PHEV-Förderung ist Betrug, Verbrennerverbot kommt
Mit unseren Kollegen von auto motor und sport spricht der vielleicht künftige Verkehrsminister über Opels mit Melonen im Fußraum, E-Autos, Verbrennerverbote, CO 2-Steuer, Mercedes im Zugriff Chinas, die schwäbische Eisenbahn und natürlich das Tempolimit.
Cem Özdemir ist türkischer Schwabe mit argentinischer Frau, deutscher Politiker, Vater, Diplom-Sozialpädagoge, Vegetarier, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen und damit vielleicht Nachfolger von Andreas Scheuer. Dessen Namen und die seiner Vorgänger würden selbst bei CSU-Wählern im bayerischen Bierzelt einen Schauer auslösen, glaubt Özdemir. Mit auto motor und sport sprach der 55-Jährige im Rahmen eines Podcasts.
Wie sind Sie automobilistisch sozialisiert?
Da muss ich ein bisschen die Vorurteile bedienen, was Türkeistämmige angeht: Mein Vater fuhr einen Ford. Aber nur ein Jahr. Danach gab’s einen Totalschaden mit dem Fahrzeug, den wir Gottseidank alle heil überstanden haben. Ab dem Zeitpunkt war mein Vater strammer Opel-Fahrer. Wir hatten unterschiedliche Modelle, mal Ascona, mal Kadett, je nachdem wie das Geld gerade gereicht hat.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat im Interview mit auto motor und sport gesagt, dass er es aufgegeben hat, für das Tempolimit zu kämpfen. Das würden andere machen. Sind Sie einer dieser anderen?
Winfried Kretschmann ist keiner, der schnell aufgibt. Aber was er, glaube ich, meinte: Die Debatte wird bei uns leider etwas irrational geführt. Ich habe viele Freunde in den USA und wenn ich denen vorhalte, dass das Waffenrecht die Welt doch nicht sicherer macht, sagen die: Sei Du mal ganz ruhig! Du kommst aus einem Land, das neben Afghanistan und Nordkorea kein Tempolimit hat.
Ich bin sehr froh, dass sich die Diskussion inzwischen sehr versachlicht hat. Natürlich ist das Tempolimit nicht der alleinige Heilsbringer für uns, aber angesichts der Mammutaufgabe Klimaschutz wäre es ja geradezu absurd auf diese low hanging fruits zu verzichten. Wir könnten mit Tempo 130 sofort bis zu drei Millionen Tonnen CO 2 jährlich sparen. Und dann noch das Plus bei der Verkehrssicherheit, das wir gratis bekommen.
Und wenn wir uns vorstellen, wo die Mobilität der Zukunft sich hin entwickelt, nämlich in Richtung vernetztes, autonomes Fahren, profitieren wir natürlich immens von einem Tempolimit. Dann geht es gar nicht ohne. Die Zukunft bringt das Tempolimit. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zuletzt haben Sie gegen Plug-in-Hybride gewettert. Was haben Sie gegen die Technik?
Ich habe gar kein Problem damit. Ich hab nur ein Problem damit, dass man eine staatliche Förderung in Anspruch nimmt, für Klimaschutz, der auf der Straße nicht stattfindet. Das nenne ich staatlich subventionierten Klimabetrug.
Ich bin sehr offen für das Argument, dass es den Plug-in-Hybrid auf dem Weg hin zur vollelektrischen Mobilität als Übergang braucht. Aber die Idee, die uns versprochen wurde, war ein Fahrzeug mit einem Verbrenner als eine Art Range-Extender und die hauptsächliche Bewegung findet elektrisch statt, vor allem in der Stadt. De facto ist es aber genau umgekehrt. Da könnte man genauso gut ein paar Batterien ins Handschuhfach legen und sagen, dafür gibt’s Geld vom Staat. Das mache ich nicht mit. Entweder die hauptsächliche Fahrleistung wird elektrisch erbracht, das wird auch nachgewiesen und dafür gibt es die Prämie oder die Prämie wird gestrichen.
Was muss sich also ändern?
So wie’s jetzt läuft ist das ein trauriges Beispiel für die Art von Verkehrspolitik, wie wir sie bislang hatten: Da hatten einige Autobosse, die noch in der alten Zeit sozialisiert sind, sich auf falsche Freunde in der Bundesregierung verlassen. Die einen taten so, als würden sie Grenzwerte einhalten, die anderen taten so, als würden sie die Grenzwerte kontrollieren. Das ist vorbei. Mittlerweile fällt Betrug auf, mittlerweile ist die Kumpanei der Bremser zu Ende. Jetzt ist Fortschritt angesagt, jetzt ist Hightech angesagt, jetzt ist German can-do angesagt und nicht mehr German Angst à la CSU oder FDP.
Der Verkehr trägt zu weniger als 20 Prozent zum CO 2-Ausstoß bei, Pkw zu 13 Prozent. Warum konzentrieren wir uns so sehr darauf, CO 2-Emissionen einzusparen, wenn dadurch gleichzeitig die Emissionen bei der Batterieproduktion massiv ansteigen?
Weil alle Bereiche Ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Der Verkehr hat zum Referenzjahr 1990 praktisch nichts eingespart und wir können nichts liegen lassen. 20 Prozent ist ja auch nicht nichts. Wenn der Verkehr seinen Beitrag leistet, dann tragen wir nicht nur dazu bei, dass Deutschland beim Klimaschutz liefert – wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, man schaut auf uns – sondern wir verhelfen auch einer Technologie zur Marktreife, die wir morgen in die ganze Welt exportieren. Das ist also im Sinne einer doppelten Rendite, wenn Sie so wollen. Das lässt das Herz eines Schwaben höher schlagen: Du investierst einen Euro und bekommst quasi den doppelten Effekt.
Ich halte auch nichts davon, dass man unseren Standort in dem Zusammenhang schlecht redet: Wir haben alles was man braucht für die Verkehrswende: Wir haben hervorragende Ingenieurinnen und Ingenieure, wir haben großartige Hochschulen und Forschungseinrichtungen, wir haben eine tollen Mittelstand und wir haben die OEMs und tolle Startups. Was uns fehlt, ist eine Politik, die mutig vorangeht und die Ingenieure zum Partner macht und nicht die Bremser in den Unternehmen.
Rohrstock? Stille Treppe? Nachsitzen oder Gruppenarbeit? Welche Erziehungsmaßnahme empfiehlt der Sozialpädagoge Cem Özdemir für die deutsche Autoindustrie?
Die falsche Freundschaft zwischen Politik und Industrie muss aufhören. Die gibt es ja nicht nur beim aktuellen Verkehrsminister so, da gehören auch seine Vorgänger dazu. Qualifikation darf in Deutschland künftig kein Hinderungsgrund mehr sein, um Verkehrsminister zu werden. Es darf nicht schaden, wenn man was vom Fach versteht, man sich interessiert, zuhören kann und von der Industrie bis zum Verbraucherschutz und der Umweltseite alle einen Tisch bringt, um sich dann nicht für den langsamsten, sondern den schnellsten entscheidest. Der Zukunft zugewandt – das muss künftig Verkehrspolitik in Deutschland werden.
Wo steht Tesla?
In der Vergangenheit habe ich aus der Industrie immer viel gehört über Reichweitenangst und Spaltmaße – und jetzt kommt Tesla. Und da kann ich nur sagen: Guten Morgen! Die Konkurrenz schläft nicht. Klar ist das subventioniert, weil sie auf die Zukunft wetten. Das ist ein Milliardär als Besitzer, der viele Investoren auf seiner Seite hat und die sagen: Wir investieren in das Morgen, während sich die Deutschen noch mit dem Gestern beschäftigen. Und in China hat’s der Staat gemacht, mit Mega-Subventionen. Warum? Weil klar war, beim Verbrenner macht den Deutschen keiner was vor, da bauen sie die besten Autos der Welt, aber die Deutschen ruhen sich aus auf den Erfolgen von gestern, weil sie Freunde in der Politik haben, die ihnen noch Tranquilizer geben. Das Gute ist: Aus vielen Gesprächen mit Autobossen weiß ich: Die haben das längst erkannt, die wollen das auch. Zukunft kann auch in Deutschland hergestellt werden.
Werden Sie der nächste Verkehrsminister?
Wir verteilen keine Ämter vor der Wahl. Dazu gibt es ein schönes Zitat von einem nicht-Grünen. Erwin Teufel, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagte: "Das Amt kommt zum Manne und nicht umgekehrt". Und da ich bei den Grünen bin, gilt das natürlich auch für die Frau. Aber ein künftiger Verkehrsminister oder eine Verkehrsministerin muss nicht mehr zwingend aus Bayern kommen und von der CSU. Es soll auch andere Bundesländer geben, die die Sache etwas weniger ideologisch angehen, mehr technikgetrieben und zukunftsgerichtet.
Was ist Ihre Idee für die Mobilität abseits der großen Metropolen, wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Menschen auf dem Land nicht abgeschnitten sind?
Es gibt dazu eine erschreckende Zahl: Seit 1990 sind 5400 Kilometer Bahnstecken stillgelegt worden. Das war eine bewusste politische Entscheidung, die den ländlichen Raum abgehängt hat. Eine kluge Verkehrspolitik kann dazu beitragen, dass die Innenstädte wieder belebt werden, wenn man da wieder gut hinkommt. Auch die Elektromobilität passt gut aufs Land. Viele sagen ja, die sei eher was für die Stadt – aber das sehe ich anderes. Außerhalb haben wir viel mehr Platz für Lademöglichkeiten und in der Stadt lässt sich häufig aufs Auto verzichten, auf dem Land hat es absolut seine Berechtigung.
Aber braucht es dafür nicht auch Alternativen? Gerade an Stellen, wo Züge nicht ausgelastet sind, wären doch Möglichkeiten nach Bedarf wichtig, oder?
Absolut. Wir diskutieren gerade im Bundestag über das Personenbeförderungsgesetz, wie wir einen Business-Case auch für neue Mobilitäts-Dienstleister schaffen können. Natürlich muss man da auch aufpassen – in New York beispielsweise hat ja vor allem Uber nicht nur die Taxis kannibalisiert, sondern auch Leute ins Auto gebracht, die sonst U-Bahn gefahren sind. Das will ich nicht. Ich will Taxis, neue Fahrdienstleister und geteilte Mobilität als Ergänzung, und nicht, dass ein Anbieter den Laden komplett aufrollt.
Welches Verhältnis zwischen Industrie und Staat wünschen Sie sich in Zukunft?
Jeder muss seinen Job machen. Der Staat erfindet keine Autos und entwickelt keine Innovationen. Aber der Staat setzt die Leitplanken. Dazu gehört für mich beispielsweise das Abschmelzen des Diesel-Privilegs, um mal was zum Thema Technologie-Offenheit beizutragen. Da wird eine Technologie künstlich verbilligt, mit acht Milliarden pro Jahr. Ich möchte auch die staatliche Kaufprämie durch ein Bonus-Malus-System ablösen, damit das aufkommensneutral für den Staat werden kann. Sprich: Wer ein SUV mit fossilem Verbrenner kauft, muss mehr bezahlen, wer emissionsfrei unterwegs ist, bekommt einen Bonus – finanziert von denen, die sich für Fahrzeuge entscheiden, die man früher in der Landwirtschaft gebraucht hat. Ich will das nicht verbieten, aber ich will auch keine ökologische Zechprellerei. Und das ist nichts anderes: Wir verursachen Kosten und die lassen wir andere bezahlen.
Elon Musk sagt: "Mach CO 2 teuer und gutes wird passieren"…
Das finde ich sehr klug. Winfried Kretschmann hat über den Bundesrat dafür gekämpft, dass wir jetzt wenigstens 25 Euro pro Tonne CO 2 haben. Ohne uns Grüne gäb’s diesen CO 2-Preis nicht. Alles andere wäre ohne jede ökologische Lenkungsfunktion. Aber eigentlich bräuchten wir mindestens 40 Euro mit schrittweiser Steigerung, damit es eine stärkere Preisfunktion gibt, die ökologische Technologien in den Markt einführt und die wahren Kosten bei CO 2 halbwegs abdeckt.
Und was ist mit synthetischen Kraftstoffen?
Ich habe dazu eine Anfrage ans Verkehrsministerium gestellt, was das denn kosten würde: 4,50 Euro pro Liter – vor Steuern. Man kann sich vorstellen, wer es sich dann noch leisten könnte Auto zu fahren, wenn man Leuten folgt, die vorschlagen eine Technologie, die frühestens 2030 aus dem Reagenzglas raus ist, zur Grundlage der Mobilität für 44 Millionen Menschen zu machen. Ich will ja, dass wir künftig weniger Autofahren, aber bitte nicht über eine soziale Aussonderung. Sondern durch attraktive Alternativen. Synthetische Kraftstoffe brauchen wir dringend dort, wo wir den Strom nicht direkt einsetzen können.
Aber was ist beim CO 2-Preis anders?
Der muss erstens schrittweise steigen, damit man Zeit hat, sich technologisch umzustellen. Damit werden CO 2-arme Technologien automatisch billiger. Und zweitens wollen wir einen Großteil des Geldes zurückinvestieren, so dass die Leute, insbesondere die finanziell Schwächeren, das wieder zurückbekommen. Wer viel CO 2 erzeugt, muss mehr bezahlen. Aber am teuersten ist kein Klimaschutz und die Leidtragendsten davon sind die Ärmeren.
Noch sind E-Autos aber teurer.
Wenn sich der E-Antrieb durchsetzt, wird er durch die Skalierung günstiger und es werden Schritt für Schritt auch gebrauchte E-Autos günstiger verfügbar sein. Im Gegenzug steigt der Aufwand, den Verbrenner immer sparsamer und sauberer zu machen. Wir werden in den nächsten Jahren erleben, wie E-Autos günstiger werden. Damit löst sich das Problem der sozialen Schere von selber.
Der Erfinder des Automobils aus dem Ländle plant eine Konzernspaltung – wie finden Sie das?
Reden wir nicht um den heißen Brei herum: Die Aufspaltung des Konzerns hat natürlich auch was damit zu tun, dass 15 Prozent der Aktien zwei chinesischen Großinvestoren gehören. Für mich als Verkehrspolitiker ist eine entscheidende Frage auch: Mit wem rede ich denn künftig? Mit Ansprechpartnern hier oder muss ich künftig mit dem chinesischen Staat reden? Das will ich nicht, um das sehr klar zu sagen: Wir haben in der Corona-Krise gesehen, was Abhängigkeiten bedeuten. Wir brauchen hier klare Schutzmechanismen. Die Konkurrenz kommt von außerhalb. Das sind chinesische Staatskonzerne, die mit unlauteren Wettbewerbsbedingungen arbeiten, wo der Staat die Produkte runtersubventioniert, wo zum Teil auch mit unfairen Methoden gearbeitet wird, was Ingenieurskunst und Industriespionage angeht. Wir kennen alle die Beispiele, und da ist aufwachen angesagt, dringend!
Sie sprechen auch mit Ola Källenius – was sagt der denn zu der Problematik?
Sie werden verstehen, dass bei mir vertrauliche Gespräche vertraulich sind. Aber die Frage ist, was man als Industrieboss davon selbst in der Hand hat. Man konnte ja auch nachlesen, dass die Aufspaltung vor allem damit zu tun hat, dass es die chinesischen Investoren gibt. Die nächsten Jahre sind da ganz entscheidend: A) Gibt’s den Konzern in Zukunft noch? Ich will das. B) was ist das dann für ein Konzern? Ist das ein Konzern aus dem Schwobaländle, aus Deutschland oder ist das zunehmend ein Konzern, wo die Entscheidungen dann irgendwann woanders getroffen werden. Letzteres will ich ausdrücklich nicht.
Wie stehen Sie zum Verbrennerverbot?
Die ganze Welt ums uns herum beschließt das gerade und niemand geringerer als der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat 2035 ins Spiel gebracht. Wir sagen 2030, das wird man sich anschauen und in aller Rationalität eine Entscheidung treffen, die da Klarheit schafft. Die Vorteile, wenn es nicht mehr um das "Ob" sondern nur mehr um das "Wie" geht sind Planungs- und Investitionssicherheit, Verlässlichkeit. Aber ich erwarte dann auch, dass die Zeit genutzt wird sich umzustellen. Natürlich muss man dabei helfen, Stichwort Ausbildung und denken Sie an die Zulieferer.
Wir haben das gesehen an unserer einstmals stolzen Elektroindustrie, die verschwunden ist. Denken Sie an Nordmende oder Telefunken. Das darf uns mit der deutschen Autoindustrie nicht passieren.