„Sauger von Singer gibt es nicht mehr“
Singer-CEO Rob Dickinson im Gespräch über den neuen Turbo, die Zukunft seiner Firma und die Parallelen zwischen Rockmusik und Autodesign.
Restomod-Pionier Singer aus Kalifornien hat ein neues Modell im Portfolio: Den Singer Turbo. Wie der Name bereits nahelegt, referenziert das Programm einen der Porsche-Klassiker schlechthin – den 930 Turbo. Am Rande eines Events für Intressenten und Kunden, hat Redakteur Patrick Lang mit dem Singer-Chef Rob Dickinson über das neue Auto und die Zukunftspläne gesprochen. Das ganze Interview sehen Sie im Video auf Englisch oder lesen es in diesem Artikel alternativ auf Deutsch.
Du wolltest selbst nie einen 930 Turbo besitzen, wie du mal in einem Interview gesagt hast. Warum hast du denn dann ausgerechnet dessen Design für eine Singer-Interpretation gewählt und was war dein vielleicht ganz eigener Ansatz für dieses Projekt?
Rob: Ich wollte in der Tat nie wirklich einen 930 Turbo – aber jetzt habe ich mich schon ziemlich verliebt, was wohl auch der Grund ist, warum wir den Singer Turbo aufgelegt haben. Ich denke, nachdem wir den Porsche 911 schon so lange in seiner luftgekühlten, frei saugenden Form als Singer Classic und DLS (Dynamics and Lightweighting Study) zelebrieren, war die Turboaufladung der nächste logische Schritt. Und die Turboaufladung ist natürlich auch ein großer Teil der Porsche-Kultur, den es ebenso zu feiern gilt. Der 930 Turbo ist ohne Zweifel eine Ikone – obwohl ich wie gesagt nie so sehr einen wollte, wie ich andere frei saugende Elfer besitzen wollte. Doch das Modell hat meine Porsche-Leidenschaft damals trotzdem auf ein neues Level gehoben, denn meine erste Fahrt in einem 911 im Jahr 1976 war eben in einem Turbo. Ein schwarzer Dreiliter mit rotem Interieur und der hat mir einfach komplett den Kopf verdreht. Und da kam mir der Turbo dann schon wie die Quintessenz dessen vor, worum es bei Porsche geht – extreme Performance, Breite, Gummi. Er war ja Porsches erstes Supercar und das erste wirklich luxuriöse Auto auch. Das war in einer Zeit mit Lamborghini Countach und Ferrari Berlinetta Boxer – die heilige Dreifaltigkeit ihrer Ära, wenn man so will. Und jetzt können wir beweisen, dass wir uns auf Turbomotoren ebenso gut verstehen wie auf Sauger. Zumal der Turbo eine gute Balance zu den anderen Singer-Modellen darstellt, die sehr filigran und leicht gebaut sind. Der Turbo geht mehr in Richtung GT, in Richtung Luxus – er ist komfortabel und sehr schnell. Und das auch noch ziemlich mühelos. Es ist für uns also auch ein anderer Ansatz, unser Verständnis von Luxus und Raffinesse unter Beweis zu stellen.
Und wie waren die Reaktionen beim Goodwood Festival of Speed? Da habt ihr den Singer Turbo doch erstmals live vor Publikum präsentiert, oder?
Rob: Das war sehr spannend. Die Reaktionen waren sehr, sehr positiv. Ein gutes Gefühl.
Das glaube ich gerne. Das bringt mich aber zu einer sehr konkreten Frage: Wenn ich hier und jetzt einen bestellen würde, wie lange würde es dauern, bis ich mich tatsächlich ans Steuer setzen kann?
Rob: Also das erste Kundenfahrzeug planen wir 2023 auszuliefern. Wir haben allerdings schon eine ganze Menge Kunden in der Kartei (lacht). Die Liste ist also lang, aber innerhalb von drei Jahren solltest du ihn bekommen. Wenn du heute bestellst.
Okay, drei Jahre könnte ich mich wohl gedulden, schätze ich.
Rob: Ja, und wenn wir mal so richtig im Produktions-Flow sind, könnte es sogar noch ein bisschen schneller gehen.
Wie viele Stunden braucht ihr denn, um einen fertig zu machen?
Rob: Stunden?
Ich habe was von 4.000 Stunden pro Fahrzeug gelesen...
Rob: Also beim Singer Classic haben wir bei 4.500 Stunden aufgehört zu zählen. Ab dann wurde es nämlich gruselig – das willst du schon gar nicht mehr wissen. Sonst fangen wir noch an, uns zu fragen, was wir da eigentlich machen. Wir lieben natürlich, was wir tun, aber es ist am Ende ja auch ein Business. Und ja, das Eine, wofür wir uns entschuldigen müssen, ist, dass unsere Autos sehr teuer sind. Aber unsere Singer-Modelle mit zumindest dem Hauch von Profitabilität zu machen, ist extrem kompliziert – selbst mit den hohen Preisen. Eben weil in jedem einzelnen so viel Arbeit bis ins letzte Detail steckt. Es ist schon extrem und das muss es auch sein – denn das ist der Ruf, der uns vorauseilt. So einen Ruf kannst du auch schnell wieder verlieren, wenn du dir Fehler erlaubst. Ein sinnvolles Geschäftsmodell zu entwickeln, war jedenfalls das bestimmende Abenteuer der letzten 12 Jahre. Klar, viele Leute bauen Autos oder modifizieren bzw. restaurieren sie. Es ganz akkurat und passend zum Selbstverständnis zu machen und dabei noch Geld zu verdienen – das ist die Herausforderung. So allmählich haben wir die wohl gemeistert. Aber hohe Stückzahlen sind bei unserem Grad an Individualität und den vielen Feinheiten trotzdem unmöglich. Das liegt schon an einer phänomenal komplizierten Lieferkette, weil wir extrem hohe Qualitätsstandards von jedem Zulieferer verlangen. Weil wir das aber nicht immer bekommen können, haben wir die Firma ein wenig wachsen lassen, um einiges auch selbst hinzukriegen. Wir arbeiten jetzt ein wenig mehr so, als seien wir selbst ein Hersteller. In den ersten fünf, sechs Jahren war das noch viel mehr Amateur-Energie und jede Menge Enthusiasmus.
So richtiger Start-up-Spirit?
Rob: So könnte man das sagen, ja. Weil ja noch niemand eine Anleitung dafür geschrieben hat, wie man das machen sollte, was wir vorhaben. Also haben wir die Regeln selbst geschrieben. Aber wir haben durchgehalten, überlebt – und das haben wir vor allem unseren Kunden zu verdanken.
Nur um mal zu verdeutlichen, was ihr erreicht habt: Es gibt auch in Deutschland viele Firmen, die Restomod-Porsches anbieten. Wenn die ihren Job gut machen, werden sie nicht selten "Deutscher Singer" genannt. Fühlst du dich wie ein Trendsetter?
Rob: Ich denke, es ist absolut klar, dass viele Menschen das kopieren, was wir tun. Oder es zumindest versuchen. Das ist manchmal schmeichelhaft und manchmal irritierend. Denn am Ende ist es ja auch nicht mehr als der Versuch, mit der Idee eines anderen Geld zu machen. Ich versuche, mich nicht zu sehr darüber zu ärgern und auch nicht zu sehr geschmeichelt zu sein – was manchmal wirklich hart ist. Worauf wir aber stolz sind, ist zu sehen, dass wir andere Kreative inspiriert haben, die danach ihren eigenen Weg mit anderen Autos als dem 911 gegangen sind. Egal ob Lancias, Alfa Romeos, oder andere.
Ja, da gibt es mittlerweile einige.
Rob: Ja, ich denke, wir haben nicht nur Jungunternehmern und Start-ups, sondern auch großen OEMs gezeigt, wie man eine Marke feiert. Wir empfangen immer mal wieder auch Vertreter von Herstellern bei uns und zeigen ihnen, wie es bei Singer läuft.
Damit die daraus für ihr eigenes Klassiker-Programm lernen können?
Rob: Ja, genau. Einige haben uns auch gebeten, uns eines ihrer Autos anzunehmen. Wir haben "Nein" gesagt, denn wir sind eben Porsche verbunden und bewahren unseren Fokus. Aber offensichtlich haben wir mit dem, was wir tun, einen Nerv getroffen. Deshalb war ich auch so besessen von genau dieser Idee, als sie mir 2006 gekommen ist. Ich wusste, wenn ich Geduld habe und es richtig anstelle, dann wird das einigermaßen revolutionär. Ich reklamiere jetzt keineswegs die Idee, Autos zu modifizieren oder zu restaurieren für mich, aber bis dahin hatte es eben noch keiner so gemacht, wie ich das vorhatte. Ich hatte diese Vision von einem optimierten luftgekühlten 911. Wenn ein Alien auf der Erde landet, und wissen will, warum alle den Porsche 911 lieben, dann solltest du ihm eines von unseren Autos zeigen können und es würde sagen "Okay, klar. Das verstehe ich." Ich hatte den Glauben daran, dass meine Vision davon, wie das Auto aussehen soll, wie es fahren soll, wie es sich anfühlen soll und wie es ausgestattet sein soll, genau das ist, was sich alle wünschen. Klingt vielleicht ein bisschen arrogant. Aber ich war mir sicher, dass etwas Gutes dabei herauskommen würde – wobei ich jetzt auch nicht mit dem gerechnet habe, was aus Singer tatsächlich geworden ist. Das ist einfach Teil der Reise und ich kenne das Ziel noch nicht.
Ist vielleicht – zumindest als Zwischenziel – ein neues Basismodell angesagt? Eure Autos basieren ja alle auf dem Porsche 964, aber die Zahl der verfügbaren Autos schwindet doch zusehends. Dürfen wir uns bald auf eine andere Elfer-Generation freuen? Ich meine... die Getriebe kommen doch schon jetzt aus dem 993...
Rob: Nicht ganz – wir haben nämlich alle aufgebraucht und bauen jetzt unsere eigenen Getriebe. Aber um deine Frage zu beantworten – ich würde sagen, das ist unwahrscheinlich. Der 964 ist ein besonderes Auto für uns, weil es den Zenit eines traditionellen luftgekühlten Porsche 911 markiert. Ich liebe auch den 993, ich habe selbst einen und finde ihn fantastisch. Aber er war auch Porsches Versuch, ein Auto zu modernisieren, das sein Ablaufdatum bereits überschritten hatte. Beim 964 stimmt einfach alles – ein tolles Bremssystem, tolle Lenkung. Porsche hat enorm viel Arbeit in dieses Auto gesteckt und wir haben darin die perfekte Ausgangsbasis für weitere Optimierungen gefunden. Jede Menge Gewicht haben wir rausgeworfen und uns in einem Hang zur Verarbeitungsperfektion ergangen, der fast schon lächerlich ist. Dazu gibt es freilich mehr Leistung und moderne Technologie, um die Performance in die Höhe zu treiben. Zeug eben, das vor 25 Jahren noch nicht in den Regalen gelegen hat. Aber weil der 964 eben so ein fantastisches Auto ist, war er der perfekte Ausgangspunkt für uns. Aber ich meine – man soll ja niemals nie sagen. Die nächsten fünf Jahre sind wir aber sicher noch mit dem 964 unterwegs – und es wird ein paar neue Projekte zu sehen geben.
Vor ein paar Jahren wäre es mir ja gar nicht möglich gewesen, eines eurer Autos auf deutschen Straßen zu fahren – wegen der strengen Zulassungsbedingungen. Wie schwer war es für euch, dem Regelwerk schlussendlich doch entsprechen zu können?
Rob: Es war kompliziert, teuer und es hat lange gedauert. Danke, TÜV. Wir wussten aber, dass es wichtig ist. Essenziell sogar, einen sauberen Start in Deutschland hinzulegen – dem Land, in dem die Porsches geboren wurden. Umso mehr freuen wir uns jetzt.
Ja, und ihr habt euch jetzt ja sogar einen Verkaufs- und Servicepartner in Deutschland gesichert. Wie einfach ist es also für mich, an einen Singer zu kommen? Gehe ich dort einfach hin und sage: "Hallo, ich will einen" ?
Rob: Ja.
Es ist so einfach?
Rob: Es ist genau so einfach. Also – wenn du einen Singer Classic möchtest; das Auto, mit dem wir angefangen haben, wird man dir sagen: "Nein." Weil wir die Bestellbücher für dieses Modell geschlossen haben. Und der DLS ist ausverkauft, den kannst du also auch nicht haben. Du kannst aktuell also nur einen Turbo in Auftrag geben – das aber dafür wirklich sehr einfach.
Kommen wir zu den Wurzeln von Singer. Beziehungsweise zum Namen. Wir wissen natürlich, dass Norbert Singer ein Porsche-Ingenieur der 70er, 80er und 90er war. Aber was ist deine Verbindung zu ihm?
Rob: Ich habe persönlich keine Verbindung zu ihm. Er war ein Held, so viel ist klar. Aber sein Name passt auch ganz gut zu meinem früheren Beruf, denn ich war Sänger in einer Rockband (englisch für Sänger ist Singer, Anm. d. Red.). Es schien mir also ein ganz passender Name für die Firma zu sein. Die Idee kam mir bei einem Gespräch mit einem guten Freund, dem ich von meinen Plänen erzählt hatte. Er meinte, ich müsste unbedingt einen Prototyp konstruieren. Und alle guten Prototypen haben ja einen Namen – ich sollte meinen doch "Norbert" nennen. Mir gefiel das aber nicht so gut wie "Singer", was ich wiederum so sehr mochte, dass ich gleich die ganze Firma so genannt habe. Wegen Norbert Singer, dem Singen des Motors – nebenbei wohl einer der bedeutendsten Motoren seiner Zeit – und meinen 15 Jahren als Sänger.
Klingt nach der idealen Kombination. Eine letzte Frage, weil du grade auch deine musikalische Vergangenheit angesprochen hast. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem Schreiben von Musik und dem designen von Autos?
Rob: Ja, viele. Songs zu schreiben, aufzunehmen und Musik zu machen – dabei geht es darum, Entscheidungen zu treffen. Und das ist im Automobildesign nicht anders. Ich habe Automobildesign an der Uni studiert und danach eine Zeit für Lotus in England gearbeitet. Dabei habe ich erkannt, dass die Vorgehensweisen in Musik und Design sehr ähnlich sind. Du hast eine Vision und dann triffst du eine Reihe von Entscheidungen in einem iterativen Prozess. Dann gibt es ein erstes Konstrukt, es folgt ein detaillierteres Modell, du nimmst ein paar Änderungen vor, wägst ab. Es ist ein immer engeres Fokussieren bis zum finalen Ergebnis. Und das kannst du auch nicht in einer Gruppe machen. Die meisten Auto-Ikonen entspringen dem Geistesblitz einer einzelnen Person, die danach ihre Vision bis zum Schluss verfolgt. Das scheint mir der übliche Weg zu sein, um Kunst zu erschaffen. Die machst du eben nur schwerlich im Verbund mit anderen. Außerdem ist man im Laufe des Prozesses auch häufig von sich selbst genervt, denn kreative Entscheidungen zu treffen, bedeutet auch, sich zwischendurch von guten Teilaspekten zu trennen.
"Kill your darlings" nennt man das auch beim Schreiben. Wenn du hübsche Formulierungen streichen musst, weil sie nicht wirklich zur Geschichte beitragen.
Rob: Ja, das ist teilweise wirklich schwer übers Herz zu bringen. Es ist stressig, es ist emotional – also beides: Musik machen und Autos designen. Und ich weiß manchmal nicht, ob ich verflucht oder gesegnet damit bin, solche Dinge in meinem Leben haben zu wollen. Manchmal würde ich das meinen schlimmsten Feinden nicht wünschen. Viele Menschen vermeiden es ja, Entscheidungen zu treffen und lassen sich dann einfach so durchs Leben tragen. Oder du nimmst es eben selbst in die Hand und verfolgst ein Ziel – und das kannst du nur, wenn du eine ziemlich präzise Vorstellung davon hast, was du erreichen willst. Und Singer ist ein Beispiel dafür, dass ich etwas erreichen wollte, das sehr, sehr, sehr speziell ist – nämlich das Feiern des Porsche 911 auf dem höchstmöglichen Level und zwar in einer Art und Weise, die auch Porsche selbst respektieren und anerkennen kann. Glücklicherweise wird unsere Beziehung mit Porsche immer besser und sie fangen allmählich auch an, uns ein bisschen zu vertrauen, denke ich. Da zahlt es sich dann aus, dass ich meine Vision so konsequent verfolgt habe. Und das ist doch großartig.
Mit solchen Worten kann man enden, würde ich sagen. Und ich glaube, viele Auto-Enthusiasten sind dir dankbar dafür, dass du so ein stressiges Leben führst.
Rob: (lacht) Vielen Dank.