Die strenge Linie der FIA
Mercedes hadert immer noch mit der Disqualifikation von Lewis Hamilton. Weil ein Defekt dazu führte, weil es keinen Zugriff auf das Beweismittel gab, weil ein Bagatell-Fehler zu hart bestraft wurde. Es gibt aber vergleichbare Fälle.
Lewis Hamilton hatte es beim 19. WM-Lauf nicht leicht. Der Sieger des GP Brasilien musste eine Disqualifikation in der Qualifikation schlucken, eine Motorstrafe im Rennen und eine Geldbuße danach, weil er sich zu früh losgeschnallt hatte. Er konnte es verschmerzen. Unter dem Strich holte er fünf Punkte auf WM-Konkurrent Max Verstappen auf. Nur bei Mercedes regte man sich auf. Der Titelverteidiger fühlte sich von den Behörden verfolgt.
Teamchef Toto Wolff meinte nach dem Rennen am TV-Interview: "Das ganze Wochenende ging es gegen uns. Dass es keine Strafe gegen das Rausdrängen von Lewis für Max gab, ist nicht in Ordnung. Da sind uns einige Dinge an den Kopf geworfen worden. Das muss alles aufgearbeitet werden. So etwas wollen wir nicht auf uns sitzen lassen. Da sind Entscheidungen getroffen worden, die nicht nachvollziehbar sind. Irgendwo gibt es eine Grenze."
Mercedes sorgt für scharfe Tests
Der größte Streitpunkt war der Wertungsausschluss von Hamilton nach der Qualifikation. Der Zorn von Mercedes richtete sich gegen das Procedere, die Härte der Strafe und den späten Zeitpunkt der Bekanntgabe zwei Stunden vor dem Start des Sprints. Immerhin verzichtete Mercedes auf eine Berufung.
Wolff urteilte grimmig: "Wir müssen das Urteil der Sportkommissare akzeptieren, auch wenn wir es nicht verstehen. Es war eine Schwarzweiß-Entscheidung, bei der es nicht darum ging, ob der Heckflügel legal oder nicht war, sondern wie der Test durchgeführt wurde."
Bei der statischen Untersuchung mit dem Zollstock lag die Spalte der Heckflügelelemente beim geforderten Maximalwert von 85 Millimeter. Doch seit im Juni die TD 011-19 modifiziert wurde, dürfen die Tester eine neue Messmethode anwenden.
Dabei wird eine Schublehre mit einer Kraft von zehn Newton durch die Spalte gezogen. Geht sie durch, muss man annehmen, dass eines der beiden Elemente sich unter Last verbiegt, was die Spalte bei hohen Geschwindigkeiten vergrößern würde.
Mercedes ist nicht ganz unschuldig an dem neuen Messverfahren. Der Titelverteidiger zählte zu den Betreibern, dass die FIA die Heckflügel genauer auf ihre Biegsamkeit misst. Anlass war, dass Red Bull und fünf andere Teams ihren Heckflügel-Flap bei Top-Speed kontrolliert nach hinten geklappt haben. Damit war ab dem GP Frankreich Schluss.
Nur zwei Schrauben locker?
Bei Mercedes lag der Fall anders. Hier lag ganz offensichtlich ein Defekt vor, der während der Qualifikation aufgetreten sein muss. "Unsere Heckflügel haben in den letzten fünf Jahren immer alle Tests anstandslos bestanden. Der spezielle Flügel von Interlagos auch. Wir haben ihn vor dem Training geprüft. Da war er noch in Ordnung", beteuerten die Ingenieure.
Die FIA-Prüfer und Sportkommissare akzeptierten das Argument zwar, bestanden aber trotzdem auf einem Ausschluss, weil das Problem erst nach dem Training bemerkt wurde und nicht während der Veranstaltung, so wie bei Red Bull in Mexiko.
Mercedes ärgerte sich, weil ihnen die Chance genommen wurde, einen Defekt nachzuweisen. Der Flügel wurde von der FIA sofort unter Verschluss genommen und erst am Ende der Veranstaltung dem Team zurückgegeben. "Wir wurden der Chance beraubt zu zeigen, warum der Flügel kaputtgegangen ist."
Die Ingenieure vermuten, dass sich am Übergang des Flaps zur Endplatte zwei Befestigungsschrauben gelockert hatten. "Der Fehlstand war minimal. Vielleicht 0,2 Millimeter", beteuerte Wolff. Laut seinen Technikern auch nur über eine Spanne von vielleicht fünf Zentimetern auf der linken Seite in Fahrtrichtung. Am Rest des Flügels blieb die Schublehre stecken.
Höchststrafe für einen Bagatellschaden
Es war unter allen Blickwinkeln ein Grenzfall, die mit der Höchststrafe geahndet wurde. Die FIA darf froh sein, dass dadurch keine WM-Vorentscheidung herbeigeführt wurde. Das Rennen wäre wahrscheinlich auch bei normalem Verlauf mit dem Stand Hamilton vor Verstappen zu Ende gegangen. Trotzdem fühlte sich der Weltmeister ungerecht behandelt, speziell im Vergleich mit Red Bull.
Beim WM-Gegner hat man seit geraumer Zeit Probleme mit den Heckflügel-Flaps. Sie brechen ab und zu bei geöffneten DRS. Red Bull durfte sowohl in Mexiko als auch in Brasilien unter Parc Fermé Bedingungen nachbessern. Das passierte aber in dem einen Fall während des Trainings, im anderen zwischen Qualifikation und Sprint.
Trotz der Risse waren die Flügel von Verstappen und Perez legal durch die Abnahme gekommen. Mercedes sieht Red Bulls Flickarbeiten jedoch als eine Spezifikationsänderung. "Durch das Anbringen von Tape ändert sich die Oberfläche des Flügels. Das wurde toleriert."
Usus ist: Wenn das Team eine Beschädigung durch Materialbruch oder Übermüdung eines Teils nachweisen kann, darf unter Aufsicht der FIA in der Garage repariert werden. Mercedes hatte das Recht am Renntag in Mexiko in Anspruch genommen, als an Hamiltons Motor ein Stehbolzen ausgetauscht werden musste, der den Motorblock mit dem Ölsumpf verbindet. Red Bull hatte sich darüber aufgeregt. Antwort von der FIA: "Das ist eine übliche Praxis."
Sauber stolperte über halben Millimeter
Eine Bestrafung wegen 0,2 Millimeter zu viel oder zu wenig ist unter den Umständen sicher hart, aber es gibt Präzedenzfälle. Kimi Räikkönen musste 2019 in Baku aus der Boxengasse starten, weil sich ein Frontflügel-Flap um 0,5 Millimeter mehr verbog als erlaubt. Grund war ein gebrochener Halter. Auch das wurde erst nach der Qualifikation entdeckt.
Sauber hatte kein baugleiches Teil dabei und musste sich mit einer anderen Spezifikation behelfen, die nachweislich die gleiche Funktion erfüllte. Teammanager Beat Zehnder besteht darauf, dass man die Großen nicht laufen lassen kann, wenn man die Kleinen hängt. Er vertritt aber auch die Meinung: "Da ist die Regelauslegung wirklich sehr kleinlich. Vor allem, wenn es um so viel geht wie im WM-Duell."
Das findet auch Aston Martin, nachdem Sebastian Vettel beim GP Ungarn seinen zweiten Platz verloren hatte, weil 0,7 Liter zu wenig Kraftstoff im Tank verblieben waren. "Wir haben den FIA-Prüfern genau erklärt, warum wir während des Rennens mehr Benzin verbraucht haben als vorausberechnet. Alle Daten haben gezeigt, dass wir mit der Durchflussmenge immer in erlaubten Bereich lagen. Es war nachweislich ein Defekt und keine Absicht. Das hat aber niemanden interessiert. Wir sind trotzdem aus der Wertung geworfen worden", ärgert sich Teammanager Andy Stevenson noch heute.