Honda versteckt seine Power
Die gleiche Strecke, aber ein anderes Ergebnis. Mercedes überrascht Favorit Red Bull mit einer Doppelführung. Doch das Ergebnis täuscht. Honda hatte die Power der Motoren zurückgedreht.
Müssen wir völlig neu denken? Zwei Mercedes vor einem Red Bull. Und dann zwei Aston Martin im Schlepptau. Nach dem zweiten Training stellten sich alle die Frage: Warum sind die zwei Silberpfeile und die Mercedes.Kopie von Aston Martin so schnell? Hat das irgendetwas mit den weicheren Reifen zu tun, die Pirelli für das zweite Spielberg-Rennen mitgebracht hat? Oder mit den tieferen Temperaturen? Oder damit, dass nach 31 Minuten im zweiten Training leichter Nieselregen einsetzte, was einigen Fahrern noch eine Zeitverbesserung verhagelte?
Im Vergleich zur Vorwoche sind die Asphalttemperaturen um 12 Grad gesunken. Die leichte Berieselung von oben machten die Longruns nicht viel weniger repräsentativ als sonst. "Sorgen musst du dir erst machen, wenn die Leute auf den Tribünen die Schirme aufspannen. Dann musst du langsamer fahren. Das war aber nicht der Fall", erzählte Sebastian Vettel. Mercedes.Chefingenieur Andrew Shovlin ergänzte: "Es gab nur eine ganz kurze Phase, in der die Rundenzeiten leicht angestiegen sind."
Das Mercedes.Revival mag durch die kühleren Temperaturen und die weicheren Reifen begünstigt worden sein, hatte aber hauptsächlich einen ganz anderen Grund. "Honda hat die Power mehr zurückgedreht als wir. Um das bereinigt liegt Red Bull immer noch vor uns, nur nicht mehr ganz so krass wie letzte Woche", urteilen die Ingenieure. Red Bull.Sportdirektor Helmut Marko bestätigt: "Wir sind schneller als Mercedes. Im Longrun mehr als auf eine Runde."
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Ist Mercedes wieder ein Gegner für Red Bull.
Red Bull-Honda fuhr im zweiten Training mit gedrosselter Power. Oder Mercedes mit mehr. Der zuletzt übliche Vorsprung auf den Geraden kehrte sich in einen kleinen Rückstand um. Das erklärt, warum plötzlich Mercedes die Nase vorne hat, weil man relativ zur Vorwoche auf den Geraden drei Zehntel auf den WM-Gegner gutmachte. Bei der Topspeed-Messung kam Lewis Hamilton auf 312,7 km/h, Max Verstappen auf 311,5 km/h. Das war vor einer Woche noch anders. Dazu kommt, dass die Red Bull laut Sportdirektor Helmut Marko noch nicht so mit dem weichen C5-Reifen harmoniert haben wie erhofft.
Die Longruns auf den Medium-Gummis waren aussagekräftiger. Da war Mercedes wieder mit seiner üblichen Freitags-Power unterwegs und damit auf einem vergleichbaren Niveau zu Red Bull.Honda. Wenn die Simulationsprogramme alle Störfaktoren rausrechnen, dann ist der Red Bull auf eine Runde ein Zehntel und im Longrun eineinhalb Zehntel schneller. Das wäre etwas weniger als vor einer Woche. Im Kurvenvergleich gewann Hamilton auf Verstappen in den Kurven 6 und 7, während der Holländer in Kurve 10 zuschlug. Der Titelverteidiger musste seinen Medium-Dauerlauf nach einem Ausrutscher ins Kiesbett kurz unterbrechen.
Max Verstappen sieht die Pole Position noch nicht garantiert: "Mercedes sieht stärker aus als vor einer Woche. Wir müssen auf dem Soft-Reifen noch zulegen." Sergio Perez kämpft wieder einmal mit der Balance seines RB16B: "Ich fühle mich mit wenig Sprit im Tank noch nicht wohl im Auto. In den Longruns lief es besser. Es sieht so aus, als würden sich die Reifen weniger abnutzen als beim ersten Rennen."
Lewis Hamilton konnte gegenüber der Vorwoche einen leichten Fortschritt feststellen: "Wir sind mit einem Setup ins erste Training gegangen, das auf unserer Simulatorarbeit von dieser Woche beruhte, waren aber nicht zufrieden damit. Deshalb haben wir die Fahrzeugabstimmung von letzter Woche als Basis genommen, und sie noch einmal leicht verändert. Das fühlte sich dann besser an. Wir haben uns auf eine Runde definitiv gesteigert, aber ich schätze, dass Red Bull auch noch etwas im Köcher hat." Valtteri Bottas pflichtete bei: "Es war ein guter Auftakt. Aber die Wahrheit werden wir erst sehen, wenn alle die Motorleistung aufdrehen."
2) Wieso ist Aston Martin so stark ?
Aston Martin überraschte mit den Plätzen 4 und 5 sich und andere. Das hat mehrere Gründe. Die grünen Autos waren mit mehr Motorleistung unterwegs als ihr direktes Umfeld. Die Ingenieure haben ihre Hausaufgaben in den Tagen zwischen den beiden gut erledigt, das erste Rennen analysiert und in Bezug auf die Fahrzeugabstimmung die richtigen Schlüsse gezogen. Auch der Soft-Reifen hilft. Der Extra-Grip von Pirellis Superkleber gleicht aerodynamische Defizite zum Teil aus. Je höher das Abtriebsmanko, desto größer der Effekt.
Sebastian Vettel stieg jedenfalls mit zufriedenem Gesicht aus seinem Aston Martin aus. "Die Bedingungen und Reifen waren anders als letzte Woche. Das hat uns sicher etwas geholfen. Außerdem waren wir etwas aggressiver unterwegs als andere. Wir haben etwas probiert, das sich hoffentlich morgen und im Rennen auszahlt. Es sollte in der Qualifikation besser als letzte Woche laufen. Platz 5 wäre natürlich toll, aber so weit vorne sehe ich mich eher nicht. Für die Top Ten sollte es aber reichen."
3) Übt Ferrari wieder für das Rennen?
Ferrari treiben in diesem Jahr zwei Problemzonen um. Das Reifenmanagement und die Motorleistung. "Auf einer Strecke mit 80 Prozent Volllast sind wir immer etwas im Nachteil", stellte Carlos Sainz fest. Die Reifen sind für Ferrari in Spielberg ein geringeres Problem als davor in Frankreich. Das zeigte bereits der erste Spielberg-Grand Prix. "Unser Renntempo ist so stark wie in der ersten Woche", notierte Charles Leclerc zufrieden, fügte aber auch hinzu: "Wir müssen noch am Quali-Speed auf dem weichen Reifen arbeiten. Da haben wir noch nicht alles rausgeholt."
Carlos Sainz kommentierte die Positionen 13 und 16 für die roten Autos mit dem Worten: "Wir brechen weder in Panik aus noch verfallen wir in Euphorie. Heute ging alles darum, unser Programm durchzuziehen. Und da lag die Hauptlast darauf, den C5-Reifen und die neuen Hinterreifen zu verstehen. Sonst war eigentlich alles wie letzten Woche." Teamchef Mattia Binotto macht sich auch keine Sorgen: "Bei der schnellsten Runde hing alles davon ab, wie die Fahrer sie hingekriegt haben. Ein paar Zehntel schneller und du stehst am anderen Ende des Mittelfeldes."
4) Wo war eigentlich McLaren ?
Die Positionen 9 und 15 sind für den WM-Dritten normalerweise eine Enttäuschung. Trotzdem wirkten beide Fahrer zufrieden. "Wir verstehen unser Auto definitiv besser als letzte Woche, haben viele Dinge probiert und Gutes und Schlechtes gefunden. Jetzt geht es darum, das Gute herauszufiltern", erzählte Lando Norris.
Daniel Ricciardo machte sich auch keine allzu großen Sorgen, was er eigentlich sollte, nachdem die Platzierung erneut nicht seinen Qualitäten entsprach. "Von der Position her sieht es wie ein schlechter Tag aus. Aber wir haben in einigen Bereichen gute Fortschritte gemacht. Wenn ich nicht auf die Zeitentabelle schaue, wäre ich jetzt optimistisch. Ich habe das Gefühl, dass wir mit Feintuning die paar Zehntel noch finden, die uns fehlen."
5) Bringt Pirellis weichster Reifen mehr Spannung ?
Darüber gibt es keine einheitliche Aussage. Die Mercedes.Strategen glauben, dass sich in der Qualifikation das Bild von Paul Ricard wiederholt. "Alle werden im Q2 mit Medium-Reifen fahren, selbst auf die Gefahr hin, dass sie außerhalb der Top Ten landen. Es wird nur wenig Verzweifelte geben, die sich den C5-Reifen antun." Alpine-Einsatzleiter Alan Permane würde das nicht unterschreiben. "Bei einem Zweistopp-Rennen macht der C5-Reifen am Anfang durchaus Sinn. Es wird schwer werden, mit einem Stopp über die Runden zu kommen. Meines Wissens ist letzte Woche keiner mit der Kombination C4 und C3 gefahren."
Die Alpine-Piloten zählten deshalb zu den Fahrern, die auf Pirellis weichster Mischung einen ernsthaften Longrun absolviert haben. Fernando Alonso machte die beste Figur, knapp vor Lando Norris und Mick Schumacher. Die Longrun-Zeit des Haas-Piloten ist allerdings nicht mit der von Alonso und Norris vergleichbar. Schumacher fuhr seinen Dauerlauf am Ende des Trainings mit weniger Sprit im Tank. Alonso fand trotz seines vielversprechenden Dauerlaufs noch ein Haar in der Suppe: "Wir müssen für den Soft-Reifen noch etwas an der Balance dies Autos arbeiten."
6) Wie funktionierte Pirellis Testreifen ?
Pirelli-Sportchef Mario Isola streckte nach dem Probelauf der neuen Hinterreifen den Daumen nach oben. "Es gab keine Klagen. Keiner hat uns von gravierenden Balanceverschiebungen berichtet." Die Mischung der Testreifen, von dem jeder Fahrer zwei Garnituren erhielt, entsprach dem C4-Gummi. Jeder Fahrer musste mindestens zwölf fliegende Runden damit zurücklegen, um Pirelli genügend Daten zu geben.
Isola prophezeite, dass die neue Reifenkonstruktion kaum langsamer sein würde als die alte: "Die Gummimischungen haben sich ja nicht geändert. Und der Verlust durch die steifere Flanke wird durch den geringeren Luftdruck kompensiert." Pirelli senkte den Druck gegenüber den regulären Medium-Sohlen von 20 auf 18 PSI.
Und trotzdem war Pirellis Neukonstruktion drei Zehntel langsamer. Valtteri Bottas legte im direkten Vergleichtest eine Zeit von 1.05,927 Minuten mit den neuen Reifen vor und unterbot sie dann mit 1.05,602 Minuten auf den alten. Sebastian Vettel, der den Reifen sonst eher kritisch gegenüber steht, lobte Pirellis neues Produkt: "Die neuen Reifen fühlen sich besser an. Sie waren auf Anhieb genauso schnell, obwohl wir das Auto nicht auf die Reifen angepasst haben. Im Longrun waren sie sogar deutlich besser."
Vettel zählte zu den vier Fahrern, die im zweiten Training einen Dauerlauf mit den neuen Pirellis abgespult haben. Und der Aston Martin-Pilot führte mit 1.09,684 Minuten diese Rangliste vor Daniel Ricciardo, George Russell und Carlos Sainz an.