schwer, das für sein eigen es Auto zu erklären. Über die Konkurrenz kann ich gar keine Aussage treffen, weil jedes Auto vom Frontflügel über die Leitbleche eine unterschiedliche Philosophie verfolgt, die sich im Heck des Autos total unterschiedlich auswirkt.
Welche Rolle spielen die neuen Reifen in diesen Interaktionen?
Budkowski: Die Reifen bringen einen zusätzlichen Schwierigkeitsgrad mit sich, weil sie sich ständig verformen. Die neuen Reifen unterschiedlich zu den alten. Die Windkanalreifen walken noch einmal anders als die richtigen. Das macht es auch so schwer, sich darauf vorzubereiten. Der neue Vorderreifen ist etwas kleiner, er deformiert sich ein bisschen anders. Es ist seit Jahren eine der größten Herausforderungen, die Form des Reifen. in allen Betriebszuständen im Windkanal nachzustellen.
Hat sich der Arbeitsbereich der Reifen verändert?
Budkowski: Wir stehen da nicht vor einem völlig anderen Reifen. Es gibt kleine Unterschiede. Sie haben etwas weniger Grip, speziell vorne. Pirelli erlaubt uns jetzt, dass wir hinten mit deutlich niedrigeren Drücken fahren. Das ist ein Indiz dafür, dass der Reifen seine Zielvorgaben erfüllt. Die Reifen arbeiten an jedem Auto anders. Jeder versucht, sie bestmöglich zum Arbeiten zu bringen. Deshalb lässt sich die Frage nach dem Arbeitsfenster nicht so eindeutig beantworten. Das ist von Auto zu Auto verschieden.
Alpine verschweigt, wo man seine Entwicklungs-Token genommen hat. Was macht das für einen Sinn? Die Konkurrenz kann nicht mehr reagieren.
Budkowski: Da geht es eher ums Prinzip. Unser Technik-Koordinator Pat Fry ist es gewohnt, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Wenn du der Konkurrenz eine Sache preisgibst, erzählst du ihr oft auch andere Geheimnisse. Wir haben immerhin gesagt, dass wir die Token im Heck des Autos genommen haben. Da gibt es ja nicht so wahnsinnig viel Auswahl. Wenn man sich die Änderungen am Auto anschaut, kann man selbst herausfinden, was es ist.
Welche Technik-Trends konnten Sie bis jetzt an den Autos feststellen?
Budkowski: Das große Schlachtfeld sind der Boden und das Heck des Autos. Dort haben die Regeln für die größten Änderungen gesorgt. Am Ende des Tests haben sich die Teams allerdings bei den Böden schon in der Philosophie angenähert. Ein anderes Feature ist, dass viele Teams ihre Hinterradaufhängung immer höher legen. Das ist eine Antwort auf die neue Hinterachse von Mercedes, die letztes Jahr ans Auto kam und das Team einen guten Schritt vorwärts gebracht hat. Auch wir sind in diese Richtung gegangen. Allerdings nicht so extrem wie einige anderen Teams.
Hat das aerodynamische Gründe?
Budkowski: Eindeutig. Du bestrafst dich mit mehr Gewicht und einer schlechteren Kinematik. Sie müssen sich nur die Geometrien anschauen. Es kann nicht ideal sein, wenn die Aufhängungen außerhalb der Felgen anlenken.
Der neue Alpine ist oben ziemlich bullig und unten sehr schlank. Wollten Sie mehr Fläche auf dem Boden gewinnen?
Budkowski: Je kleiner die Seitenkästen desto besser. Unabhängig davon, ob der Unterboden außen Fläche verloren hat. Das ist ein Trend, den wir schon seit Jahren verfolgen. Wir haben einige Komponenten höher platziert, um unten schmaler bauen zu können.
Auch auf Kosten eines höheren Schwerpunkts?
Budkowski: Das ist eine Güterabwägung. Es ist das gleiche Spiel wie bei der Hinterradaufhängung. Sie hat mechanische Nachteile, aber aerodynamische Vorteile. Normalerweise gewinnt die Aerodynamik immer. Deshalb haben wir uns auch darauf eingelassen, dass der Schwerpunkt steigt. Die aerodynamischen Vorteile dieser Lösung überwiegen. Diese Fahrzeug-Generation wird von Aerodynamikern bestimmt.
Der Abtrieb.verlust findet hauptsächlich hinten statt. War es schwer, das Auto auszubalancieren?
Budkowski: Mit diesem Problem sind wir seit langem konfrontiert. Es ist aber nicht so schlimm. Wir sind vorne mit dem Frontflügel am Limit und haben hinten mehr Spielraum. Wenn wir jetzt hinten durch die Regeln etwas weniger Anpressdruck haben, kommt uns das fast entgegen. In ein paar Rennen haben wir sowieso wieder alle die alten Abtrieb.werte erreicht.
Wie schwer wird es sein, den Absprung zum nächstjährigen Modell zu bestimmen. Wird es die härteste Entscheidung, die sie jemals treffen mussten?
Budkowski: Der Absprung wird früher stattfinden. Aber es jetzt schon zum ersten Rennen zu tun, wäre zu früh. Du willst nicht das Projekt schon beerdigen, bevor es so richtig begonnen hat. Andererseits kannst du nicht bis Juli oder August warten. Diese 2022er Autos sind so neu, dass die Entwicklungskurve extrem steil ausfallen wird. Du musst auch bedenken, dass du dich vielleicht nicht nur für die Saison 2022 bestrafst, sondern auch für die Folgejahre. Es gibt weniger Windkanalzeit, einen Rückstand wettzumachen. Dazu kommt die Budgetdeckelung. Du bist nicht mehr so frei wie vor Jahren. Interessant wird es, wenn Mercedes und Red Bull eng zusammenliegen und Kopf an Kopf um den Titel kämpfen. Das könnte sie dazu zwingen, das aktuelle Auto bis weit in die Saison hinein weiterzuentwickeln. Das gleiche trifft auch auf uns zu, wenn es wieder eng im Kampf um die Plätze dahinter hergeht. Das wird eine strategische Entscheidung werden. Du musst abwägen, wie viel du dir schadest, wenn du den Start des 2022er Projekts hinauszögerst. Wenn du in diesem Dilemma steckst, wird viel davon abhängen, wie viel Spielraum du in den einzelnen Entwicklungsrichtungen du hast. Eine Fortführung des 2021er Autos macht nur Sinn, wenn du dir sicher bist, noch signifikant Rundenzeit zu gewinnen.
Hat Alonso frischen Wind in das Team gebracht? Hält er alle mit seinen Ansprüchen wach?
Budkowski: Es gibt viele Dinge, die mich wach halten. Dafür brauche ich Fernando nicht. Wenn du einen erfahrenen Piloten hast wie Fernando, dann profitierst du natürlich. Sein Feedback ist exzellent, seine Aussagen präzise. Dass er sofort auf Speed war, ist keine Überraschung. Er hat ja schon letztes Jahr viel getestet. Fahrer wie Fernando wissen genau, was sie vom Auto erwarten, wie man es schneller macht und wo seine Grenzen liegen. Die Ingenieure dürfen das nicht als Kritik an ihrer Arbeit auffassen. Sie müssen froh über Fahrer wie Fernando sein, der ihnen sagt: Wenn ihr das Problem löst, kann ich schneller fahren.
War er am 1. Januar wie angekündigt in der Fabrik?
Budkowski: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich selbst nicht in der Fabrik war. Aber der Windkanal ist gelaufen. Wir haben sofort mit dem 2022er Auto losgelegt. Und wir haben ein Foto machen lassen und es an Fernando geschickt.