Der Chiron, den niemand fährt

Er ist exklusiver, schärfer, agiler – und trotzdem kaum bewegt: Der Bugatti Divo steht für eine seltene Form von Automobilkultur. Gebaut für höchste Fahrdynamik, endet seine Karriere oft in klimatisierten Garagen. Was ihn technisch so besonders macht – und warum seine Stärken meist ungenutzt bleiben.
Bugatti ist bekannt für Höchstgeschwindigkeit, doch mit dem Divo hat die Marke ein anderes Extrem ausgelotet. Auf den ersten Blick teilt er sich viel mit dem Chiron und seinem 8,0-Liter-W16 mit vier Turboladern und 1.500 PS. Der wichtigste Unterschied: Der Divo wurde konsequent auf Querdynamik getrimmt. 35 Kilogramm Gewichtsersparnis, eine stark überarbeitete Aerodynamik und ein klarer Fokus auf Agilität machen ihn zum fahraktivsten Serienmodell, das Bugatti je gebaut hat.
Das zeigt sich mitunter bei der Höchstgeschwindigkeit: Während der Chiron bis zu 420 km/h erreicht, ist der Divo bei 380 km/h elektronisch abgeregelt – zugunsten besserer Fahrbarkeit auf kurvigen Strecken. Auf der hauseigenen Teststrecke in Nardò umrundet der Divo den Kurs acht Sekunden schneller als der Chiron.
Mehr Anpressdruck, weniger Komfort
Imposante Aerodynamikkomponenten zeichnen den Divo aus. Der feststehende Heckflügel misst 1,83 Meter in der Breite, der Diffusor ist aggressiver gezeichnet, die Luftkanäle sind funktional ausgelegt. Das Ergebnis: 456 Kilogramm Anpressdruck – rund 90 Kilo mehr als beim Chiron. Diese zusätzliche Bodenhaftung lässt sich nicht in PS messen, aber in Geschwindigkeit durch Kurven – und genau dort liegt die Domäne des Divo.
Im Innenraum setzt sich der Fokus fort. Wo der Chiron mit feinstem Leder und luxuriösem Ambiente glänzt, herrscht im Divo eine eher funktionale Atmosphäre. Alcantara dominiert die Flächen, die Sitze sind enger geschnitten, das Infotainment reduziert. Jeder Aspekt dient einem Ziel: dem Fahrer ein direkteres, unverfälschtes Feedback zu geben. Hier steht nicht Repräsentation im Vordergrund, sondern Kontrolle.
Zwischen Technikfaszination und Sammeltrieb
Trotz dieser Eigenschaften wurde der Divo von Anfang an zu einem Sammlerstück. Alle 40 Exemplare waren lange vor der offiziellen Präsentation in Pebble Beach 2018 verkauft. Die Kundschaft: eine exklusive Auswahl von Bugatti-Stammkunden. Ein öffentlich zugänglicher Markt entstand nie. Und mit einem Neupreis von rund 5 Millionen Euro war der Divo ohnehin eher Investition als Fahrmaschine.
Das jüngste Beispiel liefert ein Modell, das derzeit bei Bonhams in Monterey zur Auktion steht. Es ist einer der ersten Divos, die jemals öffentlich verkauft werden. Seine Historie ist typisch: Ursprünglich ausgeliefert an einen Sammler in Florida, dann weitergegeben an einen zweiten Besitzer, der ihn bei unter 800 Meilen (zirka 1.280 km) beließ. Der Wagen wurde zuletzt im Petersen Automotive Museum ausgestellt – wirklich gefahren wurde er praktisch nie.
Die geschätzte Preisspanne bei der Auktion liegt zwischen 6,1 und 7,8 Millionen Euro. Damit gehört der Divo zu den wertstabilsten Hypercars überhaupt – nicht zuletzt, weil er kaum gefahren wird.
Wenn Technik zur Skulptur wird
Der Divo zeigt eindrucksvoll, was passiert, wenn ein Automobilhersteller sein gesamtes Ingenieurswissen auf ein einziges Ziel ausrichtet: Performance in der Kurve. Er ist ein fahrdynamisches Manifest – und gleichzeitig ein Opfer seiner eigenen Exklusivität. Denn so konsequent wie er gebaut wurde, so konsequent wird er geschont. Statt auf der Strecke zu brillieren, verstaubt er im Kunstlicht privater Sammlungen.