Eine Kurve wie die andere

Bevor die Autos auf die Strecke gelassen werden, haben wir uns auf die erste Runde auf dem Losail International Circuit begeben. Wir nehmen Sie mit auf das 5,380 Kilometer lange Asphaltband in der Wüste...
Der Losail International Circuit ist die 75. Rennstrecke im Formel-1-Kalender seit 1950. MotoGP-Fans kennen sie schon seit 2004. Für die Formel 1 ist der 5,380 Kilometer lange Kurs Neuland. Wir sind das Asphaltband abgelaufen, um zu schauen, was die Fahrer hier erwartet.
Zum Glück ist der Grand Prix von Katar ein Nachtennen. Die Dunkelheit deckt viele Sünden zu, die bei Tag sichtbar würden. Der Losail International Circuit ist eine Retortenstrecke par excellence. Die Kurven am Reißbrett entworfen, das Gelände komplett flach, der Hintergrund immer der gleiche. Auslaufzonen bis zum Horizont, Flutlichtmasten und ein paar traurige Palmen im Wüstensand, die sich standhaft gegen den Wind stemmen, der hier ständig weht.
Die Anlage erinnert stark an Bahrain. Nur die Kurvenfolgen sind flüssiger. Beim Ablaufen wirkt es so, dass die Strecke für den Simulator entworfen worden ist. Kein Wunder, dass sich die junge Fahrergeneration bei ihrer digitalen Annäherung in dem Kurvenlabyrinth wohl fühlt.
Nach der Zielgerade reiht sich eine Kurve an die andere. Keine Gerade dazwischen ist länger als 400 Meter. Weil es keine Anhaltspunkte neben der Strecke gibt, stehen vor jedem Bremspunkt Entfernungsschilder. Manche Kurven sind so ähnlich, dass man ein ganzes Wochenende brauchen wird, um zu erkennen, an welchem Streckenteil sich die Fahrer gerade befinden. Wenn überhaupt.
Mugello oder Budapest?
George Russell hat die Strecke mit Mugello verglichen – nur dass die Höhenunterschiede fehlen. Wir würden nach dem Ablaufen des Kurses eher sagen: Budapest, nur etwas schneller, länger, flacher und seelenloser.
Stichwort Rundenzeit. Der Rekord steht bei 1.35,741 Minuten, aufgestellt von Nico Hülkenberg bei einem Rennen der GP2 Asia im Jahr 2009. Auf unserer Streckenvisite begegnet uns Mercedes-Ingenieur Evan Short. Wir fragen ihn, was die Simulation ausspuckt. "Wir haben im ersten Anlauf 1.20 Minuten berechnet, sind aber schon drunter. Aber nagelt mich nicht fest. Hier hat jedes Team offenbar eine andere Rundenzeit kalkuliert."
Als wir unseren Marsch bei 28 Grad in der Vormittagssonne beginnen, ist es noch relativ ruhig auf der Strecke. Nur die Mechaniker schrauben an ihren Autos. Von den Fahrern keine Spur. Wir schauen uns vor dem Start noch einmal die Streckenskizze an. Losail ist wie eine Krake mit drei Armen.
Los geht es auf der 1.068 Meter langen Zielgerade. Sie wirkt ehrlich gesagt viel länger. Wir stehen auf der Pole Position. Bis zum ersten Bremspunkt sind es 371 Meter. Den Beginn der Zielgerade sehen wir beim Blick zurück kaum. Er verschwindet im Gegenlicht und im Hitzeflimmern.
Die Strecke ist überall 12 Meter breit. Das Platzangebot ist eindeutig zu groß. Die Strecke wird rechts und links von einem sechs Meter breiten Astroturf-Streifen flankiert, in den Kurven wahlweise auch Asphalt und Randsteine. Dann kommt Kiesbett. So weit das Auge reicht.
Dahinter auf den Außenseiten viel Tecpro. Wir fragen uns, wer die Plastik-Elemente testen soll. Auf dem Weg dorthin geht den Autos das Benzin aus. Dafür sehen wir innen viel ungeschützte Leitplanken. Hoffentlich spielt da keiner den Grosjean. Einziger Trost: Der Abstand zur Strecke ist größer als bei der ominösen Planke von Bahrain. Und der Kies dazwischen bremst.
Der Asphalt ist 17 Jahre alt
In der ersten Kurve warten 60 Meter Asphalt und 100 Meter Kies auf entgleiste Autos. Laut den Simulationen werden die Autos dort mit 325 km/h anfliegen und auf 160 km/h runterbremsen. Kurve 1 wirkt in echt gar nicht so eng wie auf der Skizze. Ein schöner runder Bogen, wie überhaupt alle Kurven. Nirgendwo gibt es ein hässliches Eck, dass den Rhythmus unterbricht. Deshalb werden auch nur 36 Schaltmanöver pro Runde erwartet.
Ausgangs Kurve 1 wird es schon richtig schnell. Nach 200 Metern geht es mit 200 km/h nach links, dann eine minimal ansteigende Vollgaspassage mit Rechtsknick auf eine Doppel-Rechts zu. Vor der ersten der beiden Rechtskurven dürften die Autos schon wieder 300 km/h schnell sein. Laut Mercedes-Protokoll geht die erste Kurve mit 215, die zweite mit 200 km/h.
Dann folgt die langsamste Stelle. Eine leicht überhöhte Linkskurve, etwa 100 km/h schnell. Sie als Haarnadel zu bezeichnen, wäre eine Übertreibung. Am Ausgang sorgt ein aggressiver Kerb dafür, dass keiner mutwillig den Radius vergrößert.
Laut Mercedes ist Kurve 6 eine mögliche Überholstelle, wenn einer die Doppel-Rechts davor nicht richtig erwischt. Wir haben unsere Zweifel. Wer auch immer da überholen will, hat nur 150 Meter Zeit, sich neben den Vordermann zu setzen. Das wäre doch was für Max Verstappen.
Wir testen mit unseren Schuhen den Asphalt. Er ist bereits 17 Jahre alt, liegt dort seit Eröffnung der Strecke im Jahr 2004. Der Belag fühlt sich glatt an, zeigt aber viele tiefe Poren. Pirelli befürchtet hohe Belastungen. Deshalb gehen die Italiener kein Risiko ein. Im Angebot sind die drei härtesten Mischungen C1, C2 und C3. Dafür moderate Drücke von 22,0 PSI vorne und 19,5 PSI hinten.
Vier Tribünen auf fünf Kilometern
Wir arbeiten uns in den zweiten Arm der Krake vor. Bis zur Kurve 7 sind es 350 Meter Vollgas. Der Rechtsbogen erinnert uns an die Kurve davor, nur um 40 km/h schneller und in die andere Richtung. Innen auf dem Kunstrasen sind die wurstförmigen gelben Randsteine montiert. Doch wer bitte will hier innen abkürzen? Auch noch auf Astroturf mit beschränktem Grip.
Der Kurve 7 folgt eine 250 km/h schnelle Schikane mit einer weiteren Linkskurve. Der Bremspunkt liegt praktisch ausgangs der Schikane. Die Fahrer werden den Anker werfen müssen, während das Auto noch nach links in den Seilen hängt. Fahrerisch sicher interessant.
So hat das auch der Veranstalter gesehen, denn ausgerechnet hier stehen die einzigen zwei Tribünen auf der Strecke. Sonst gibt es nur noch auf der Zielgerade gegenüber den Boxen Zuschauerplätze. Viele Fans werden offenbar nicht erwartet. Beim MotoGP-Rennen waren selten mehr als 10.000 Besucher, wird uns erzählt.
Kurve 10 öffnet den Radius und mündet in Kurve 11, die eigentlich eher ein sanfter Bogen und keine echte Kurve ist. Bis zu Kurve 12 sind es knapp 500 Meter Anlauf. Also wieder rund 300 km/h. Dann folgt das Prunkstück der Strecke. Eine Dreifach-Rechts mit unterschiedlichen Radien. Wie Kurve 8 in Istanbul. Der Mercedes-Computer spuckt aus: 260, 260 und 250 km/h.
Gute Traktion wichtiger als DRS
Wenn die Fahrer die Serie der Rechtskurven hinter sich haben, wartet noch ein Linksknick und eine 400 Meter lange Gerade auf sie, bevor sie scharf nach rechts in die 165 km/h schnelle Zielkurve abbiegen. Oder in die Boxeneinfahrt. Auf Wunsch der Formel 1 wurde die Boxeneinfahrt vor die Zielkurve verlegt. Uns ist nicht ganz klar warum. In Bahrain fädeln sich die Autos bei einer ähnlichen Konstellation erst nach der Zielkurve nach rechts in die Boxengasse ein.
Mangels Geraden gibt es auf dem ganzen Kurs nur eine DRS-Zone. Die Fahrer fürchten, dass Überholen trotz der ausreichend langen Zielgerade schwierig werden könnte. Wir glauben das nicht. Warum? Das liegt am Layout. In den 16 Kurven bekommt der Reifen kaum Verschnaufpausen. Wenn die Fahrer in Kurve 16 ankommen, werden die Reifen schon ziemlich heiß sein. Wer sie besser schont, hat eine bessere Traktion. Das könnte der Schlüssel zum Überholen sein. Mehr als das DRS.
In der Galerie nehmen wir Sie noch einmal mit auf unsere erste Runde auf dem Losail International Circuit.