VW-Chef Blume wechselt Cariad-Vorstand aus
Seit langem kämpft der Volkswagen-Konzern mit der Software. Dabei hatte Herbert Diess dem Thema höchste Priorität eingeräumt und Cariad als eigene Firma unter dem Konzerndach hochgezogen. Aber die Code-Schmiede kommt nicht in Tritt. Jetzt zieht VW-Chef Oliver Blume Konsequenzen und entlässt fast den gesamten Vorstand um Dirk Hilgenberg. Wer das Ruder übernimmt, steht auch schon fest.
Seit seiner Amtseinführung Ende des vergangenen Jahres kassierte Volkswagen-Chef Oliver Blume schon so einige Pläne seines Vorgängers Herbert Diess. Beim derzeit wohl entscheidendsten Problemfeld im Konzern – der Fahrzeug-Software – hielt sich der 54-jährige Braunschweiger bisher zurück. Das ändert sich jetzt allerdings erheblich.
In seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender der VW-Tochter Cariad will Oliver Blume laut "FAZ" den gesamten Cariad-Vorstand um CEO Dirk Hilgenberg entlassen. Auch Technik-Chef Lynn Longo sowie Finanzvorstand Thomas Sedran sollen gehen. Lediglich der Personalchef Rainer Zugehör könnte als Board-Mitglied verbleiben, wie unter anderem das Handelsblatt vermeldet.
Die wichtigsten News täglich im Gratis-Newsletter lesen? Dann hier anmelden und nichts mehr verpassen!
Peter Bosch von Bentley soll übernehmen
Als neuer Cariad-CEO soll Peter Bosch übernehmen, der bisher bei Bentley im Vorstand sitzt. Er gilt vor allem bei Veränderungsprozessen, wie sie die britische Nobelmarke durchlebte, als besonders fähiger Mann. Und bei Cariad dürfte viel aufzuräumen sein. Schon seit längerem schien die Stimmung sowohl in der Software-Einheit selbst als auch in der Zusammenarbeit mit den anderen Marken schlecht zu sein.
Oliver Blume kündigte schon im Januar an, die Lage bei Cariad mit einem kleinen Team bis ins Detail analysieren zu wollen, um eine Umstrukturierung einleiten zu können. Peter Bosch schien ein Teil dieses Teams zu sein. Über die Absetzung Hilgenbergs spekulierten Insider schon seit längerem, während der Druck auf die Software-Marke finanziell stetig anwuchs.
Cariad soll bleiben
Blume betonte stets, dass er es wie sein Vorgänger Diess für sinnvoll erachte, den gigantischen Aufgabenbereich der Softwarekompetenz in einem Unternehmen zu bündeln. Doch bisher führte die im Jahr 2020 gegründete VW-Tochter Cariad mit ihren mittlerweile 6.000 Angestellten neben Milliarden-Abschreibungen vor allem zu nicht konkurrenzfähiger Software und schlechter Presse. Sorgen um ihren Job müssen sich die Leute bei Cariad wohl dennoch nicht machen. Schließlich braucht Europas größter Autobauer die Software-Expertise.
Beim Auswechseln des Vorstands dürfte es nicht bleiben. Vielmehr geht es um eine komplette Restrukturierung sowie ein neues Grundsatzverständnis darüber, was Fahrzeug-Software können muss. Zudem dürften neue Technologie-Partnerschaften und die engere Zusammenarbeit mit den einzelnen Marken VW, Audi, Porsche, Seat und Skoda im Fokus liegen. Denn vor allem zukünftige Elektro-Autos mit autonomen Fahrfunktionen sind auf leistungsfähige und begeisterungsfähige Software angewiesen. Die erste Quittung bekommt der VW-Konzern derzeit in China, wo jüngst nicht nur die jahrzehntelange Marktführerschaft verloren ging, sondern der gewaltige Elektro-Boom an den Wolfsburgern vorbeizieht.
Software als wichtigste Grundlage für Autobau
Dass das Betriebssystem eines Fahrzeugs – zu dem auch die Infotainment-Gimmicks und die Vernetzungsmöglichkeiten gehören – mittlerweile auch für Kunden zu den kaufentscheidenden Kriterien zählt, dürfte Volkswagen nicht erst seit dem Tesla-Siegeszug bekannt sein. Entsprechend selbstbewusst etablierte Herbert Diess einst "die Cariad" im Konzern. Das Selbstverständnis des Tochter-Unternehmens emanzipierte sich sogar so weit, dass sich Fahrzeugentwicklungen an der Software orientieren sollten. Damit soll laut Blume Schluss sein.
"Zusammenarbeit" dürfte das neue Stichwort heißen. Denn Oliver Blume setzt verstärkt auf äußere Partner wie Bosch, Mobileye, Qualcomm oder Horizon Robotics, die vor allem die Entwicklungsgeschwindigkeit vorantreiben sollen. Trotzdem werden die Cariad-Teams auf den einzelnen Weltmärkten noch verstärkt. Allein in China dürfen sich die 900 Cariadler auf 300 neue Kollegen freuen.
Audi Q6 e-tron und Porsche e-Macan
Wie stark der Einfluss der Cariad auf ganze Baureihen-Zyklen ist, zeigte bereits der verschobene Produktionsbeginn von Audi Q6 e-tron und Porsche e-Macan. Weil die Software noch nicht fertig ist, werden beide Modelle wohl erst 2024 an die Kunden ausgeliefert. Auch wenn Cariad jetzt neu strukturiert wird – der große Druck bleibt.
Für das komplett neue Betriebssystem 2.0, das mit dem Projekt "Trinity" autonome Fahrfunktionen auf Level 4 ermöglichen soll, hat sich Wolfsburg schon jetzt zwei Jahre mehr Zeit verschafft. Statt 2026 wird die High-Tech-Plattform – wenn überhaupt – wohl erst 2028 fertig. Noch so ein Problem-Thema, das bei Investoren, Märkten und Aufsichtsräten für schlechte Stimmung sorgt. Die für Mittwoch (10.05.2023) geplante Hauptversammlung in Berlin wird für Oliver Blume sicher kein Zuckerschlecken.