Blitzer-Fehler wird zur Millionenaffäre
Zehntausende Autofahrer in Großbritannien sind fälschlicherweise wegen angeblicher Tempoverstöße bestraft worden – mit heftigen finanziellen Folgen.
Grund ist ein technischer Fehler in den Überwachungssystemen sogenannter Smart Motorways – Autobahnabschnitte mit elektronisch gesteuerten Tempolimits. Wie mehrere britische Medien berichten, haben Polizei und Behörden inzwischen mehr als 36.000 Verfahren eingestellt oder Bußgelder zurückgenommen.
Entschädigungen werden geprüft
Die betroffenen Kameras wurden vorübergehend deaktiviert, laufende Verfahren gestoppt und bereits gezahlte Bußgelder erstattet. Auch Punkte im Führerscheinregister sollen gelöscht werden. Autofahrer, die durch den Fehler fälschlich verurteilt wurden, sollen ihre Einträge bereinigt bekommen.
Einige Betroffene erlitten infolge der fehlerhaften Verfahren erhebliche private und berufliche Konsequenzen – etwa den Verlust des Arbeitsplatzes oder höhere Versicherungsprämien. Nach Angaben der Behörden werden auch diese Fälle überprüft.
Ein Kompensationsverfahren ist in Vorbereitung. Die Höhe der Entschädigung hängt vom jeweiligen Bußgeld ab. Genannt werden Beträge zwischen umgerechnet etwa 120 und 3.000 Euro. Die Polizei will alle betroffenen Fahrer, die seit Januar 2021 auf Smart Motorways wegen variabler Tempolimits erfasst wurden, automatisch kontaktieren. Nach einer Untersuchung von National Highways wurden in 2.656 Fällen tatsächlich fehlerhafte Messungen festgestellt.
Technischer Hintergrund
Die Ursache liegt in einem Software-Fehler bei variablen Tempokameras auf Smart Motorways und einigen A-Roads. Diese Systeme passen sich automatisch an wechselnde Tempolimits an, die über Schilderbrücken angezeigt werden.
Ein Zeitversatz von rund zehn Sekunden zwischen der Anzeige und der Kamera führte dazu, dass Messsysteme noch nach dem alten Limit auslösten, während für Autofahrer bereits ein höheres galt. So konnten Fahrzeuge etwa mit 50 mph (rund 80 km/h) unterwegs sein, während die Kamera noch auf 40 mph (rund 64 km/h) eingestellt war.
Umfang und betroffene Systeme
Insgesamt sind 154 Kameras des Typs HADECS 3 betroffen – das entspricht etwa 38 Prozent aller stationären Tempokameras auf britischen Autobahnen und wichtigen Fernstraßen. Nach Angaben von National Highways betrifft die Störung rund zehn Prozent des Strategic Road Network, also der Hauptverkehrsachsen des Landes.
Der technische Fehler geht auf ein Software-Update aus dem Januar 2021 zurück. Über mehrere Jahre blieb die Abweichung unentdeckt. Erst als Autofahrer vor Gericht Dashcam-Aufnahmen vorlegten, die ihre tatsächliche Geschwindigkeit belegten, wurde der Fehler aufgedeckt.
Reaktionen der Behörden
National Highways und das Verkehrsministerium betonen, dass die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt gewesen sei. Dennoch wurde die automatische Durchsetzung variabler Tempolimits landesweit gestoppt. Erst nach einem neuen Datenabgleich sollen die Systeme wieder aktiviert werden.
Polizei und Verkehrsbehörden wollen künftig sicherstellen, dass Messdaten nur verarbeitet werden, wenn Anzeige und Kamera eindeutig synchron sind. Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 70 mph (rund 113 km/h) bleibt bestehen und wird weiterhin durchgesetzt.
Kritik an Smart Motorways
Der Vorfall verschärft die Kritik an Smart Motorways, die variable Tempolimits und den Wegfall klassischer Standstreifen kombinieren. Das Konzept soll eigentlich für flüssigeren Verkehr und weniger Staus sorgen. Untersuchungen zeigen jedoch, dass Strecken ohne Standstreifen bei Pannen oder Unfällen als riskanter gelten.
National-Highways-Chef Nick Harris erklärte, man habe inzwischen eine technische Lösung entwickelt: "Sicherheit hat für uns oberste Priorität. Wir stellen sicher, dass niemand fälschlich belangt wird."
Bußgelder für Tempoverstöße in Großbritannien
Die Höhe der Strafen für Tempoverstöße richtet sich in Großbritannien nach dem Ausmaß der Überschreitung und dem Einkommen des Fahrers. Grundlage ist das dreistufige System des britischen Sentencing Council. Auf Autobahnen können Strafen deutlich höher ausfallen als auf Landstraßen.
Leichte Verstöße können alternativ mit einem sogenannten "Speed Awareness Course" geahndet werden, der etwa 100 bis 150 Pfund (umgerechnet rund 115 bis 170 Euro) kostet und Punkte vermeidet.
